Wenn ein Volk sich dem Stammesleben noch nicht ent- wunden hat, somit es weder eine vielfach gegliederte Gesellschaft, noch auch eine vorgeschrittene Entwickelung der wirthschaftlichen Verhältnisse besitzt; wenn ferner das religiöse Bedürfniß nicht sehr entwickelt ist: so ist eine patriarchalische Regierung das Naturgemäße 1).
Die Grundlage dieser Staatsgattung ist die gemeinschaft- liche Art und Lebensauffassung von Stammverwandten, die Ausschließlichkeit des Bedürfnisses mit solchen und als solche zusammenzuleben, und die hieraus folgende Freundlichkeit der der Gesinnungen und Einfachheit der Forderungen. Ein solches Volk ist zufrieden, wenn die nothwendigsten Grundsätze für friedliches räumliches Nebeneinanderleben feststehen; wenn für eine Schlichtung etwaiger Streitigkeiten gesorgt ist; und wenn endlich eine Einrichtung zur gemeinschaftlichen Abwehr äußerer Feinde besteht. Zur Erreichung dieser Zwecke genügen denn aber wenige und einfache Bestimmungen. Cs wird die ge- wünschte Ordnung weniger durch Recht als durch Sittengesetz geleitet; und bestehen weniger ausdrückliche Verordnungen als Gewohnheiten.
Selbst so einfache Einrichtungen bedürfen jedoch einer Re- gierung. In der Natur der Sache liegt es nun aber nicht gerade, daß diese Leitung einem Einzelnen, als dem anerkannten Haupte des Stammes und Staates, übertragen sei; möglicher- weise könnte auch eine Versammlung sämmtlicher Familienväter, oder auch ein kleinerer Rath von Aeltesten über die gemeinschaft- lichen Angelegenheiten entscheiden, die wenigen bestehenden Ein-
II.Beſonderes philoſophiſches Staatsrecht.
§ 40. 1. Der patriarchaliſche Staat.
Wenn ein Volk ſich dem Stammesleben noch nicht ent- wunden hat, ſomit es weder eine vielfach gegliederte Geſellſchaft, noch auch eine vorgeſchrittene Entwickelung der wirthſchaftlichen Verhältniſſe beſitzt; wenn ferner das religiöſe Bedürfniß nicht ſehr entwickelt iſt: ſo iſt eine patriarchaliſche Regierung das Naturgemäße 1).
Die Grundlage dieſer Staatsgattung iſt die gemeinſchaft- liche Art und Lebensauffaſſung von Stammverwandten, die Ausſchließlichkeit des Bedürfniſſes mit ſolchen und als ſolche zuſammenzuleben, und die hieraus folgende Freundlichkeit der der Geſinnungen und Einfachheit der Forderungen. Ein ſolches Volk iſt zufrieden, wenn die nothwendigſten Grundſätze für friedliches räumliches Nebeneinanderleben feſtſtehen; wenn für eine Schlichtung etwaiger Streitigkeiten geſorgt iſt; und wenn endlich eine Einrichtung zur gemeinſchaftlichen Abwehr äußerer Feinde beſteht. Zur Erreichung dieſer Zwecke genügen denn aber wenige und einfache Beſtimmungen. Cs wird die ge- wünſchte Ordnung weniger durch Recht als durch Sittengeſetz geleitet; und beſtehen weniger ausdrückliche Verordnungen als Gewohnheiten.
Selbſt ſo einfache Einrichtungen bedürfen jedoch einer Re- gierung. In der Natur der Sache liegt es nun aber nicht gerade, daß dieſe Leitung einem Einzelnen, als dem anerkannten Haupte des Stammes und Staates, übertragen ſei; möglicher- weiſe könnte auch eine Verſammlung ſämmtlicher Familienväter, oder auch ein kleinerer Rath von Aelteſten über die gemeinſchaft- lichen Angelegenheiten entſcheiden, die wenigen beſtehenden Ein-
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II. Beſonderes philoſophiſches Staatsrecht.
§ 40.
1. Der patriarchaliſche Staat.
Wenn ein Volk ſich dem Stammesleben noch nicht ent-
wunden hat, ſomit es weder eine vielfach gegliederte Geſellſchaft,
noch auch eine vorgeſchrittene Entwickelung der wirthſchaftlichen
Verhältniſſe beſitzt; wenn ferner das religiöſe Bedürfniß nicht
ſehr entwickelt iſt: ſo iſt eine patriarchaliſche Regierung
das Naturgemäße 1).
Die Grundlage dieſer Staatsgattung iſt die gemeinſchaft-
liche Art und Lebensauffaſſung von Stammverwandten, die
Ausſchließlichkeit des Bedürfniſſes mit ſolchen und als ſolche
zuſammenzuleben, und die hieraus folgende Freundlichkeit der
der Geſinnungen und Einfachheit der Forderungen. Ein ſolches
Volk iſt zufrieden, wenn die nothwendigſten Grundſätze für
friedliches räumliches Nebeneinanderleben feſtſtehen; wenn für
eine Schlichtung etwaiger Streitigkeiten geſorgt iſt; und wenn
endlich eine Einrichtung zur gemeinſchaftlichen Abwehr äußerer
Feinde beſteht. Zur Erreichung dieſer Zwecke genügen denn
aber wenige und einfache Beſtimmungen. Cs wird die ge-
wünſchte Ordnung weniger durch Recht als durch Sittengeſetz
geleitet; und beſtehen weniger ausdrückliche Verordnungen als
Gewohnheiten.
Selbſt ſo einfache Einrichtungen bedürfen jedoch einer Re-
gierung. In der Natur der Sache liegt es nun aber nicht
gerade, daß dieſe Leitung einem Einzelnen, als dem anerkannten
Haupte des Stammes und Staates, übertragen ſei; möglicher-
weiſe könnte auch eine Verſammlung ſämmtlicher Familienväter,
oder auch ein kleinerer Rath von Aelteſten über die gemeinſchaft-
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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 298. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/312>, abgerufen am 23.11.2024.
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