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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

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Handhabung der Rechtsordnung und Gerichtsverfahren als gleichbedeutend
genommen, dadurch aber die ganze vorbeugende Rechtspflege ausgeschlossen
ist.) -- Ueber die Präventivjustiz insbesondere s.: Pöhlmann, System
der Staatsthätigkeit zum Schutze der Privatrechte. Baireuth, 1829; und
mein System der Präventivjustiz. 2. Aufl., Tüb., 1845.
2) Die Präventivjustiz hat allerdings immer noch um ihre wissen-
schaftliche Anerkennung zu ringen, indem sie, gegen alle richtige Logik und
ohne Berücksichtigung des wesentlich verschiedenen Inhaltes, unter ganz
andere oberste Grundsätze gebracht, gewöhnlich als ein Bestandtheil der
Polizei, als die sogenannte Rechtspolizei, betrachtet und behandelt wird.
Wenn es nun aber weder richtig ist, daß die Polizei grundsätzlich die Ab-
wendung künftiger Uebel zum Gegenstande hat; noch die sachlichen und
formellen Grundsätze über die Aufrechterhaltung der Rechtsordnung dieselben
sind, wie die über die Förderung der Interessen der Bürger; wenn es ferner
für die Herstellung einer durchaus genügenden und untadelhaften Rechtspflege
nur förderlich sein kann, wenn die sämmtlichen Aufgaben derselben als ein
Ganzes behandelt werden: so ist es wahrlich Zeit, daß die Abwendung
künftiger Rechtsstörung als eine Justiz- (wenn auch nicht Gerichts-) Sache
anerkannt und nach Rechtsgrundsätzen behandelt wird.
3) Der Grundsatz, daß in Rechtsgeschäften nach bloßer Wahrschein-
lichkeit verfahren werden könne und müsse, widerstreitet allerdings der Auf-
fassung der Rechtsgelehrten; dies aber nur darum, weil diese gewöhnlich
Rechtspflege und Richtersprüche für gleichbedeutend erachten. Wenn es aber
Aufgabe des Staates ist, erst drohenden Rechtsstörungen zum Voraus zu
begegnen, und wenn für den Menschen die Zukunft nur mehr oder weniger
wahrscheinlich, niemals aber gewiß ist: so muß man sich eben in die un-
sicherere Grundlage des Handelns da fügen, wo eine Gewißheit nicht möglich
ist. Der Unterschied ist am Ende übrigens nicht einmal so sehr groß, weil
auch die wiederherstellende Rechtspflege gar häufig genöthigt ist, auf den
Grund größerer oder geringerer Wahrscheinlichkeit zu handeln, und dies
sowohl in bürgerlichen als in Strafsachen.
4) Ueber das internationale Privatrecht und seine Literatur siehe un-
ten, § 59.
5) Während in Frankreich das Bestehen einer eigenen Verwaltungs-
rechtspflege nicht nur theoretisch vollkommen anerkannt ist, sondern auch
deren wissenschaftliche Bearbeitung dem Umfange und dem Werthe nach
den bedeutendsten Theil des öffentlichen Rechts bildet: wird in Deutschland
immer noch über die Zulässigkeit des Begriffes gestritten und gilt es bei
Vielen fast für einen Verrath an Recht und Gerechtigkeit, einen solchen
Theil der Rechtspflege anzuerkennen. Die natürliche Folge dieser falsch
angewendeten Gewissenhaftigkeit ist aber nicht etwa ein größerer Rechtsschutz,
v. Mohl, Encyclopädie. 18
Handhabung der Rechtsordnung und Gerichtsverfahren als gleichbedeutend
genommen, dadurch aber die ganze vorbeugende Rechtspflege ausgeſchloſſen
iſt.) — Ueber die Präventivjuſtiz insbeſondere ſ.: Pöhlmann, Syſtem
der Staatsthätigkeit zum Schutze der Privatrechte. Baireuth, 1829; und
mein Syſtem der Präventivjuſtiz. 2. Aufl., Tüb., 1845.
2) Die Präventivjuſtiz hat allerdings immer noch um ihre wiſſen-
ſchaftliche Anerkennung zu ringen, indem ſie, gegen alle richtige Logik und
ohne Berückſichtigung des weſentlich verſchiedenen Inhaltes, unter ganz
andere oberſte Grundſätze gebracht, gewöhnlich als ein Beſtandtheil der
Polizei, als die ſogenannte Rechtspolizei, betrachtet und behandelt wird.
Wenn es nun aber weder richtig iſt, daß die Polizei grundſätzlich die Ab-
wendung künftiger Uebel zum Gegenſtande hat; noch die ſachlichen und
formellen Grundſätze über die Aufrechterhaltung der Rechtsordnung dieſelben
ſind, wie die über die Förderung der Intereſſen der Bürger; wenn es ferner
für die Herſtellung einer durchaus genügenden und untadelhaften Rechtspflege
nur förderlich ſein kann, wenn die ſämmtlichen Aufgaben derſelben als ein
Ganzes behandelt werden: ſo iſt es wahrlich Zeit, daß die Abwendung
künftiger Rechtsſtörung als eine Juſtiz- (wenn auch nicht Gerichts-) Sache
anerkannt und nach Rechtsgrundſätzen behandelt wird.
