sönlichen Eigenschaft, sei es als Mitglieder von Korporationen oder gesellschaftlichen Kreisen. Da der Rechtsstaat die Lebens- zwecke aller seiner Bürger gleichmäßig zu fördern beabsichtigt, so haben alle auch gleiche Verpflichtung gegen ihn, und eine Ausnahme oder Begünstigung Einzelner in Beziehung auf Lei- stung und Gehorsam ist unvereinbar mit dem Wesen dieser Staatsgattung, überdieß eine Ungerechtigkeit, mindestens eine unbillige Ungleichheit, gegenüber von den zur vollen Verflich- tung Angehaltenen.
Berechtigung zur Vornahme aller Maßregeln, welche zur Erreichung des Staatszweckes erforderlich sind. Für gewöhnlich sind natürlich die regelmäßigen Vorschriften und Formen der Verfassung einzuhalten; allein in außerordentlichen Fällen muß auch ein Recht zu entsprechenden ungewöhnlichen Handlungen in Anspruch genommen werden, selbst wenn die Gesetzgebung die Befugniß nicht ausdrücklich ausspricht. Ein solches Recht steht allerdings, verständigerweise, der Regierung jedes Staates zu, welcher Gattung diese immer angehöre; allein im Rechtsstaate ist es besonders hervorzuheben, da einer Seits derselbe bei seiner weiten Aufgabe leichter in den Fall kommt, es zu gebrauchen, anderer Seits die Vereinigung einer solchen außerordentlichen Befugniß mit den Verfassungsformen mehrerer Arten des Rechtsstaates schwer zu bewerkstelligen ist. Die Auf- gabe des Staates ist hier nicht, wie im Patrimonialstaate, auf einzelne genau umgrenzte Fälle beschränkt; und die Staats- gewalt kann nicht, wie etwa in einer Theokratie, die ihr feh- lende Macht von einer außer und über ihr stehenden, in ihrer Berechtigung unanfechtbaren Gewalt erhalten: sondern man muß in der rein verständigen, zur Umfassung des ganzen menschlichen Lebens bestimmten und ein geschlossenes Ganzes bildenden Einrichtung sich einfach auf den logischen Satz stützen, daß wer den Zweck will, auch die Mittel wollen muß; und es
ſönlichen Eigenſchaft, ſei es als Mitglieder von Korporationen oder geſellſchaftlichen Kreiſen. Da der Rechtsſtaat die Lebens- zwecke aller ſeiner Bürger gleichmäßig zu fördern beabſichtigt, ſo haben alle auch gleiche Verpflichtung gegen ihn, und eine Ausnahme oder Begünſtigung Einzelner in Beziehung auf Lei- ſtung und Gehorſam iſt unvereinbar mit dem Weſen dieſer Staatsgattung, überdieß eine Ungerechtigkeit, mindeſtens eine unbillige Ungleichheit, gegenüber von den zur vollen Verflich- tung Angehaltenen.
Berechtigung zur Vornahme aller Maßregeln, welche zur Erreichung des Staatszweckes erforderlich ſind. Für gewöhnlich ſind natürlich die regelmäßigen Vorſchriften und Formen der Verfaſſung einzuhalten; allein in außerordentlichen Fällen muß auch ein Recht zu entſprechenden ungewöhnlichen Handlungen in Anſpruch genommen werden, ſelbſt wenn die Geſetzgebung die Befugniß nicht ausdrücklich ausſpricht. Ein ſolches Recht ſteht allerdings, verſtändigerweiſe, der Regierung jedes Staates zu, welcher Gattung dieſe immer angehöre; allein im Rechtsſtaate iſt es beſonders hervorzuheben, da einer Seits derſelbe bei ſeiner weiten Aufgabe leichter in den Fall kommt, es zu gebrauchen, anderer Seits die Vereinigung einer ſolchen außerordentlichen Befugniß mit den Verfaſſungsformen mehrerer Arten des Rechtsſtaates ſchwer zu bewerkſtelligen iſt. Die Auf- gabe des Staates iſt hier nicht, wie im Patrimonialſtaate, auf einzelne genau umgrenzte Fälle beſchränkt; und die Staats- gewalt kann nicht, wie etwa in einer Theokratie, die ihr feh- lende Macht von einer außer und über ihr ſtehenden, in ihrer Berechtigung unanfechtbaren Gewalt erhalten: ſondern man muß in der rein verſtändigen, zur Umfaſſung des ganzen menſchlichen Lebens beſtimmten und ein geſchloſſenes Ganzes bildenden Einrichtung ſich einfach auf den logiſchen Satz ſtützen, daß wer den Zweck will, auch die Mittel wollen muß; und es
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ſönlichen Eigenſchaft, ſei es als Mitglieder von Korporationen
oder geſellſchaftlichen Kreiſen. Da der Rechtsſtaat die Lebens-
zwecke aller ſeiner Bürger gleichmäßig zu fördern beabſichtigt,
ſo haben alle auch gleiche Verpflichtung gegen ihn, und eine
Ausnahme oder Begünſtigung Einzelner in Beziehung auf Lei-
ſtung und Gehorſam iſt unvereinbar mit dem Weſen dieſer
Staatsgattung, überdieß eine Ungerechtigkeit, mindeſtens eine
unbillige Ungleichheit, gegenüber von den zur vollen Verflich-
tung Angehaltenen.
Berechtigung zur Vornahme aller Maßregeln,
welche zur Erreichung des Staatszweckes erforderlich ſind. Für
gewöhnlich ſind natürlich die regelmäßigen Vorſchriften und
Formen der Verfaſſung einzuhalten; allein in außerordentlichen
Fällen muß auch ein Recht zu entſprechenden ungewöhnlichen
Handlungen in Anſpruch genommen werden, ſelbſt wenn die
Geſetzgebung die Befugniß nicht ausdrücklich ausſpricht. Ein
ſolches Recht ſteht allerdings, verſtändigerweiſe, der Regierung
jedes Staates zu, welcher Gattung dieſe immer angehöre; allein
im Rechtsſtaate iſt es beſonders hervorzuheben, da einer Seits
derſelbe bei ſeiner weiten Aufgabe leichter in den Fall kommt,
es zu gebrauchen, anderer Seits die Vereinigung einer ſolchen
außerordentlichen Befugniß mit den Verfaſſungsformen mehrerer
Arten des Rechtsſtaates ſchwer zu bewerkſtelligen iſt. Die Auf-
gabe des Staates iſt hier nicht, wie im Patrimonialſtaate, auf
einzelne genau umgrenzte Fälle beſchränkt; und die Staats-
gewalt kann nicht, wie etwa in einer Theokratie, die ihr feh-
lende Macht von einer außer und über ihr ſtehenden, in ihrer
Berechtigung unanfechtbaren Gewalt erhalten: ſondern man
muß in der rein verſtändigen, zur Umfaſſung des ganzen
menſchlichen Lebens beſtimmten und ein geſchloſſenes Ganzes
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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 327. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/341>, abgerufen am 25.11.2024.
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