Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

Bild:
<< vorherige Seite
§ 47.
b. Die Aristokratie.

Die Aristokratie ist diejenige Form des Rechtsstaates,
in welcher die Staatsgewalt von verhältnißmäßig We-
nigen
besessen und ausgeübt wird, und zwar aus eigenem
Rechte
. -- Eine bestimmte Verhältnißzahl ist nicht anzu-
geben; nur müssen allerdings, wenn der Begriff aufrecht erhal-
ten sein soll, die Regierenden in entschiedener Minderheit
gegenüber von der Gesammtmenge des Volkes sein. Der Besitz
der Gewalt aus eignem Rechte aber ist nothwendig, weil offenbar
Derjenige oder Diejenigen, welchen eine Ernennung der Re-
gierenden und eine Uebertragung der Staatsgewalt zustünde,
die eigentlichen Inhaber der letzteren wären, und somit die
Aristokratie gar keine eigenthümliche Staatsart, sondern nur
eine mehr oder weniger zweckmäßig eingerichtete Form entweder
der Monarchie oder der repräsentativen Demokratie bildete.
Wahl-Aristokratie ist ein Widerspruch in sich selbst 1).

Im positiven Rechte mag die Erwerbung der Gewalt von
Seiten einer Minderzahl auf verschiedene Weise vor sich gehen;
soll aber die Aristokratie im Systeme des philosophischen Staats-
rechtes eine Stelle einnehmen, so muß ein zureichender Grund
für diese Bevorzugung nachgewiesen werden können. In Er-
mangelung einer unbedingten logischen Nothwendigkeit reicht
freilich auch hier zu einem berechtigten Dasein eine entschiedene
Tauglichkeit zur Erreichung des Zweckes des Rechtsstaates aus.

Auf den ersten Blick bieten sich zweierlei Gründe einer
solchen Tauglichkeit bestimmter Weniger dar: ein entschiedener
thatsächlicher Einfluß auf die Gesellschaft und das Volk; und
der Besitz ausgezeichneter Eigenschaften zu einer guten Regierung.
In dem ersten Falle besitzt nämlich die regierende Minderheit
die Mittel, die aus ihrem Willen hervorgegangenen Staats-

§ 47.
β. Die Ariſtokratie.

Die Ariſtokratie iſt diejenige Form des Rechtsſtaates,
in welcher die Staatsgewalt von verhältnißmäßig We-
nigen
beſeſſen und ausgeübt wird, und zwar aus eigenem
Rechte
. — Eine beſtimmte Verhältnißzahl iſt nicht anzu-
geben; nur müſſen allerdings, wenn der Begriff aufrecht erhal-
ten ſein ſoll, die Regierenden in entſchiedener Minderheit
gegenüber von der Geſammtmenge des Volkes ſein. Der Beſitz
der Gewalt aus eignem Rechte aber iſt nothwendig, weil offenbar
Derjenige oder Diejenigen, welchen eine Ernennung der Re-
gierenden und eine Uebertragung der Staatsgewalt zuſtünde,
die eigentlichen Inhaber der letzteren wären, und ſomit die
Ariſtokratie gar keine eigenthümliche Staatsart, ſondern nur
eine mehr oder weniger zweckmäßig eingerichtete Form entweder
der Monarchie oder der repräſentativen Demokratie bildete.
Wahl-Ariſtokratie iſt ein Widerſpruch in ſich ſelbſt 1).

Im poſitiven Rechte mag die Erwerbung der Gewalt von
Seiten einer Minderzahl auf verſchiedene Weiſe vor ſich gehen;
ſoll aber die Ariſtokratie im Syſteme des philoſophiſchen Staats-
rechtes eine Stelle einnehmen, ſo muß ein zureichender Grund
für dieſe Bevorzugung nachgewieſen werden können. In Er-
mangelung einer unbedingten logiſchen Nothwendigkeit reicht
freilich auch hier zu einem berechtigten Daſein eine entſchiedene
Tauglichkeit zur Erreichung des Zweckes des Rechtsſtaates aus.