3) Der Grundſatz, daß in Rechtsgeſchäften nach bloßer Wahrſchein-
lichkeit verfahren werden könne und müſſe, widerſtreitet allerdings der Auf-
faſſung der Rechtsgelehrten; dies aber nur darum, weil dieſe gewöhnlich
Rechtspflege und Richterſprüche für gleichbedeutend erachten. Wenn es aber
Aufgabe des Staates iſt, erſt drohenden Rechtsſtörungen zum Voraus zu
begegnen, und wenn für den Menſchen die Zukunft nur mehr oder weniger
wahrſcheinlich, niemals aber gewiß iſt: ſo muß man ſich eben in die un-
ſicherere Grundlage des Handelns da fügen, wo eine Gewißheit nicht möglich
iſt. Der Unterſchied iſt am Ende übrigens nicht einmal ſo ſehr groß, weil
auch die wiederherſtellende Rechtspflege gar häufig genöthigt iſt, auf den
Grund größerer oder geringerer Wahrſcheinlichkeit zu handeln, und dies
ſowohl in bürgerlichen als in Strafſachen.
4) Ueber das internationale Privatrecht und ſeine Literatur ſiehe un-
ten, § 59.
5) Während in Frankreich das Beſtehen einer eigenen Verwaltungs-
rechtspflege nicht nur theoretiſch vollkommen anerkannt iſt, ſondern auch
deren wiſſenſchaftliche Bearbeitung dem Umfange und dem Werthe nach
den bedeutendſten Theil des öffentlichen Rechts bildet: wird in Deutſchland
immer noch über die Zuläſſigkeit des Begriffes geſtritten und gilt es bei
Vielen faſt für einen Verrath an Recht und Gerechtigkeit, einen ſolchen
Theil der Rechtspflege anzuerkennen. Die natürliche Folge dieſer falſch
angewendeten Gewiſſenhaftigkeit iſt aber nicht etwa ein größerer Rechtsſchutz,
v. Mohl, Encyclopädie. 18
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[273/0287] ¹⁾ Handhabung der Rechtsordnung und Gerichtsverfahren als gleichbedeutend genommen, dadurch aber die ganze vorbeugende Rechtspflege ausgeſchloſſen iſt.) — Ueber die Präventivjuſtiz insbeſondere ſ.: Pöhlmann, Syſtem der Staatsthätigkeit zum Schutze der Privatrechte. Baireuth, 1829; und mein Syſtem der Präventivjuſtiz. 2. Aufl., Tüb., 1845. ²⁾ Die Präventivjuſtiz hat allerdings immer noch um ihre wiſſen- ſchaftliche Anerkennung zu ringen, indem ſie, gegen alle richtige Logik und ohne Berückſichtigung des weſentlich verſchiedenen Inhaltes, unter ganz andere oberſte Grundſätze gebracht, gewöhnlich als ein Beſtandtheil der Polizei, als die ſogenannte Rechtspolizei, betrachtet und behandelt wird. Wenn es nun aber weder richtig iſt, daß die Polizei grundſätzlich die Ab- wendung künftiger Uebel zum Gegenſtande hat; noch die ſachlichen und formellen Grundſätze über die Aufrechterhaltung der Rechtsordnung dieſelben ſind, wie die über die Förderung der Intereſſen der Bürger; wenn es ferner für die Herſtellung einer durchaus genügenden und untadelhaften Rechtspflege nur förderlich ſein kann, wenn die ſämmtlichen Aufgaben derſelben als ein Ganzes behandelt werden: ſo iſt es wahrlich Zeit, daß die Abwendung künftiger Rechtsſtörung als eine Juſtiz- (wenn auch nicht Gerichts-) Sache anerkannt und nach Rechtsgrundſätzen behandelt wird. ³⁾ Der Grundſatz, daß in Rechtsgeſchäften nach bloßer Wahrſchein- lichkeit verfahren werden könne und müſſe, widerſtreitet allerdings der Auf- faſſung der Rechtsgelehrten; dies aber nur darum, weil dieſe gewöhnlich Rechtspflege und Richterſprüche für gleichbedeutend erachten. Wenn es aber Aufgabe des Staates iſt, erſt drohenden Rechtsſtörungen zum Voraus zu begegnen, und wenn für den Menſchen die Zukunft nur mehr oder weniger wahrſcheinlich, niemals aber gewiß iſt: ſo muß man ſich eben in die un- ſicherere Grundlage des Handelns da fügen, wo eine Gewißheit nicht möglich iſt. Der Unterſchied iſt am Ende übrigens nicht einmal ſo ſehr groß, weil auch die wiederherſtellende Rechtspflege gar häufig genöthigt iſt, auf den Grund größerer oder geringerer Wahrſcheinlichkeit zu handeln, und dies ſowohl in bürgerlichen als in Strafſachen. ⁴⁾ Ueber das internationale Privatrecht und ſeine Literatur ſiehe un- ten, § 59. ⁵⁾ Während in Frankreich das Beſtehen einer eigenen Verwaltungs- rechtspflege nicht nur theoretiſch vollkommen anerkannt iſt, ſondern auch deren wiſſenſchaftliche Bearbeitung dem Umfange und dem Werthe nach den bedeutendſten Theil des öffentlichen Rechts bildet: wird in Deutſchland immer noch über die Zuläſſigkeit des Begriffes geſtritten und gilt es bei Vielen faſt für einen Verrath an Recht und Gerechtigkeit, einen ſolchen Theil der Rechtspflege anzuerkennen. Die natürliche Folge dieſer falſch angewendeten Gewiſſenhaftigkeit iſt aber nicht etwa ein größerer Rechtsſchutz, v. Mohl, Encyclopädie. 18

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Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 273. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/287>, abgerufen am 28.11.2024.