Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

Bild:
<< vorherige Seite

folgerungen zu ziehen. Am lohnendsten ist dabei offenbar die
Aufgabe der Staatssittenlehre, indem ihr in erster Linie ob-
liegt, das Unvernünftige und Unerlaubte einer solchen Lebens-
auffassung nachzuweisen und auf Beseitigung des ganzen Zu-
standes zu dringen; sie aber auch noch eventuell dadurch Nutzen
stiften kann, daß sie dem Despoten, während des Bestandes
der Zwangsherrschaft, eine wohlthätige Anwendung seiner unge-
messenen Gewalt als Gewissenspflicht empfiehlt. Weniger erfreu-
lich ist schon, was der Staatskunst zufällt. Zwar mag es immer
den kalten Scharfsinn reizen, die Mittel anzugeben, durch welche
die rein subjektive Gewaltherrschaft eines Einzelnen fest be-
gründet und gegen innere und äußere Feinde geschützt werden
kann; und es zeigt ein weltberühmtes Beispiel, daß hier selbst
ein wissenschaftliches Meisterwerk geliefert werden mag 3); allein
es widerspricht doch eine solche Untersuchung dem sittlichen Ge-
bote, und sie erscheint dem natürlichen Gefühle als ein fluch-
würdiger Mißbrauch von Wissen und Nachdenken. Weniger
hassenswerth weil weniger gefährlich, aber auch geistig in weit
geringerem Maaße ansprechend ist endlich die Bearbeitung der
Despotie vom Standpunkte des philosophischen Staatsrechtes.
Dasselbe hat allerdings nicht die Aufgabe, die rechtliche Seite
idealer Staatszustände zu entwickeln, vielmehr wird nur von
ihm verlangt, daß es die Rechtssätze aufstelle, welche sich
aus dem Begriffe und dem Wesen der verschiedenen Staats-
formen ergeben, und in so ferne ist auch die Despotie ein mög-
licherweise von ihm zu besprechender Gegenstand. Aber nicht
nur ist ein Zustand unbedingter Berechtigung auf der einen,
und absoluten Mangels an Rechtsforderungen auf der andern
Seite ein magerer Stoff für wissenschaftliche Erörterungen;
sondern hauptsächlich ist es widrig, sich mit einer so tief stehenden
und verächtlichen Lebensanschauung zu beschäftigen. Doch ver-
steht sich von selbst, daß auch hier die richtige Behandlung nicht

folgerungen zu ziehen. Am lohnendſten iſt dabei offenbar die
Aufgabe der Staatsſittenlehre, indem ihr in erſter Linie ob-
liegt, das Unvernünftige und Unerlaubte einer ſolchen Lebens-
auffaſſung nachzuweiſen und auf Beſeitigung des ganzen Zu-
ſtandes zu dringen; ſie aber auch noch eventuell dadurch Nutzen
ſtiften kann, daß ſie dem Despoten, während des Beſtandes
der Zwangsherrſchaft, eine wohlthätige Anwendung ſeiner unge-
meſſenen Gewalt als Gewiſſenspflicht empfiehlt. Weniger erfreu-
lich iſt ſchon, was der Staatskunſt zufällt. Zwar mag es immer
den kalten Scharfſinn reizen, die Mittel anzugeben, durch welche
die rein ſubjektive Gewaltherrſchaft eines Einzelnen feſt be-
gründet und gegen innere und äußere Feinde geſchützt werden
kann; und es zeigt ein weltberühmtes Beiſpiel, daß hier ſelbſt
ein wiſſenſchaftliches Meiſterwerk geliefert werden mag 3); allein
es widerſpricht doch eine ſolche Unterſuchung dem ſittlichen Ge-
bote, und ſie erſcheint dem natürlichen Gefühle als ein fluch-
würdiger Mißbrauch von Wiſſen und Nachdenken. Weniger
haſſenswerth weil weniger gefährlich, aber auch geiſtig in weit
geringerem Maaße anſprechend iſt endlich die Bearbeitung der
Despotie vom Standpunkte des philoſophiſchen Staatsrechtes.
Daſſelbe hat allerdings nicht die Aufgabe, die rechtliche Seite
idealer Staatszuſtände zu entwickeln, vielmehr wird nur von
ihm verlangt, daß es die Rechtsſätze aufſtelle, welche ſich
aus dem Begriffe und dem Weſen der verſchiedenen Staats-
formen ergeben, und in ſo ferne iſt auch die Despotie ein mög-
licherweiſe von ihm zu beſprechender Gegenſtand. Aber nicht
nur iſt ein Zuſtand unbedingter Berechtigung auf der einen,
und abſoluten Mangels an Rechtsforderungen auf der andern
Seite ein magerer Stoff für wiſſenſchaftliche Erörterungen;
ſondern hauptſächlich iſt es widrig, ſich mit einer ſo tief ſtehenden
und verächtlichen Lebensanſchauung zu beſchäftigen. Doch ver-
ſteht ſich von ſelbſt, daß auch hier die richtige Behandlung nicht

