Völkerrechte nicht entbehrt werden, da über unabhängigen Staaten kein Richter besteht, sie somit im Falle einer Verletzung oder Bedrohung sich alsbald im Zustande der Nothwehr befinden. Natürlich dürfen aber die gewaltsamen Mittel erst dann ange- wendet werden, wenn die friedlichen zu keiner Abhülfe geführt haben oder thatsächlich nicht anwendbar sind. Auch im Falle ihrer Anwendung aber sind nicht nur die allgemeinen Forderungen der Menschlichkeit möglichst zu beachten, sondern es tritt auch der Gegner nicht überhaupt in einen Zustand der Rechtslosig- keit. Somit bleiben alle Rechtsverhältnisse zwischen den Strei- tenden, welche nicht Gegenstand des Haders sind, noch zum Behufe der Durchführung von Gewaltmaßregeln unterbrochen werden müssen, fortwährend bestehen 3).
7. Es ist die sittliche und die rechtliche Pflicht aller Staaten, solchen allgemeinen Maßregeln zuzustimmen, welche eine Schlichtung von internationalen Rechtsstreitigkeiten in gerechter, einsichtiger und erfolgreicher Weise in Aussicht stellen. Ewiger Friede bleibt das letzte Ziel des Verhaltens der Staaten zu einander, wenn schon dasselbe thatsächlich noch weit entfernt ist 4).
1) Es ist allerdings der Wissenschaft, trotz vielfacher und ernstlicher Bemühungen, noch nicht gelungen, die Grundsätze über die Mitwirkung der Staaten zu einer allgemeinen Weltrechtsordnung zweifellos und mit allge- meiner Zustimmung festzustellen. Vielmehr laufen, auch noch in neuester Zeit, die Ansichten über das, was hier Rechtens sei, weit auseinander. Es ist jedoch zu hoffen, daß die große Thätigkeit, welche eben jetzt in diesem eben so wichtigen als ansprechenden Rechtstheile herrscht, allmählig zu einer Vereinigung führen wird, nur muß freilich zu diesem Zwecke ein höherer, nämlich ein völkerrechtlicher, Standpunkt eingenommen und die Entscheidung nicht aus denjenigen Regeln gezogen werden, welche beim Widerspruche verschiedener Rechte eines und desselben Staates zur Anwendung kommen. -- Die Literatur über das s. g. internationale Privatrecht ist höchst zahlreich und zerfällt in zwei durch einen weiten Zeitraum getrennte Hälften. Von den älteren Werken sind namenttich die von Boullenois, Byn- kershoek, Dumoulin (Molinäus), Hertius, Huber, Roden-
v. Mohl, Encyclopädie. 28
Völkerrechte nicht entbehrt werden, da über unabhängigen Staaten kein Richter beſteht, ſie ſomit im Falle einer Verletzung oder Bedrohung ſich alsbald im Zuſtande der Nothwehr befinden. Natürlich dürfen aber die gewaltſamen Mittel erſt dann ange- wendet werden, wenn die friedlichen zu keiner Abhülfe geführt haben oder thatſächlich nicht anwendbar ſind. Auch im Falle ihrer Anwendung aber ſind nicht nur die allgemeinen Forderungen der Menſchlichkeit möglichſt zu beachten, ſondern es tritt auch der Gegner nicht überhaupt in einen Zuſtand der Rechtsloſig- keit. Somit bleiben alle Rechtsverhältniſſe zwiſchen den Strei- tenden, welche nicht Gegenſtand des Haders ſind, noch zum Behufe der Durchführung von Gewaltmaßregeln unterbrochen werden müſſen, fortwährend beſtehen 3).
7. Es iſt die ſittliche und die rechtliche Pflicht aller Staaten, ſolchen allgemeinen Maßregeln zuzuſtimmen, welche eine Schlichtung von internationalen Rechtsſtreitigkeiten in gerechter, einſichtiger und erfolgreicher Weiſe in Ausſicht ſtellen. Ewiger Friede bleibt das letzte Ziel des Verhaltens der Staaten zu einander, wenn ſchon daſſelbe thatſächlich noch weit entfernt iſt 4).
