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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

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zwischen der großen Versammlung und dem Senate und die
Verbindung der einzelnen Mitglieder der letzteren mit ihren
Mitbürgern sicher zu stellen. Daß die hauptsächlichsten Beamten
im kleineren Rathe sitzen, versteht sich von selbst. Im Uebrigen
kann die Wahl aller Beamten immer nur auf eine bestimmte
kurze Zeit stattfinden, damit dieselben nicht durch den Einfluß
des Amtes sich den Weg zu verfassungswidriger Gewalt bahnen.
Die Beschäftigungen aller Bürger mit Staatsangelegenheiten
und die, wenigstens regelmäßige, größere Einfachheit der Ein-
richtungen und Verhältnisse in einer Volksherrschaft vermindern
die Nachtheile einer solchen Besetzung der Stellen.

Von den staatsbürgerlichen Rechten ist in einer
Volksherrschaft das Recht der freien Gedankenäußerung und das
Recht zu Versammlungen und Vereinen von besonderem Werthe;
ebenso eine möglichst freie Gemeindeverfassung, theils als folge-
richtige Anwendung des Gedankens der Volksherrschaft, theils
als unerläßliche Uebung in der Selbstregierung. Dagegen
lassen sich in dieser Staatsgattung strenge Sittengesetze zur
Aufrechterhaltung der Volkseigenthümlichkeit, und selbst tief
einschneidende Bestimmungen zur Verhinderung sowohl über-
mäßigen Reichthums als unabhängig machender Armuth zur
Erhaltung der Gleichheit unter den Bürgern rechtfertigen.

II. Die Volksherrschaft durch Vertretung (re-
präsentative Demokratie).

Das Nichteintreten der oben angedeuteten sachlichen Be-
dingungen einer reinen Volksherrschaft mittelst allgemeiner Ver-
sammlung, verbunden mit der Abneigung gegen eine Beherrschung
durch einen Einzelnen oder durch Wenige, haben unter den
Völkern der Neuzeit den Gedanken erzeugt, sich zwar volksthümlich
aber doch nur mittelst Abgeordneter aus der Mitte
der Bürger
zu regieren. In den meisten Fällen, doch nicht
in allen und nicht nothwendig, kam hierzu noch die Ueber-

zwiſchen der großen Verſammlung und dem Senate und die
Verbindung der einzelnen Mitglieder der letzteren mit ihren
Mitbürgern ſicher zu ſtellen. Daß die hauptſächlichſten Beamten
im kleineren Rathe ſitzen, verſteht ſich von ſelbſt. Im Uebrigen
kann die Wahl aller Beamten immer nur auf eine beſtimmte
kurze Zeit ſtattfinden, damit dieſelben nicht durch den Einfluß
des Amtes ſich den Weg zu verfaſſungswidriger Gewalt bahnen.
Die Beſchäftigungen aller Bürger mit Staatsangelegenheiten
und die, wenigſtens regelmäßige, größere Einfachheit der Ein-
richtungen und Verhältniſſe in einer Volksherrſchaft vermindern
die Nachtheile einer ſolchen Beſetzung der Stellen.

Von den ſtaatsbürgerlichen Rechten iſt in einer
Volksherrſchaft das Recht der freien Gedankenäußerung und das
Recht zu Verſammlungen und Vereinen von beſonderem Werthe;
ebenſo eine möglichſt freie Gemeindeverfaſſung, theils als folge-
richtige Anwendung des Gedankens der Volksherrſchaft, theils
als unerläßliche Uebung in der Selbſtregierung. Dagegen
laſſen ſich in dieſer Staatsgattung ſtrenge Sittengeſetze zur
Aufrechterhaltung der Volkseigenthümlichkeit, und ſelbſt tief
einſchneidende Beſtimmungen zur Verhinderung ſowohl über-
mäßigen Reichthums als unabhängig machender Armuth zur
Erhaltung der Gleichheit unter den Bürgern rechtfertigen.

II. Die Volksherrſchaft durch Vertretung (re-
präſentative Demokratie).

Das Nichteintreten der oben angedeuteten ſachlichen Be-
dingungen einer reinen Volksherrſchaft mittelſt allgemeiner Ver-
ſammlung, verbunden mit der Abneigung gegen eine Beherrſchung
durch einen Einzelnen oder durch Wenige, haben unter den
Völkern der Neuzeit den Gedanken erzeugt, ſich zwar volksthümlich
aber doch nur mittelſt Abgeordneter aus der Mitte
der Bürger
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in allen und nicht nothwendig, kam hierzu noch die Ueber-

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[341/0355] zwiſchen der großen Verſammlung und dem Senate und die Verbindung der einzelnen Mitglieder der letzteren mit ihren Mitbürgern ſicher zu ſtellen. Daß die hauptſächlichſten Beamten im kleineren Rathe ſitzen, verſteht ſich von ſelbſt. Im Uebrigen kann die Wahl aller Beamten immer nur auf eine beſtimmte kurze Zeit ſtattfinden, damit dieſelben nicht durch den Einfluß des Amtes ſich den Weg zu verfaſſungswidriger Gewalt bahnen. Die Beſchäftigungen aller Bürger mit Staatsangelegenheiten und die, wenigſtens regelmäßige, größere Einfachheit der Ein- richtungen und Verhältniſſe in einer Volksherrſchaft vermindern die Nachtheile einer ſolchen Beſetzung der Stellen. Von den ſtaatsbürgerlichen Rechten iſt in einer Volksherrſchaft das Recht der freien Gedankenäußerung und das Recht zu Verſammlungen und Vereinen von beſonderem Werthe; ebenſo eine möglichſt freie Gemeindeverfaſſung, theils als folge- richtige Anwendung des Gedankens der Volksherrſchaft, theils als unerläßliche Uebung in der Selbſtregierung. Dagegen laſſen ſich in dieſer Staatsgattung ſtrenge Sittengeſetze zur Aufrechterhaltung der Volkseigenthümlichkeit, und ſelbſt tief einſchneidende Beſtimmungen zur Verhinderung ſowohl über- mäßigen Reichthums als unabhängig machender Armuth zur Erhaltung der Gleichheit unter den Bürgern rechtfertigen. II. Die Volksherrſchaft durch Vertretung (re- präſentative Demokratie). Das Nichteintreten der oben angedeuteten ſachlichen Be- dingungen einer reinen Volksherrſchaft mittelſt allgemeiner Ver- ſammlung, verbunden mit der Abneigung gegen eine Beherrſchung durch einen Einzelnen oder durch Wenige, haben unter den Völkern der Neuzeit den Gedanken erzeugt, ſich zwar volksthümlich aber doch nur mittelſt Abgeordneter aus der Mitte der Bürger zu regieren. In den meiſten Fällen, doch nicht in allen und nicht nothwendig, kam hierzu noch die Ueber-

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Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 341. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/355>, abgerufen am 24.11.2024.