sammlung von Obersten der Priesterschaft zur Seite. Unter ihm bereitet sich eine wohlgeordnete Hierarchie von Priestern über den ganzen Staat aus, zu gemeinschaftlicher Besorgung der religiösen Aufgaben und der verschiedenen Staatsgeschäfte Als Verfassungsurkunde dienen die heiligen Schriften; die Kirchen- gesetze aber enthalten die weitere Ausführung. Passend werden die Tempel zu Gerichtshöfen und zu sonstigen öffentlichen Ge- schäften verwendet. Eine strenge Ceremonialgesetzgebung dringt bis in das Innerste des täglichen und häuslichen Lebens, da- mit die ungetrennte Verbindung von Kirche und Staat, Re- ligion und Gesetz immer vor Augen bleibe und der Priester alle Lebensverhältnisse beherrsche. -- Nur die Ordnung der bewaffneten Macht bietet hier eine ernste Schwierigkeit. Es ist zwar möglich, daß die Religion eine kriegerische sei, und dann mögen die Priester des Kriegsgottes auch in den Waffen geübt und die Anführer des Heeres sein; allein in der Regel widerstreitet das Wesen der religiösen Lehre einer solchen Ein- richtung. Dann bleibt nur die für das Bestehen der Verfas- sung gleich gefährliche Wahl der Bildung eines eigenen zwar sehr bevorzugten aber doch untergeordneten Kriegerstammes, oder die Uebertragung der Vertheidigung an Miethtruppen und deren Anführer 6).
Bei einer dualistischen Theokratie ist die Abtheilung der Geschäfte zwischen dem geistlichen und dem weltlichen Ober- haupte die höchste Aufgabe, von deren glücklicher Lösung alles weitere Recht und das Schicksal des Staates abhängt. Im Allgemeinen ist natürlich kein Zweifel darüber, daß dem geist- lichen Haupte die Leitung aller religiösen Angelegenheiten ge- bührt; allein im Einzelnen entstehen darüber nothwendig Schwie- rigkeiten, was von den blos mittelbaren Unterstützungsanstalten der Kirche überwiesen werden soll; und hauptsächlich ist es eine schwere Aufgabe, Einrichtungen zu treffen, welche die Ueber-
ſammlung von Oberſten der Prieſterſchaft zur Seite. Unter ihm bereitet ſich eine wohlgeordnete Hierarchie von Prieſtern über den ganzen Staat aus, zu gemeinſchaftlicher Beſorgung der religiöſen Aufgaben und der verſchiedenen Staatsgeſchäfte Als Verfaſſungsurkunde dienen die heiligen Schriften; die Kirchen- geſetze aber enthalten die weitere Ausführung. Paſſend werden die Tempel zu Gerichtshöfen und zu ſonſtigen öffentlichen Ge- ſchäften verwendet. Eine ſtrenge Ceremonialgeſetzgebung dringt bis in das Innerſte des täglichen und häuslichen Lebens, da- mit die ungetrennte Verbindung von Kirche und Staat, Re- ligion und Geſetz immer vor Augen bleibe und der Prieſter alle Lebensverhältniſſe beherrſche. — Nur die Ordnung der bewaffneten Macht bietet hier eine ernſte Schwierigkeit. Es iſt zwar möglich, daß die Religion eine kriegeriſche ſei, und dann mögen die Prieſter des Kriegsgottes auch in den Waffen geübt und die Anführer des Heeres ſein; allein in der Regel widerſtreitet das Weſen der religiöſen Lehre einer ſolchen Ein- richtung. Dann bleibt nur die für das Beſtehen der Verfaſ- ſung gleich gefährliche Wahl der Bildung eines eigenen zwar ſehr bevorzugten aber doch untergeordneten Kriegerſtammes, oder die Uebertragung der Vertheidigung an Miethtruppen und deren Anführer 6).
Bei einer dualiſtiſchen Theokratie iſt die Abtheilung der Geſchäfte zwiſchen dem geiſtlichen und dem weltlichen Ober- haupte die höchſte Aufgabe, von deren glücklicher Löſung alles weitere Recht und das Schickſal des Staates abhängt. Im Allgemeinen iſt natürlich kein Zweifel darüber, daß dem geiſt- lichen Haupte die Leitung aller religiöſen Angelegenheiten ge- bührt; allein im Einzelnen entſtehen darüber nothwendig Schwie- rigkeiten, was von den blos mittelbaren Unterſtützungsanſtalten der Kirche überwieſen werden ſoll; und hauptſächlich iſt es eine ſchwere Aufgabe, Einrichtungen zu treffen, welche die Ueber-
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ſammlung von Oberſten der Prieſterſchaft zur Seite. Unter
ihm bereitet ſich eine wohlgeordnete Hierarchie von Prieſtern
über den ganzen Staat aus, zu gemeinſchaftlicher Beſorgung
der religiöſen Aufgaben und der verſchiedenen Staatsgeſchäfte
Als Verfaſſungsurkunde dienen die heiligen Schriften; die Kirchen-
geſetze aber enthalten die weitere Ausführung. Paſſend werden
die Tempel zu Gerichtshöfen und zu ſonſtigen öffentlichen Ge-
ſchäften verwendet. Eine ſtrenge Ceremonialgeſetzgebung dringt
bis in das Innerſte des täglichen und häuslichen Lebens, da-
mit die ungetrennte Verbindung von Kirche und Staat, Re-
ligion und Geſetz immer vor Augen bleibe und der Prieſter
alle Lebensverhältniſſe beherrſche. — Nur die Ordnung der
bewaffneten Macht bietet hier eine ernſte Schwierigkeit. Es
iſt zwar möglich, daß die Religion eine kriegeriſche ſei, und
dann mögen die Prieſter des Kriegsgottes auch in den Waffen
geübt und die Anführer des Heeres ſein; allein in der Regel
widerſtreitet das Weſen der religiöſen Lehre einer ſolchen Ein-
richtung. Dann bleibt nur die für das Beſtehen der Verfaſ-
ſung gleich gefährliche Wahl der Bildung eines eigenen zwar
ſehr bevorzugten aber doch untergeordneten Kriegerſtammes,
oder die Uebertragung der Vertheidigung an Miethtruppen und
deren Anführer 6).
Bei einer dualiſtiſchen Theokratie iſt die Abtheilung
der Geſchäfte zwiſchen dem geiſtlichen und dem weltlichen Ober-
haupte die höchſte Aufgabe, von deren glücklicher Löſung alles
weitere Recht und das Schickſal des Staates abhängt. Im
Allgemeinen iſt natürlich kein Zweifel darüber, daß dem geiſt-
lichen Haupte die Leitung aller religiöſen Angelegenheiten ge-
bührt; allein im Einzelnen entſtehen darüber nothwendig Schwie-
rigkeiten, was von den blos mittelbaren Unterſtützungsanſtalten
der Kirche überwieſen werden ſoll; und hauptſächlich iſt es eine
ſchwere Aufgabe, Einrichtungen zu treffen, welche die Ueber-
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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 315. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/329>, abgerufen am 26.11.2024.
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