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <p><pb facs="#f0386" n="372"/>
folgerungen zu ziehen. Am lohnend&#x017F;ten i&#x017F;t dabei offenbar die<lb/>
Aufgabe der Staats&#x017F;ittenlehre, indem ihr in er&#x017F;ter Linie ob-<lb/>
liegt, das Unvernünftige und Unerlaubte einer &#x017F;olchen Lebens-<lb/>
auffa&#x017F;&#x017F;ung nachzuwei&#x017F;en und auf Be&#x017F;eitigung des ganzen Zu-<lb/>
&#x017F;tandes zu dringen; &#x017F;ie aber auch noch eventuell dadurch Nutzen<lb/>
&#x017F;tiften kann, daß &#x017F;ie dem Despoten, während des Be&#x017F;tandes<lb/>
der Zwangsherr&#x017F;chaft, eine wohlthätige Anwendung &#x017F;einer unge-<lb/>
me&#x017F;&#x017F;enen Gewalt als Gewi&#x017F;&#x017F;enspflicht empfiehlt. Weniger erfreu-<lb/>
lich i&#x017F;t &#x017F;chon, was der Staatskun&#x017F;t zufällt. Zwar mag es immer<lb/>
den kalten Scharf&#x017F;inn reizen, die Mittel anzugeben, durch welche<lb/>
die rein &#x017F;ubjektive Gewaltherr&#x017F;chaft eines Einzelnen fe&#x017F;t be-<lb/>
gründet und gegen innere und äußere Feinde ge&#x017F;chützt werden<lb/>
kann; und es zeigt ein weltberühmtes Bei&#x017F;piel, daß hier &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
ein wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftliches Mei&#x017F;terwerk geliefert werden mag <hi rendition="#sup">3</hi>); allein<lb/>
es wider&#x017F;pricht doch eine &#x017F;olche Unter&#x017F;uchung dem &#x017F;ittlichen Ge-<lb/>
bote, und &#x017F;ie er&#x017F;cheint dem natürlichen Gefühle als ein fluch-<lb/>
würdiger Mißbrauch von Wi&#x017F;&#x017F;en und Nachdenken. Weniger<lb/>
ha&#x017F;&#x017F;enswerth weil weniger gefährlich, aber auch gei&#x017F;tig in weit<lb/>
geringerem Maaße an&#x017F;prechend i&#x017F;t endlich die Bearbeitung der<lb/>
Despotie vom Standpunkte des philo&#x017F;ophi&#x017F;chen Staatsrechtes.<lb/>
Da&#x017F;&#x017F;elbe hat allerdings nicht die Aufgabe, die rechtliche Seite<lb/>
idealer Staatszu&#x017F;tände zu entwickeln, vielmehr wird nur von<lb/>
ihm verlangt, daß es die Rechts&#x017F;ätze auf&#x017F;telle, welche &#x017F;ich<lb/>
aus dem Begriffe und dem We&#x017F;en der ver&#x017F;chiedenen Staats-<lb/>
formen ergeben, und in &#x017F;o ferne i&#x017F;t auch die Despotie ein mög-<lb/>
licherwei&#x017F;e von ihm zu be&#x017F;prechender Gegen&#x017F;tand. Aber nicht<lb/>
nur i&#x017F;t ein Zu&#x017F;tand unbedingter Berechtigung auf der einen,<lb/>
und ab&#x017F;oluten Mangels an Rechtsforderungen auf der andern<lb/>
Seite ein magerer Stoff für wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftliche Erörterungen;<lb/>
