Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.die Vorzüge aller übrigen, auch die im Grundsatze verschiedenen mit einge- schlossen, vereinigt werden. -- Vollkommen verkehrt und auf falsche Art geistreich ist es, wenn Zachariä, a. a. O., S. 206, gar der Repräsen- tativ-Demokratie die Absicht unterlegt, durch eine "Wahlaristokratie" die Demokratie zu mäßigen. Die Aufgabe ist ja nicht, dem wirklichen Willen des rechtmäßigen Inhabers der Staatsgewalt einen andern unterzuschieben, sondern vielmehr diesem mit möglichster Sicherheit den wahren Ausdruck zu verschaffen. Und daß die Häupter und Stimmführer der politischen Mei- nungen immer nur wesentlich gemäßigter seien, als die Masse, ist auch eine völlig willkürliche Annahme, welche den Thatsachen keineswegs ent- spricht. 8) Unzweifelhaft sind solche unmittelbare Abstimmungen des ganzen Volkes von mannchfachen Nachtheilen und Gefahren begleitet, (vergl. Bluntschli, a. a. O., S. 280); allein auch hier müssen die rechtlich nothwendigen Folgen des obersten Grundsatzes getragen werden. -- Die Bemerkung, daß in den Vereinigten Staaten Verfassungsabänderungen durch eigens gewählte zahlrreichere Versammlungen beschlossen werden, ist that- sächlich keineswegs richtig. Solche "Conventionen" bereiten allerdings die Abänderungsbeschlüsse vor; allein in der Regel behält sich das Volk die Schlußabstimmung vor. So verwarf z. B. im Jahre 1853 das Volk von Massachusetts die von der Convention vorbereiteten Verfassungsänderungen. S. Krit. Zeitschr. für auswärt. Rechtsw., Bd. XXVII, S. 283 fg. 9) Der Beispiele von Besorgung der Regierungsgeschäfte durch die vertretende Versammlung selbst und ohne eine von ihr verschiedene Ver- waltung sind allerdings selten; und, was noch schlimmer ist, sie sind sämmtlich nur in Zeiten revolutionärer Aufregung und Unordnung, nicht aber als regelmäßige Einrichtung vorgekommen. So z. B. in England unter dem Langen Parlamente, in Amerika (so weit das Beispiel paßt) während des Revolutionskrieges beim Congresse, in Frankreich beim Natio- nalconvente. Es läßt sich also aus diesen Vorgängen für die Theorie wenig entnehmen; und dies um so weniger, als wenigstens hinsichtlich der beiden europäischen Vorkommnisse die Geschichte sich nur sehr ungenügend mit dieser Seite der Zustände beschäftigt hat. Das Beispiel der Vereinigten Staaten, welche mit Aufstellung einer gesonderten Regierung vorangegangen sind, hat auch wohl eine Wiederholung des Versuches, alle Geschäfte Einer Versamm- lung zu übertragen, für künftig unwahrscheinlich gemacht, selbst für wenig geordnete Zustände. Wenigstens ist in Frankfurt im Jahre 1848 alsbald die Bestellung einer von der Versammlung verschiedenen Regierung beschlossen worden. die Vorzüge aller übrigen, auch die im Grundſatze verſchiedenen mit einge- ſchloſſen, vereinigt werden. — Vollkommen verkehrt und auf falſche Art geiſtreich iſt es, wenn Zachariä, a. a. O., S. 206, gar der Repräſen- tativ-Demokratie die Abſicht unterlegt, durch eine „Wahlariſtokratie“ die Demokratie zu mäßigen. Die Aufgabe iſt ja nicht, dem wirklichen Willen des rechtmäßigen Inhabers der Staatsgewalt einen andern unterzuſchieben, ſondern vielmehr dieſem mit möglichſter Sicherheit den wahren Ausdruck zu verſchaffen. Und daß die Häupter und Stimmführer der politiſchen Mei- nungen immer nur weſentlich gemäßigter ſeien, als die Maſſe, iſt auch eine völlig willkürliche Annahme, welche den Thatſachen keineswegs ent- ſpricht. 8) Unzweifelhaft ſind ſolche unmittelbare Abſtimmungen des ganzen Volkes von mannchfachen Nachtheilen und Gefahren begleitet, (vergl. Bluntſchli, a. a. O., S. 280); allein auch hier müſſen die rechtlich nothwendigen Folgen des oberſten Grundſatzes getragen werden. — Die Bemerkung, daß in den Vereinigten Staaten Verfaſſungsabänderungen durch eigens gewählte zahlrreichere Verſammlungen beſchloſſen werden, iſt that- ſächlich keineswegs richtig. Solche „Conventionen“ bereiten allerdings die Abänderungsbeſchlüſſe vor; allein in der Regel behält ſich das Volk die Schlußabſtimmung vor. So verwarf z. B. im Jahre 1853 das Volk von Maſſachuſetts die von der Convention vorbereiteten Verfaſſungsänderungen. S. Krit. Zeitſchr. für auswärt. Rechtsw., Bd. XXVII, S. 283 fg. 9) Der Beiſpiele von Beſorgung der Regierungsgeſchäfte durch die vertretende Verſammlung ſelbſt und ohne eine von ihr verſchiedene Ver- waltung ſind allerdings ſelten; und, was noch ſchlimmer iſt, ſie ſind