kann über die Richtung, in welcher die Grenze zu ziehen ist, kein Zweifel obwalten.
4. Unzureichenheit der Privatkraft. Der Staat hat nicht unmittelbar für die Erreichung sämmtlicher Lebens- zwecke aller seiner einzelnen Theilnehmer zu sorgen, sondern nur Schutz und Hülfe da zu gewähren, wo die Kräfte der Einzel- nen nicht ausreichen. Es ist sowohl das Recht, als die Pflicht, und endlich der Nutzen der Unterthanen, in Verfolgung ihrer Zwecke bis zu der äußersten Grenze der ihnen selbst zu Gebote stehenden Mittel zu gehen; und zwar gilt dieß nicht etwa nur von dem vereinzelten Individuum, sondern die Selbstständigkeit hat auch da einzutreten, wo Gesammtkräfte, sei es von frei- willigen Vereinen sei es von gesellschaftlichen Kreisen, die Mittel liefern. Jede Hülfsthätigkeit des Staates in Fällen, wo Pri- vatkräfte ausgereicht hätten, ist einerseits eine Beeinträchtigung der zur Bildung der Staatsgewalt und zur Lieferung der von ihr benöthigten Mittel verpflichteten Bürger, andererseits der natürlichen Freiheit der zunächst Betheiligten. Ueberdieß wer- den in der Regel die letzteren ihre Bedürfnisse und die Befrie- digungsmittel selbst am besten kennen, wird ferner ihre Thatkraft und Geschicklichkeit durch eigene Uebung gesteigert, und hat endlich die Gewährung einer unnöthigen Staatshülfe einen Mangel an Mitteln zur Leistung nöthiger Unterstützung zur Folge. Nur durch folgerichtigste Festhaltung dieser Grenzlinie zwischen der Thätigkeit des Staates und der Privaten ist stören- des und sachlich nachtheiliges Schwanken in Gesetzgebung und Verwaltung zu vermeiden. -- Von höchster Bedeutung für die polizeiliche Wirksamkeit des Staates ist daher die fröhlichste Ausbildung des Vereinswesens und eine kräftige Organisation der dazu geeigneten gesellschaftlichen Kreise. Die mit Recht beklagte übergroße polizeiliche Thätigkeit unserer Zeit ist zu einem nicht unbedeutenden Theile die nothwendige Folge der
kann über die Richtung, in welcher die Grenze zu ziehen iſt, kein Zweifel obwalten.
4. Unzureichenheit der Privatkraft. Der Staat hat nicht unmittelbar für die Erreichung ſämmtlicher Lebens- zwecke aller ſeiner einzelnen Theilnehmer zu ſorgen, ſondern nur Schutz und Hülfe da zu gewähren, wo die Kräfte der Einzel- nen nicht ausreichen. Es iſt ſowohl das Recht, als die Pflicht, und endlich der Nutzen der Unterthanen, in Verfolgung ihrer Zwecke bis zu der äußerſten Grenze der ihnen ſelbſt zu Gebote ſtehenden Mittel zu gehen; und zwar gilt dieß nicht etwa nur von dem vereinzelten Individuum, ſondern die Selbſtſtändigkeit hat auch da einzutreten, wo Geſammtkräfte, ſei es von frei- willigen Vereinen ſei es von geſellſchaftlichen Kreiſen, die Mittel liefern. Jede Hülfsthätigkeit des Staates in Fällen, wo Pri- vatkräfte ausgereicht hätten, iſt einerſeits eine Beeinträchtigung der zur Bildung der Staatsgewalt und zur Lieferung der von ihr benöthigten Mittel verpflichteten Bürger, andererſeits der natürlichen Freiheit der zunächſt Betheiligten. Ueberdieß wer- den in der Regel die letzteren ihre Bedürfniſſe und die Befrie- digungsmittel ſelbſt am beſten kennen, wird ferner ihre Thatkraft und Geſchicklichkeit durch eigene Uebung geſteigert, und hat endlich die Gewährung einer unnöthigen Staatshülfe einen Mangel an Mitteln zur Leiſtung nöthiger Unterſtützung zur Folge. Nur durch folgerichtigſte Feſthaltung dieſer Grenzlinie zwiſchen der Thätigkeit des Staates und der Privaten iſt ſtören- des und ſachlich nachtheiliges Schwanken in Geſetzgebung und Verwaltung zu vermeiden. — Von höchſter Bedeutung für die polizeiliche Wirkſamkeit des Staates iſt daher die fröhlichſte Ausbildung des Vereinsweſens und eine kräftige Organiſation der dazu geeigneten geſellſchaftlichen Kreiſe. Die mit Recht beklagte übergroße polizeiliche Thätigkeit unſerer Zeit iſt zu einem nicht unbedeutenden Theile die nothwendige Folge der
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[277/0291]
kann über die Richtung, in welcher die Grenze zu ziehen iſt,
kein Zweifel obwalten.
4. Unzureichenheit der Privatkraft. Der Staat
hat nicht unmittelbar für die Erreichung ſämmtlicher Lebens-
zwecke aller ſeiner einzelnen Theilnehmer zu ſorgen, ſondern nur
Schutz und Hülfe da zu gewähren, wo die Kräfte der Einzel-
nen nicht ausreichen. Es iſt ſowohl das Recht, als die Pflicht,
und endlich der Nutzen der Unterthanen, in Verfolgung ihrer
Zwecke bis zu der äußerſten Grenze der ihnen ſelbſt zu Gebote
ſtehenden Mittel zu gehen; und zwar gilt dieß nicht etwa nur
von dem vereinzelten Individuum, ſondern die Selbſtſtändigkeit
hat auch da einzutreten, wo Geſammtkräfte, ſei es von frei-
willigen Vereinen ſei es von geſellſchaftlichen Kreiſen, die Mittel
liefern. Jede Hülfsthätigkeit des Staates in Fällen, wo Pri-
vatkräfte ausgereicht hätten, iſt einerſeits eine Beeinträchtigung
der zur Bildung der Staatsgewalt und zur Lieferung der von
ihr benöthigten Mittel verpflichteten Bürger, andererſeits der
natürlichen Freiheit der zunächſt Betheiligten. Ueberdieß wer-
den in der Regel die letzteren ihre Bedürfniſſe und die Befrie-
digungsmittel ſelbſt am beſten kennen, wird ferner ihre Thatkraft
und Geſchicklichkeit durch eigene Uebung geſteigert, und hat
endlich die Gewährung einer unnöthigen Staatshülfe einen
Mangel an Mitteln zur Leiſtung nöthiger Unterſtützung zur
Folge. Nur durch folgerichtigſte Feſthaltung dieſer Grenzlinie
zwiſchen der Thätigkeit des Staates und der Privaten iſt ſtören-
des und ſachlich nachtheiliges Schwanken in Geſetzgebung und
Verwaltung zu vermeiden. — Von höchſter Bedeutung für die
polizeiliche Wirkſamkeit des Staates iſt daher die fröhlichſte
Ausbildung des Vereinsweſens und eine kräftige Organiſation
der dazu geeigneten geſellſchaftlichen Kreiſe. Die mit Recht
beklagte übergroße polizeiliche Thätigkeit unſerer Zeit iſt zu
einem nicht unbedeutenden Theile die nothwendige Folge der
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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/291>, abgerufen am 24.11.2024.
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