Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

Bild:
<< vorherige Seite
Frage. Zunächst verschwindet der Posten nur aus den Staatsrech-
nungen.
2) Ganz falsch ist es, den Satz, daß wo kein Kläger sei, auch kein
Richter bestehe, auf solche Zweige der Staatsthätigkeit zu übertragen, in
welchen entweder aus allgemeinen Gründen des öffentlichen Wohles, oder
wegen allgemeiner Verbreitung des individuellen Bedürfnisses eine beständige
Thätigkeit der Staatsorgane aus eigenem Antriebe nöthig ist. Selbst bei
der Bestrafung von Rechtsverletzungen bedarf es nach richtiger Auffassung
des Strafrechtes, keiner besonderen Aufforderung des Verletzten; und wo
eine solche ausnahmsweise noch gefordert wird, wie z. B. bei Ehrenver-
letzung, Hausdiebstahl, Ehebruch u. s. w., geschieht es lediglich aus einer
(ob richtigen?) Schonung des Gefühls und nicht aus Grundsatz.
3) Ueber diese ebenso wichtige als schwierige Frage s. Zachariä, A. H.,
Deutsches Staatsrecht, Bd. II, S. 53 (und die zahlreiche angeführte Lite-
ratur;) Zöpfl, D. Staatsrecht, Bd. II, S. 793 fg. -- Wenn Letzterer
den Staat nicht haftbar erklärt für rechtswidrige Handlungen eines Richters,
so ist dies im Widerspruche mit dem von ihm selbst für die Haftpflicht der
Verwaltung angeführten Grunde, nämlich daß der Staat die Einrichtung
der Behörden als die seinige anerkennt und die Bürger nöthigt, sich der-
selben und der von ihm bestellten Beamten zu bedienen. Dieß ist bei den
Gerichten eben so gut der Fall, wie bei Verwaltungsämtern. Dieser Ansicht
ist auch K. S. Zachariä, Vierzig Bücher, Bd. I, S. 99.
4) Eine höchst verkehrte Sparsamkeit ist ein allzuniederer Ansatz der
Beamtengehalte, wenn weder den gesteigerten Preisen der Lebensbedürfnisse
noch dem in andern Beschäftigungsarten zu gewinnenden Einkommen Rech-
nung getragen wird. Dies kann nur zu einer Verunsittlichung der Beam-
tenschaft, (welche dem Volke viel theurer zu stehen kommt, als genugsame
rechtliche Gehalte) und zur Verscheuchung der Männer von Begabung und
Selbstgefühl aus dem Staatsdienste führen. Es entspricht sogar der mensch-
lichen Natur, wenn einige höhere Gehalte, als sie die strenge Nothwendig-
keit erforderte, als Preise für ungewöhnliche Brauchbarkeit und Leistung
im Staatsdienste ausgesetzt werden. Obgleich nur Wenige sie erlangen
können, streben doch Viele, sie durch besonderes Verdienst zu erreichen. Die
Eine glänzende Stellung des Lordkanzlers von England treibt Hunderte
von Advokaten zu angestrengtester Arbeit.
§ 34.
b. Die Staatsbeamten.

Von selbst leuchtet ein, daß sogar in dem kleinsten Staate
das Staatsoberhaupt die Gesammtgewalt nicht selbst und nicht

Frage. Zunächſt verſchwindet der Poſten nur aus den Staatsrech-
nungen.
2) Ganz falſch iſt es, den Satz, daß wo kein Kläger ſei, auch kein
Richter beſtehe, auf ſolche Zweige der Staatsthätigkeit zu übertragen, in
welchen entweder aus allgemeinen Gründen des öffentlichen Wohles, oder
wegen allgemeiner Verbreitung des individuellen Bedürfniſſes eine beſtändige
Thätigkeit der Staatsorgane aus eigenem Antriebe nöthig iſt. Selbſt bei
der Beſtrafung von Rechtsverletzungen bedarf es nach richtiger Auffaſſung
des Strafrechtes, keiner beſonderen Aufforderung des Verletzten; und wo
eine ſolche ausnahmsweiſe noch gefordert wird, wie z. B. bei Ehrenver-
letzung, Hausdiebſtahl, Ehebruch u. ſ. w., geſchieht es lediglich aus einer
(ob richtigen?) Schonung des Gefühls und nicht aus Grundſatz.
3) Ueber dieſe ebenſo wichtige als ſchwierige Frage ſ. Zachariä, A. H.,
Deutſches Staatsrecht, Bd. II, S. 53 (und die zahlreiche angeführte Lite-
ratur;) Zöpfl, D. Staatsrecht, Bd. II, S. 793 fg. — Wenn Letzterer
den Staat nicht haftbar erklärt für rechtswidrige Handlungen eines Richters,
ſo iſt dies im Widerſpruche mit dem von ihm ſelbſt für die Haftpflicht der
Verwaltung angeführten Grunde, nämlich daß der Staat die Einrichtung
der Behörden als die ſeinige anerkennt und die Bürger nöthigt, ſich der-
ſelben und der von ihm beſtellten Beamten zu bedienen. Dieß iſt bei den
Gerichten eben ſo gut der Fall, wie bei Verwaltungsämtern. Dieſer Anſicht
iſt auch K. S. Zachariä, Vierzig Bücher, Bd. I, S. 99.
4) Eine höchſt verkehrte Sparſamkeit iſt ein allzuniederer Anſatz der
Beamtengehalte, wenn weder den geſteigerten Preiſen der Lebensbedürfniſſe
noch dem in andern Beſchäftigungsarten zu gewinnenden Einkommen Rech-
nung getragen wird. Dies kann nur zu einer Verunſittlichung der Beam-
tenſchaft, (welche dem Volke viel theurer zu ſtehen kommt, als genugſame
rechtliche Gehalte) und zur Verſcheuchung der Männer von Begabung und
Selbſtgefühl aus dem Staatsdienſte führen. Es entſpricht ſogar der menſch-
lichen Natur, wenn einige höhere Gehalte, als ſie die ſtrenge Nothwendig-
keit erforderte, als Preiſe für ungewöhnliche Brauchbarkeit und Leiſtung
im Staatsdienſte ausgeſetzt werden. Obgleich nur Wenige ſie erlangen
können, ſtreben doch Viele, ſie durch beſonderes Verdienſt zu erreichen. Die
Eine glänzende Stellung des Lordkanzlers von England treibt Hunderte
von Advokaten zu angeſtrengteſter Arbeit.
§ 34.
b. Die Staatsbeamten.