Auf den erſten Blick bieten ſich zweierlei Gründe einer
ſolchen Tauglichkeit beſtimmter Weniger dar: ein entſchiedener
thatſächlicher Einfluß auf die Geſellſchaft und das Volk; und
der Beſitz ausgezeichneter Eigenſchaften zu einer guten Regierung.
In dem erſten Falle beſitzt nämlich die regierende Minderheit
die Mittel, die aus ihrem Willen hervorgegangenen Staats-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <pb facs="#f0362" n="348"/>
                    <div n="8">
                      <head>§ 47.<lb/><hi rendition="#i">&#x03B2;</hi>. <hi rendition="#g">Die Ari&#x017F;tokratie</hi>.</head><lb/>
                      <p>Die <hi rendition="#g">Ari&#x017F;tokratie</hi> i&#x017F;t diejenige Form des Rechts&#x017F;taates,<lb/>
in welcher die Staatsgewalt von <hi rendition="#g">verhältnißmäßig We-<lb/>
nigen</hi> be&#x017F;e&#x017F;&#x017F;en und ausgeübt wird, und zwar aus <hi rendition="#g">eigenem<lb/>
Rechte</hi>. &#x2014; Eine be&#x017F;timmte Verhältnißzahl i&#x017F;t nicht anzu-<lb/>
geben; nur mü&#x017F;&#x017F;en allerdings, wenn der Begriff aufrecht erhal-<lb/>
ten &#x017F;ein &#x017F;oll, die Regierenden in ent&#x017F;chiedener Minderheit<lb/>
gegenüber von der Ge&#x017F;ammtmenge des Volkes &#x017F;ein. Der Be&#x017F;itz<lb/>
der Gewalt aus eignem Rechte aber i&#x017F;t nothwendig, weil offenbar<lb/>
Derjenige oder Diejenigen, welchen eine Ernennung der Re-<lb/>
gierenden und eine Uebertragung der Staatsgewalt zu&#x017F;tünde,<lb/>
die eigentlichen Inhaber der letzteren wären, und &#x017F;omit die<lb/>
Ari&#x017F;tokratie gar keine eigenthümliche Staatsart, &#x017F;ondern nur<lb/>
eine mehr oder weniger zweckmäßig eingerichtete Form entweder<lb/>
der Monarchie oder der reprä&#x017F;entativen Demokratie bildete.<lb/>
Wahl-Ari&#x017F;tokratie i&#x017F;t ein Wider&#x017F;pruch in &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t <hi rendition="#sup">1</hi>).</p><lb/>
                      <p>Im po&#x017F;itiven Rechte mag die Erwerbung der Gewalt von<lb/>
Seiten einer Minderzahl auf ver&#x017F;chiedene Wei&#x017F;e vor &#x017F;ich gehen;<lb/>
&#x017F;oll aber die Ari&#x017F;tokratie im Sy&#x017F;teme des philo&#x017F;ophi&#x017F;chen Staats-<lb/>
rechtes eine Stelle einnehmen, &#x017F;o muß ein zureichender Grund<lb/>
für die&#x017F;e Bevorzugung nachgewie&#x017F;en werden können. In Er-<lb/>
mangelung einer unbedingten logi&#x017F;chen Nothwendigkeit reicht<lb/>
freilich auch hier zu einem berechtigten Da&#x017F;ein eine ent&#x017F;chiedene<lb/>
Tauglichkeit zur Erreichung des Zweckes des Rechts&#x017F;taates aus.</p><lb/>
                      <p>Auf den er&#x017F;ten Blick bieten &#x017F;ich zweierlei Gründe einer<lb/>
&#x017F;olchen Tauglichkeit be&#x017F;timmter Weniger dar: ein ent&#x017F;chiedener<lb/>
that&#x017F;ächlicher Einfluß auf die Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft und das Volk; und<lb/>
der Be&#x017F;itz ausgezeichneter Eigen&#x017F;chaften zu einer guten Regierung.<lb/>
In dem er&#x017F;ten Falle be&#x017F;itzt nämlich die regierende Minderheit<lb/>
die Mittel, die aus ihrem Willen hervorgegangenen Staats-<lb/></p>
                    </div>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[348/0362] § 47. β. Die Ariſtokratie. Die Ariſtokratie iſt diejenige Form des Rechtsſtaates, in welcher die Staatsgewalt von verhältnißmäßig We- nigen beſeſſen und ausgeübt wird, und zwar aus eigenem Rechte. — Eine beſtimmte Verhältnißzahl iſt nicht anzu- geben; nur müſſen allerdings, wenn der Begriff aufrecht erhal- ten ſein ſoll, die Regierenden in entſchiedener Minderheit gegenüber von der Geſammtmenge des Volkes ſein. Der Beſitz der Gewalt aus eignem Rechte aber iſt nothwendig, weil offenbar Derjenige oder Diejenigen, welchen eine Ernennung der Re- gierenden und eine Uebertragung der Staatsgewalt zuſtünde, die eigentlichen Inhaber der letzteren wären, und ſomit die Ariſtokratie gar keine eigenthümliche Staatsart, ſondern nur eine mehr oder weniger zweckmäßig eingerichtete Form entweder der Monarchie oder der repräſentativen Demokratie bildete. Wahl-Ariſtokratie iſt ein Widerſpruch in ſich ſelbſt 1). Im poſitiven Rechte mag die Erwerbung der Gewalt von Seiten einer Minderzahl auf verſchiedene Weiſe vor ſich gehen; ſoll aber die Ariſtokratie im Syſteme des philoſophiſchen Staats- rechtes eine Stelle einnehmen, ſo muß ein zureichender Grund für dieſe Bevorzugung nachgewieſen werden können. In Er- mangelung einer unbedingten logiſchen Nothwendigkeit reicht freilich auch hier zu einem berechtigten Daſein eine entſchiedene Tauglichkeit zur Erreichung des Zweckes des Rechtsſtaates aus. Auf den erſten Blick bieten ſich zweierlei Gründe einer ſolchen Tauglichkeit beſtimmter Weniger dar: ein entſchiedener thatſächlicher Einfluß auf die Geſellſchaft und das Volk; und der Beſitz ausgezeichneter Eigenſchaften zu einer guten Regierung. In dem erſten Falle beſitzt nämlich die regierende Minderheit die Mittel, die aus ihrem Willen hervorgegangenen Staats-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/362
Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 348. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/362>, abgerufen am 23.11.2024.