1) Es iſt allerdings der Wiſſenſchaft, trotz vielfacher und ernſtlicher Bemühungen, noch nicht gelungen, die Grundſätze über die Mitwirkung der Staaten zu einer allgemeinen Weltrechtsordnung zweifellos und mit allge- meiner Zuſtimmung feſtzuſtellen. Vielmehr laufen, auch noch in neueſter Zeit, die Anſichten über das, was hier Rechtens ſei, weit auseinander. Es iſt jedoch zu hoffen, daß die große Thätigkeit, welche eben jetzt in dieſem eben ſo wichtigen als anſprechenden Rechtstheile herrſcht, allmählig zu einer Vereinigung führen wird, nur muß freilich zu dieſem Zwecke ein höherer, nämlich ein völkerrechtlicher, Standpunkt eingenommen und die Entſcheidung nicht aus denjenigen Regeln gezogen werden, welche beim Widerſpruche verſchiedener Rechte eines und deſſelben Staates zur Anwendung kommen. — Die Literatur über das ſ. g. internationale Privatrecht iſt höchſt zahlreich und zerfällt in zwei durch einen weiten Zeitraum getrennte Hälften. Von den älteren Werken ſind namenttich die von Boullenois, Byn- kershoek, Dumoulin (Molinäus), Hertius, Huber, Roden-
v. Mohl, Encyclopädie. 28
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><divn="6"><divn="7"><p><pbfacs="#f0447"n="433"/>
Völkerrechte nicht entbehrt werden, da über unabhängigen Staaten<lb/>
kein Richter beſteht, ſie ſomit im Falle einer Verletzung oder<lb/>
Bedrohung ſich alsbald im Zuſtande der Nothwehr befinden.<lb/>
Natürlich dürfen aber die gewaltſamen Mittel erſt dann ange-<lb/>
wendet werden, wenn die friedlichen zu keiner Abhülfe geführt<lb/>
haben oder thatſächlich nicht anwendbar ſind. Auch im Falle<lb/>
ihrer Anwendung aber ſind nicht nur die allgemeinen Forderungen<lb/>
der Menſchlichkeit möglichſt zu beachten, ſondern es tritt auch<lb/>
der Gegner nicht überhaupt in einen Zuſtand der Rechtsloſig-<lb/>
keit. Somit bleiben alle Rechtsverhältniſſe zwiſchen den Strei-<lb/>
tenden, welche nicht Gegenſtand des Haders ſind, noch zum<lb/>
Behufe der Durchführung von Gewaltmaßregeln unterbrochen<lb/>
werden müſſen, fortwährend beſtehen <hirendition="#sup">3</hi>).</p><lb/><p>7. Es iſt die ſittliche und die rechtliche Pflicht aller<lb/>
Staaten, ſolchen allgemeinen Maßregeln zuzuſtimmen, welche<lb/>
eine Schlichtung von internationalen Rechtsſtreitigkeiten in<lb/>
gerechter, einſichtiger und erfolgreicher Weiſe in Ausſicht ſtellen.<lb/><hirendition="#g">Ewiger Friede</hi> bleibt das letzte Ziel des Verhaltens der<lb/>
Staaten zu einander, wenn ſchon daſſelbe thatſächlich noch weit<lb/>
entfernt iſt <hirendition="#sup">4</hi>).</p><lb/><noteplace="end"n="1)">Es iſt allerdings der Wiſſenſchaft, trotz vielfacher und ernſtlicher<lb/>
Bemühungen, noch nicht gelungen, die Grundſätze über die Mitwirkung der<lb/>
Staaten zu einer allgemeinen Weltrechtsordnung zweifellos und mit allge-<lb/>
meiner Zuſtimmung feſtzuſtellen. Vielmehr laufen, auch noch in neueſter<lb/>
Zeit, die Anſichten über das, was hier Rechtens ſei, weit auseinander. Es<lb/>
iſt jedoch zu hoffen, daß die große Thätigkeit, welche eben jetzt in dieſem<lb/>
eben ſo wichtigen als anſprechenden Rechtstheile herrſcht, allmählig zu einer<lb/>
Vereinigung führen wird, nur muß freilich zu dieſem Zwecke ein höherer,<lb/>