&#x017F;ondern haupt&#x017F;ächlich i&#x017F;t es widrig, &#x017F;ich mit einer &#x017F;o tief &#x017F;tehenden<lb/>
und verächtlichen Lebensan&#x017F;chauung zu be&#x017F;chäftigen. Doch ver-<lb/>
&#x017F;teht &#x017F;ich von &#x017F;elb&#x017F;t, daß auch hier die richtige Behandlung nicht<lb/></p>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[372/0386] folgerungen zu ziehen. Am lohnendſten iſt dabei offenbar die Aufgabe der Staatsſittenlehre, indem ihr in erſter Linie ob- liegt, das Unvernünftige und Unerlaubte einer ſolchen Lebens- auffaſſung nachzuweiſen und auf Beſeitigung des ganzen Zu- ſtandes zu dringen; ſie aber auch noch eventuell dadurch Nutzen ſtiften kann, daß ſie dem Despoten, während des Beſtandes der Zwangsherrſchaft, eine wohlthätige Anwendung ſeiner unge- meſſenen Gewalt als Gewiſſenspflicht empfiehlt. Weniger erfreu- lich iſt ſchon, was der Staatskunſt zufällt. Zwar mag es immer den kalten Scharfſinn reizen, die Mittel anzugeben, durch welche die rein ſubjektive Gewaltherrſchaft eines Einzelnen feſt be- gründet und gegen innere und äußere Feinde geſchützt werden kann; und es zeigt ein weltberühmtes Beiſpiel, daß hier ſelbſt ein wiſſenſchaftliches Meiſterwerk geliefert werden mag 3); allein es widerſpricht doch eine ſolche Unterſuchung dem ſittlichen Ge- bote, und ſie erſcheint dem natürlichen Gefühle als ein fluch- würdiger Mißbrauch von Wiſſen und Nachdenken. Weniger haſſenswerth weil weniger gefährlich, aber auch geiſtig in weit geringerem Maaße anſprechend iſt endlich die Bearbeitung der Despotie vom Standpunkte des philoſophiſchen Staatsrechtes. Daſſelbe hat allerdings nicht die Aufgabe, die rechtliche Seite idealer Staatszuſtände zu entwickeln, vielmehr wird nur von ihm verlangt, daß es die Rechtsſätze aufſtelle, welche ſich aus dem Begriffe und dem Weſen der verſchiedenen Staats- formen ergeben, und in ſo ferne iſt auch die Despotie ein mög- licherweiſe von ihm zu beſprechender Gegenſtand. Aber nicht nur iſt ein Zuſtand unbedingter Berechtigung auf der einen, und abſoluten Mangels an Rechtsforderungen auf der andern Seite ein magerer Stoff für wiſſenſchaftliche Erörterungen; ſondern hauptſächlich iſt es widrig, ſich mit einer ſo tief ſtehenden und verächtlichen Lebensanſchauung zu beſchäftigen. Doch ver- ſteht ſich von ſelbſt, daß auch hier die richtige Behandlung nicht

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/386
Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 372. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/386>, abgerufen am 23.11.2024.