ſämmtlich nur in Zeiten revolutionärer Aufregung und Unordnung, nicht aber als regelmäßige Einrichtung vorgekommen. So z. B. in England unter dem Langen Parlamente, in Amerika (ſo weit das Beiſpiel paßt) während des Revolutionskrieges beim Congreſſe, in Frankreich beim Natio- nalconvente. Es läßt ſich alſo aus dieſen Vorgängen für die Theorie wenig entnehmen; und dies um ſo weniger, als wenigſtens hinſichtlich der beiden europäiſchen Vorkommniſſe die Geſchichte ſich nur ſehr ungenügend mit dieſer Seite der Zuſtände beſchäftigt hat. Das Beiſpiel der Vereinigten Staaten, welche mit Aufſtellung einer geſonderten Regierung vorangegangen ſind, hat auch wohl eine Wiederholung des Verſuches, alle Geſchäfte Einer Verſamm- lung zu übertragen, für künftig unwahrſcheinlich gemacht, ſelbſt für wenig geordnete Zuſtände. Wenigſtens iſt in Frankfurt im Jahre 1848 alsbald die Beſtellung einer von der Verſammlung verſchiedenen Regierung beſchloſſen worden. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <div n="8"> <note place="end" n="7)"><pb facs="#f0361" n="347"/> die Vorzüge aller übrigen, auch die im Grundſatze verſchiedenen mit einge-<lb/> ſchloſſen, vereinigt werden. — Vollkommen verkehrt und auf falſche Art<lb/> geiſtreich iſt es, wenn <hi rendition="#g">Zachariä</hi>, a. a. O., S. 206, gar der Repräſen-<lb/> tativ-Demokratie die Abſicht unterlegt, durch eine „Wahlariſtokratie“ die<lb/> Demokratie zu mäßigen. Die Aufgabe iſt ja nicht, dem wirklichen Willen<lb/> des rechtmäßigen Inhabers der Staatsgewalt einen andern unterzuſchieben,<lb/> ſondern vielmehr dieſem mit möglichſter Sicherheit den wahren Ausdruck zu<lb/> verſchaffen. 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⁷⁾ die Vorzüge aller übrigen, auch die im Grundſatze verſchiedenen mit einge-
ſchloſſen, vereinigt werden. — Vollkommen verkehrt und auf falſche Art
geiſtreich iſt es, wenn Zachariä, a. a. O., S. 206, gar der Repräſen-
tativ-Demokratie die Abſicht unterlegt, durch eine „Wahlariſtokratie“ die
Demokratie zu mäßigen. Die Aufgabe iſt ja nicht, dem wirklichen Willen
des rechtmäßigen Inhabers der Staatsgewalt einen andern unterzuſchieben,
ſondern vielmehr dieſem mit möglichſter Sicherheit den wahren Ausdruck zu
verſchaffen. Und daß die Häupter und Stimmführer der politiſchen Mei-
nungen immer nur weſentlich gemäßigter ſeien, als die Maſſe, iſt auch
eine völlig willkürliche Annahme, welche den Thatſachen keineswegs ent-
ſpricht.
⁸⁾ Unzweifelhaft ſind ſolche unmittelbare Abſtimmungen des ganzen
Volkes von mannchfachen Nachtheilen und Gefahren begleitet, (vergl.
Bluntſchli, a. a. O., S. 280); allein auch hier müſſen die rechtlich
nothwendigen Folgen des oberſten Grundſatzes getragen werden. — Die
Bemerkung, daß in den Vereinigten Staaten Verfaſſungsabänderungen durch
eigens gewählte zahlrreichere Verſammlungen beſchloſſen werden, iſt that-
ſächlich keineswegs richtig. Solche „Conventionen“ bereiten allerdings die
Abänderungsbeſchlüſſe vor; allein in der Regel behält ſich das Volk die
Schlußabſtimmung vor. So verwarf z. B. im Jahre 1853 das Volk von
Maſſachuſetts die von der Convention vorbereiteten Verfaſſungsänderungen.
S. Krit. Zeitſchr. für auswärt. Rechtsw., Bd. XXVII, S. 283 fg.
⁹⁾ Der Beiſpiele von Beſorgung der Regierungsgeſchäfte durch die
vertretende Verſammlung ſelbſt und ohne eine von ihr verſchiedene Ver-
waltung ſind allerdings ſelten; und, was noch ſchlimmer iſt, ſie ſind
ſämmtlich nur in Zeiten revolutionärer Aufregung und Unordnung, nicht
aber als regelmäßige Einrichtung vorgekommen. So z. B. in England
unter dem Langen Parlamente, in Amerika (ſo weit das Beiſpiel paßt)
während des Revolutionskrieges beim Congreſſe, in Frankreich beim Natio-
nalconvente. Es läßt ſich alſo aus dieſen Vorgängen für die Theorie wenig
entnehmen; und dies um ſo weniger, als wenigſtens hinſichtlich der beiden
europäiſchen Vorkommniſſe die Geſchichte ſich nur ſehr ungenügend mit dieſer
Seite der Zuſtände beſchäftigt hat. Das Beiſpiel der Vereinigten Staaten,
welche mit Aufſtellung einer geſonderten Regierung vorangegangen ſind, hat
auch wohl eine Wiederholung des Verſuches, alle Geſchäfte Einer Verſamm-
lung zu übertragen, für künftig unwahrſcheinlich gemacht, ſelbſt für wenig
geordnete Zuſtände. Wenigſtens iſt in Frankfurt im Jahre 1848 alsbald
die Beſtellung einer von der Verſammlung verſchiedenen Regierung beſchloſſen
worden.
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