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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

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Eigenthümlichkeit jeder dieser Formen von großer Wichtigkeit
für die Erreichung der Zwecke des Volkes im Rechtsstaate ist,
je nach der concreten Gesittigungsstufe und nach den äußern
Umständen, so findet die Lehre von Verbesserungen im Staate
und nöthigenfalls von gewaltsamen Aenderungen (s. oben, § 22)
auch im Innern dieser einzelnen Staatsgattung ihre volle An-
wendung.

1) Der Umstand, daß auch der klassische Staat des Alterthums die
drei Formen der Monarchie, der Aristokratie und der Demokratie kannte,
hat zu dem Irrthume beigetragen, als ob diese Dreitheilung die überhaupt
für alle Staaten gültige sei. Es ist aber vielmehr zufällig, daß auch die
Erreichung der Zwecke des Rechtsstaates mit diesen drei Formen vereinbar
ist; wie denn nicht nur das Grundverhältniß derselben zu dem besondern
Staatsgedanken ein wesentlich verschiedenes von den Verhältnissen im
klassischen Staate ist, fondern auch die einzelnen Formen in beiden Staats-
gattungen wesentlich abweichender Art sind.
2) Die Aristokratie hat keine Unterarten, indem eine Theilnahme des
Volkes an der Regierung, also etwa eine repräsentative Aristokratie, zwar
nicht rechtlich unmöglich wäre, wohl aber aus Klugheitsgründen zu allen
Zeiten unterlassen worden ist.
§ 46.
a. Die Volksherrschaften.

Die Volksherrschaft, und zwar in ihren beiden Formen,
beruht auf dem doppelten Satze: daß es ein natürliches Recht
jedes selbstständigen und urtheilsfähigen Menschen sei, seine
eigenen Angelegenheiten selbst zu besorgen, und somit denn auch
das Recht der gesammten Bürger, die staatlichen Geschäfte zu
ordnen; sodann, daß immer die Minderzahl sich der Mehrzahl
bei Beschlüssen über gemeinschaftliche Rechte und Interessen zu
fügen habe 1). Durch den ersten Satz wird die Regierung eines
Einzelnen oder Einzelner, sei es nun aus eigenem oder aus
übertragenem Rechte, grundsätzlich ausgeschlossen. Der zweite
Satz aber ist die unerläßliche Bedingung der Ordnung und

Eigenthümlichkeit jeder dieſer Formen von großer Wichtigkeit
für die Erreichung der Zwecke des Volkes im Rechtsſtaate iſt,
je nach der concreten Geſittigungsſtufe und nach den äußern
Umſtänden, ſo findet die Lehre von Verbeſſerungen im Staate
und nöthigenfalls von gewaltſamen Aenderungen (ſ. oben, § 22)
auch im Innern dieſer einzelnen Staatsgattung ihre volle An-
wendung.

1) Der Umſtand, daß auch der klaſſiſche Staat des Alterthums die
drei Formen der Monarchie, der Ariſtokratie und der Demokratie kannte,
hat zu dem Irrthume beigetragen, als ob dieſe Dreitheilung die überhaupt
für alle Staaten gültige ſei. Es iſt aber vielmehr zufällig, daß auch die
Erreichung der Zwecke des Rechtsſtaates mit dieſen drei Formen vereinbar
iſt; wie denn nicht nur das Grundverhältniß derſelben zu dem beſondern
Staatsgedanken ein weſentlich verſchiedenes von den Verhältniſſen im
klaſſiſchen Staate iſt, fondern auch die einzelnen Formen in beiden Staats-
gattungen weſentlich abweichender Art ſind.
2) Die Ariſtokratie hat keine Unterarten, indem eine Theilnahme des
Volkes an der Regierung, alſo etwa eine repräſentative Ariſtokratie, zwar
nicht rechtlich unmöglich wäre, wohl aber aus Klugheitsgründen zu allen
Zeiten unterlaſſen worden iſt.
§ 46.
α. Die Volksherrſchaften.

Die Volksherrſchaft, und zwar in ihren beiden Formen,
beruht auf dem doppelten Satze: daß es ein natürliches Recht
jedes ſelbſtſtändigen und urtheilsfähigen Menſchen ſei, ſeine
eigenen Angelegenheiten ſelbſt zu beſorgen, und ſomit denn auch
das Recht der geſammten Bürger, die ſtaatlichen Geſchäfte zu
ordnen; ſodann, daß immer die Minderzahl ſich der Mehrzahl
bei Beſchlüſſen über gemeinſchaftliche Rechte und Intereſſen zu
fügen habe 1). Durch den erſten Satz wird die Regierung eines
Einzelnen oder Einzelner, ſei es nun aus eigenem oder aus
übertragenem Rechte, grundſätzlich ausgeſchloſſen. Der zweite
Satz aber iſt die unerläßliche Bedingung der Ordnung und

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[335/0349] Eigenthümlichkeit jeder dieſer Formen von großer Wichtigkeit für die Erreichung der Zwecke des Volkes im Rechtsſtaate iſt, je nach der concreten Geſittigungsſtufe und nach den äußern Umſtänden, ſo findet die Lehre von Verbeſſerungen im Staate und nöthigenfalls von gewaltſamen Aenderungen (ſ. oben, § 22) auch im Innern dieſer einzelnen Staatsgattung ihre volle An- wendung. ¹⁾ Der Umſtand, daß auch der klaſſiſche Staat des Alterthums die drei Formen der Monarchie, der Ariſtokratie und der Demokratie kannte, hat zu dem Irrthume beigetragen, als ob dieſe Dreitheilung die überhaupt für alle Staaten gültige ſei. Es iſt aber vielmehr zufällig, daß auch die Erreichung der Zwecke des Rechtsſtaates mit dieſen drei Formen vereinbar iſt; wie denn nicht nur das Grundverhältniß derſelben zu dem beſondern Staatsgedanken ein weſentlich verſchiedenes von den Verhältniſſen im klaſſiſchen Staate iſt, fondern auch die einzelnen Formen in beiden Staats- gattungen weſentlich abweichender Art ſind. ²⁾ Die Ariſtokratie hat keine Unterarten, indem eine Theilnahme des Volkes an der Regierung, alſo etwa eine repräſentative Ariſtokratie, zwar nicht rechtlich unmöglich wäre, wohl aber aus Klugheitsgründen zu allen Zeiten unterlaſſen worden iſt. § 46. α. Die Volksherrſchaften. Die Volksherrſchaft, und zwar in ihren beiden Formen, beruht auf dem doppelten Satze: daß es ein natürliches Recht jedes ſelbſtſtändigen und urtheilsfähigen Menſchen ſei, ſeine eigenen Angelegenheiten ſelbſt zu beſorgen, und ſomit denn auch das Recht der geſammten Bürger, die ſtaatlichen Geſchäfte zu ordnen; ſodann, daß immer die Minderzahl ſich der Mehrzahl bei Beſchlüſſen über gemeinſchaftliche Rechte und Intereſſen zu fügen habe 1). Durch den erſten Satz wird die Regierung eines Einzelnen oder Einzelner, ſei es nun aus eigenem oder aus übertragenem Rechte, grundſätzlich ausgeſchloſſen. Der zweite Satz aber iſt die unerläßliche Bedingung der Ordnung und

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Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 335. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/349>, abgerufen am 24.11.2024.