nämlich ein völkerrechtlicher, Standpunkt eingenommen und die Entſcheidung<lb/>
nicht aus denjenigen Regeln gezogen werden, welche beim Widerſpruche<lb/>
verſchiedener Rechte eines und deſſelben Staates zur Anwendung kommen. —<lb/>
Die Literatur über das ſ. g. <hirendition="#g">internationale Privatrecht</hi> iſt höchſt<lb/>
zahlreich und zerfällt in zwei durch einen weiten Zeitraum getrennte Hälften.<lb/>
Von den älteren Werken ſind namenttich die von <hirendition="#g">Boullenois, Byn-<lb/>
kershoek, Dumoulin</hi> (Molinäus), <hirendition="#g">Hertius, Huber, Roden-</hi><lb/><fwplace="bottom"type="sig">v. <hirendition="#g">Mohl</hi>, Encyclopädie. 28</fw><lb/></note></div></div></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[433/0447]
Völkerrechte nicht entbehrt werden, da über unabhängigen Staaten
kein Richter beſteht, ſie ſomit im Falle einer Verletzung oder
Bedrohung ſich alsbald im Zuſtande der Nothwehr befinden.
Natürlich dürfen aber die gewaltſamen Mittel erſt dann ange-
wendet werden, wenn die friedlichen zu keiner Abhülfe geführt
haben oder thatſächlich nicht anwendbar ſind. Auch im Falle
ihrer Anwendung aber ſind nicht nur die allgemeinen Forderungen
der Menſchlichkeit möglichſt zu beachten, ſondern es tritt auch
der Gegner nicht überhaupt in einen Zuſtand der Rechtsloſig-
keit. Somit bleiben alle Rechtsverhältniſſe zwiſchen den Strei-
tenden, welche nicht Gegenſtand des Haders ſind, noch zum
Behufe der Durchführung von Gewaltmaßregeln unterbrochen
werden müſſen, fortwährend beſtehen 3).
7. Es iſt die ſittliche und die rechtliche Pflicht aller
Staaten, ſolchen allgemeinen Maßregeln zuzuſtimmen, welche
eine Schlichtung von internationalen Rechtsſtreitigkeiten in
gerechter, einſichtiger und erfolgreicher Weiſe in Ausſicht ſtellen.
Ewiger Friede bleibt das letzte Ziel des Verhaltens der
Staaten zu einander, wenn ſchon daſſelbe thatſächlich noch weit
entfernt iſt 4).
¹⁾ Es iſt allerdings der Wiſſenſchaft, trotz vielfacher und ernſtlicher
Bemühungen, noch nicht gelungen, die Grundſätze über die Mitwirkung der
Staaten zu einer allgemeinen Weltrechtsordnung zweifellos und mit allge-
meiner Zuſtimmung feſtzuſtellen. Vielmehr laufen, auch noch in neueſter
Zeit, die Anſichten über das, was hier Rechtens ſei, weit auseinander. Es
iſt jedoch zu hoffen, daß die große Thätigkeit, welche eben jetzt in dieſem
eben ſo wichtigen als anſprechenden Rechtstheile herrſcht, allmählig zu einer
Vereinigung führen wird, nur muß freilich zu dieſem Zwecke ein höherer,
nämlich ein völkerrechtlicher, Standpunkt eingenommen und die Entſcheidung
nicht aus denjenigen Regeln gezogen werden, welche beim Widerſpruche
verſchiedener Rechte eines und deſſelben Staates zur Anwendung kommen. —
Die Literatur über das ſ. g. internationale Privatrecht iſt höchſt
zahlreich und zerfällt in zwei durch einen weiten Zeitraum getrennte Hälften.
Von den älteren Werken ſind namenttich die von Boullenois, Byn-
kershoek, Dumoulin (Molinäus), Hertius, Huber, Roden-
v. Mohl, Encyclopädie. 28
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 433. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/447>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.