abgeschwächt sind die Zünfte und Gilden; noch loser endlich die gemeinschaftlichen Kreise der Bürger und Bauern, der Ge- werbenden und Kaufleute überhaupt, der Fabrikarbeiter und Fabrikbesitzer, u. s. f.
5. Gemeinschaftliche Verhältnisse des Be- sitzes; und zwar in zwei Beziehungen:
a.Größe des Besitzes. Ungleichheit des Vermögens gibt in der Regel eine verschiedene Lebensstellung, sowohl was den Einfluß auf Andere als was die Forderungen an die Ge- sammtheit betrifft. Daran knüpfen sich dann verschiedene Sitten und Sympathieen. Zu allen Zeiten haben die Reichen, die mittelmäßig Begüterten und die Armen scharf unterschiedene Abtheilungen der Gesellschaft gebildet, und ihre Interessen sind häufig, entweder in der Wirklichkeit oder doch in der Meinung der Betheiligten, ungleichartig und selbst feindselig gewesen. Daher denn ein natürliches Zusammenhalten, beziehungsweise Abstoßen; nicht selten sogar die furchtbarsten Kämpfe, namentlich wo der Reichthum der Einen die Ursache der Armuth der Andern zu sein schien, oder sonst das Uebergewicht des Reichthums miß- braucht wurde. Eine förmliche Organisation der verschiedenen Vermögensklassen ist allerdings nicht immer vorhanden, besonders nicht aller zu gleicher Zeit; allein theils besteht der Einfluß der verschiedenen Größe des Besitzes auch ohne eine äußere Ein- richtung, und macht sich in einem Gefühle der Gemeinschaftlichkeit und einem Bedürfniße gleichen Handelns geltend, theils kommt selbst eine Organisation nicht selten vor, entweder als eigene staatliche Einrichtung (Censusklassen), oder durch eine Verbindung mit anderweitigen gesellschaftlichen Gestaltungen, z. B. den Ge- burtsständen und den Beschäftigungsarten. In Fällen der letzteren Art tritt natürlich das eigenthümliche Interesse jeder Klasse sehr entschieden hervor und wird fest von den Genossen geschützt; freilich wohl auch grimmig angefeindet von den Un-
abgeſchwächt ſind die Zünfte und Gilden; noch loſer endlich die gemeinſchaftlichen Kreiſe der Bürger und Bauern, der Ge- werbenden und Kaufleute überhaupt, der Fabrikarbeiter und Fabrikbeſitzer, u. ſ. f.
5. Gemeinſchaftliche Verhältniſſe des Be- ſitzes; und zwar in zwei Beziehungen:
a.Größe des Beſitzes. Ungleichheit des Vermögens gibt in der Regel eine verſchiedene Lebensſtellung, ſowohl was den Einfluß auf Andere als was die Forderungen an die Ge- ſammtheit betrifft. Daran knüpfen ſich dann verſchiedene Sitten und Sympathieen. Zu allen Zeiten haben die Reichen, die mittelmäßig Begüterten und die Armen ſcharf unterſchiedene Abtheilungen der Geſellſchaft gebildet, und ihre Intereſſen ſind häufig, entweder in der Wirklichkeit oder doch in der Meinung der Betheiligten, ungleichartig und ſelbſt feindſelig geweſen. Daher denn ein natürliches Zuſammenhalten, beziehungsweiſe Abſtoßen; nicht ſelten ſogar die furchtbarſten Kämpfe, namentlich wo der Reichthum der Einen die Urſache der Armuth der Andern zu ſein ſchien, oder ſonſt das Uebergewicht des Reichthums miß- braucht wurde. Eine förmliche Organiſation der verſchiedenen Vermögensklaſſen iſt allerdings nicht immer vorhanden, beſonders nicht aller zu gleicher Zeit; allein theils beſteht der Einfluß der verſchiedenen Größe des Beſitzes auch ohne eine äußere Ein- richtung, und macht ſich in einem Gefühle der Gemeinſchaftlichkeit und einem Bedürfniße gleichen Handelns geltend, theils kommt ſelbſt eine Organiſation nicht ſelten vor, entweder als eigene ſtaatliche Einrichtung (Cenſusklaſſen), oder durch eine Verbindung mit anderweitigen geſellſchaftlichen Geſtaltungen, z. B. den Ge- burtsſtänden und den Beſchäftigungsarten. In Fällen der letzteren Art tritt natürlich das eigenthümliche Intereſſe jeder Klaſſe ſehr entſchieden hervor und wird feſt von den Genoſſen geſchützt; freilich wohl auch grimmig angefeindet von den Un-
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abgeſchwächt ſind die Zünfte und Gilden; noch loſer endlich
die gemeinſchaftlichen Kreiſe der Bürger und Bauern, der Ge-
werbenden und Kaufleute überhaupt, der Fabrikarbeiter und
Fabrikbeſitzer, u. ſ. f.
5. Gemeinſchaftliche Verhältniſſe des Be-
ſitzes; und zwar in zwei Beziehungen:
a. Größe des Beſitzes. Ungleichheit des Vermögens
gibt in der Regel eine verſchiedene Lebensſtellung, ſowohl was
den Einfluß auf Andere als was die Forderungen an die Ge-
ſammtheit betrifft. Daran knüpfen ſich dann verſchiedene Sitten
und Sympathieen. Zu allen Zeiten haben die Reichen, die
mittelmäßig Begüterten und die Armen ſcharf unterſchiedene
Abtheilungen der Geſellſchaft gebildet, und ihre Intereſſen ſind
häufig, entweder in der Wirklichkeit oder doch in der Meinung
der Betheiligten, ungleichartig und ſelbſt feindſelig geweſen.
Daher denn ein natürliches Zuſammenhalten, beziehungsweiſe
Abſtoßen; nicht ſelten ſogar die furchtbarſten Kämpfe, namentlich
wo der Reichthum der Einen die Urſache der Armuth der Andern
zu ſein ſchien, oder ſonſt das Uebergewicht des Reichthums miß-
braucht wurde. Eine förmliche Organiſation der verſchiedenen
Vermögensklaſſen iſt allerdings nicht immer vorhanden, beſonders
nicht aller zu gleicher Zeit; allein theils beſteht der Einfluß
der verſchiedenen Größe des Beſitzes auch ohne eine äußere Ein-
richtung, und macht ſich in einem Gefühle der Gemeinſchaftlichkeit
und einem Bedürfniße gleichen Handelns geltend, theils kommt
ſelbſt eine Organiſation nicht ſelten vor, entweder als eigene
ſtaatliche Einrichtung (Cenſusklaſſen), oder durch eine Verbindung
mit anderweitigen geſellſchaftlichen Geſtaltungen, z. B. den Ge-
burtsſtänden und den Beſchäftigungsarten. In Fällen der
letzteren Art tritt natürlich das eigenthümliche Intereſſe jeder
Klaſſe ſehr entſchieden hervor und wird feſt von den Genoſſen
geſchützt; freilich wohl auch grimmig angefeindet von den Un-
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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/37>, abgerufen am 23.11.2024.
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