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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

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wie z. B. bei den Hellenen von den Amphiktyonen, den ge-
meinschaftlichen Heiligthümern und Spielen, bei den Römern
aber von einem priesterlichen Collegium feciale und einem jus
fcciale:
so beruhten jene Grundsätze nur auf unklaren Ge-
fühlen, welche nicht auf Grundsätze zurückgeführt und nicht in
Folgerungen entwickelt wurden, diese Uebungen dagegen auf
vereinzelter und grundsatzloser Sitte. Ueberdies bezogen sich
alle diese Anklänge an ein Völkerrecht lediglich nur auf die
Kriegsart. Von einer Wissenschaft des Völkerrechtes überhaupt
und von einem philosophischen Völkerrechte insbesondere war gar
keine Rede; und selbst die so meisterhaft und fein ausgebildete
römische Rechtswissenschaft kannte nicht einmal den Begriff, wie
sich aus der bekannten Eintheilung des Rechtes in jus naturale,
jus gentium
und jus civile ergibt, von welchen das jus gentium
nichts weniger als ein Völkerrecht in unserem Sinne, sondern
nur die Gesammtheit der bei verschiedenen Völkern zufällig gleich-
mäßig geltenden Rechtssätze jeglicher, namentlich auch privat-
rechtlicher, Art ist. Im Alterthume also ist der Ursprung der
wissenschaftlichen Bearbeitung des philosophischen Völkerrechtes
nicht zu suchen 2).

Ebensowenig kann er aber im Mittelalter gefunden
werden, nur freilich hier aus einem ganz andern Grunde. Der
Begriff eines Völkerrechtes bestand nämlich auch jetzt nicht; allein
nicht deßhalb, weil ein europäisches Volk dem andern keine
vollständige Berechtigung des Daseins und überhaupt kein Recht
zugestanden hätte, sondern vielmehr, weil nach der großartigen
Weltanschauung dieser Zeit die gesammte Christenheit nur ein
einziges Gottesreich bildete, an dessen Spitze der Papst und
der Kaiser standen, und in welchem die einzelnen National-
staaten nur als untergeordnete Provinzen ihren Platz fanden.
Hier mochte denn nun wohl die christliche Sittenlehre gemein-
schaftliche Vorschriften auch über das Verhalten zu fremden

wie z. B. bei den Hellenen von den Amphiktyonen, den ge-
meinſchaftlichen Heiligthümern und Spielen, bei den Römern
aber von einem prieſterlichen Collegium feciale und einem jus
fcciale:
ſo beruhten jene Grundſätze nur auf unklaren Ge-
fühlen, welche nicht auf Grundſätze zurückgeführt und nicht in
Folgerungen entwickelt wurden, dieſe Uebungen dagegen auf
vereinzelter und grundſatzloſer Sitte. Ueberdies bezogen ſich
alle dieſe Anklänge an ein Völkerrecht lediglich nur auf die
Kriegsart. Von einer Wiſſenſchaft des Völkerrechtes überhaupt
und von einem philoſophiſchen Völkerrechte insbeſondere war gar
keine Rede; und ſelbſt die ſo meiſterhaft und fein ausgebildete
römiſche Rechtswiſſenſchaft kannte nicht einmal den Begriff, wie
ſich aus der bekannten Eintheilung des Rechtes in jus naturale,
jus gentium
und jus civile ergibt, von welchen das jus gentium
nichts weniger als ein Völkerrecht in unſerem Sinne, ſondern
nur die Geſammtheit der bei verſchiedenen Völkern zufällig gleich-
mäßig geltenden Rechtsſätze jeglicher, namentlich auch privat-
rechtlicher, Art iſt. Im Alterthume alſo iſt der Urſprung der
wiſſenſchaftlichen Bearbeitung des philoſophiſchen Völkerrechtes
nicht zu ſuchen 2).

Ebenſowenig kann er aber im Mittelalter gefunden
werden, nur freilich hier aus einem ganz andern Grunde. Der
Begriff eines Völkerrechtes beſtand nämlich auch jetzt nicht; allein
nicht deßhalb, weil ein europäiſches Volk dem andern keine
vollſtändige Berechtigung des Daſeins und überhaupt kein Recht
zugeſtanden hätte, ſondern vielmehr, weil nach der großartigen
Weltanſchauung dieſer Zeit die geſammte Chriſtenheit nur ein
einziges Gottesreich bildete, an deſſen Spitze der Papſt und
der Kaiſer ſtanden, und in welchem die einzelnen National-
ſtaaten nur als untergeordnete Provinzen ihren Platz fanden.
Hier mochte denn nun wohl die chriſtliche Sittenlehre gemein-
ſchaftliche Vorſchriften auch über das Verhalten zu fremden

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[407/0421] wie z. B. bei den Hellenen von den Amphiktyonen, den ge- meinſchaftlichen Heiligthümern und Spielen, bei den Römern aber von einem prieſterlichen Collegium feciale und einem jus fcciale: ſo beruhten jene Grundſätze nur auf unklaren Ge- fühlen, welche nicht auf Grundſätze zurückgeführt und nicht in Folgerungen entwickelt wurden, dieſe Uebungen dagegen auf vereinzelter und grundſatzloſer Sitte. Ueberdies bezogen ſich alle dieſe Anklänge an ein Völkerrecht lediglich nur auf die Kriegsart. Von einer Wiſſenſchaft des Völkerrechtes überhaupt und von einem philoſophiſchen Völkerrechte insbeſondere war gar keine Rede; und ſelbſt die ſo meiſterhaft und fein ausgebildete römiſche Rechtswiſſenſchaft kannte nicht einmal den Begriff, wie ſich aus der bekannten Eintheilung des Rechtes in jus naturale, jus gentium und jus civile ergibt, von welchen das jus gentium nichts weniger als ein Völkerrecht in unſerem Sinne, ſondern nur die Geſammtheit der bei verſchiedenen Völkern zufällig gleich- mäßig geltenden Rechtsſätze jeglicher, namentlich auch privat- rechtlicher, Art iſt. Im Alterthume alſo iſt der Urſprung der wiſſenſchaftlichen Bearbeitung des philoſophiſchen Völkerrechtes nicht zu ſuchen 2). Ebenſowenig kann er aber im Mittelalter gefunden werden, nur freilich hier aus einem ganz andern Grunde. Der Begriff eines Völkerrechtes beſtand nämlich auch jetzt nicht; allein nicht deßhalb, weil ein europäiſches Volk dem andern keine vollſtändige Berechtigung des Daſeins und überhaupt kein Recht zugeſtanden hätte, ſondern vielmehr, weil nach der großartigen Weltanſchauung dieſer Zeit die geſammte Chriſtenheit nur ein einziges Gottesreich bildete, an deſſen Spitze der Papſt und der Kaiſer ſtanden, und in welchem die einzelnen National- ſtaaten nur als untergeordnete Provinzen ihren Platz fanden. Hier mochte denn nun wohl die chriſtliche Sittenlehre gemein- ſchaftliche Vorſchriften auch über das Verhalten zu fremden

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Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 407. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/421>, abgerufen am 27.11.2024.