Von ſelbſt leuchtet ein, daß ſogar in dem kleinſten Staate
das Staatsoberhaupt die Geſammtgewalt nicht ſelbſt und nicht

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <note place="end" n="1)"><pb facs="#f0263" n="249"/>
Frage. Zunäch&#x017F;t ver&#x017F;chwindet der Po&#x017F;ten nur aus den <hi rendition="#g">Staatsr</hi>ech-<lb/>
nungen.</note><lb/>
                    <note place="end" n="2)">Ganz fal&#x017F;ch i&#x017F;t es, den Satz, daß wo kein Kläger &#x017F;ei, auch kein<lb/>
Richter be&#x017F;tehe, auf &#x017F;olche Zweige der Staatsthätigkeit zu übertragen, in<lb/>
welchen entweder aus allgemeinen Gründen des öffentlichen Wohles, oder<lb/>
wegen allgemeiner Verbreitung des individuellen Bedürfni&#x017F;&#x017F;es eine be&#x017F;tändige<lb/>
Thätigkeit der Staatsorgane aus eigenem Antriebe nöthig i&#x017F;t. Selb&#x017F;t bei<lb/>
der Be&#x017F;trafung von Rechtsverletzungen bedarf es nach richtiger Auffa&#x017F;&#x017F;ung<lb/>
des Strafrechtes, keiner be&#x017F;onderen Aufforderung des Verletzten; und wo<lb/>
eine &#x017F;olche ausnahmswei&#x017F;e noch gefordert wird, wie z. B. bei Ehrenver-<lb/>
letzung, Hausdieb&#x017F;tahl, Ehebruch u. &#x017F;. w., ge&#x017F;chieht es lediglich aus einer<lb/>
(ob richtigen?) Schonung des Gefühls und nicht aus Grund&#x017F;atz.</note><lb/>
                    <note place="end" n="3)">Ueber die&#x017F;e eben&#x017F;o wichtige als &#x017F;chwierige Frage &#x017F;. <hi rendition="#g">Zachariä</hi>, A. H.,<lb/>
Deut&#x017F;ches Staatsrecht, Bd. <hi rendition="#aq">II,</hi> S. 53 (und die zahlreiche angeführte Lite-<lb/>
ratur;) <hi rendition="#g">Zöpfl</hi>, D. Staatsrecht, Bd. <hi rendition="#aq">II,</hi> S. 793 fg. &#x2014; Wenn Letzterer<lb/>
den Staat nicht haftbar erklärt für rechtswidrige Handlungen eines Richters,<lb/>
&#x017F;o i&#x017F;t dies im Wider&#x017F;pruche mit dem von ihm &#x017F;elb&#x017F;t für die Haftpflicht der<lb/>
Verwaltung angeführten Grunde, nämlich daß der Staat die Einrichtung<lb/>
der Behörden als die &#x017F;einige anerkennt und die Bürger nöthigt, &#x017F;ich der-<lb/>
&#x017F;elben und der von ihm be&#x017F;tellten Beamten zu bedienen. Dieß i&#x017F;t bei den<lb/>
Gerichten eben &#x017F;o gut der Fall, wie bei Verwaltungsämtern. Die&#x017F;er An&#x017F;icht<lb/>
i&#x017F;t auch K. S. <hi rendition="#g">Zachariä</hi>, Vierzig Bücher, Bd. <hi rendition="#aq">I,</hi> S. 99.</note><lb/>
                    <note place="end" n="4)">Eine höch&#x017F;t verkehrte Spar&#x017F;amkeit i&#x017F;t ein allzuniederer An&#x017F;atz der<lb/>
Beamtengehalte, wenn weder den ge&#x017F;teigerten Prei&#x017F;en der Lebensbedürfni&#x017F;&#x017F;e<lb/>
noch dem in andern Be&#x017F;chäftigungsarten zu gewinnenden Einkommen Rech-<lb/>
nung getragen wird. Dies kann nur zu einer Verun&#x017F;ittlichung der Beam-<lb/>
ten&#x017F;chaft, (welche dem Volke viel theurer zu &#x017F;tehen kommt, als genug&#x017F;ame<lb/>
rechtliche Gehalte) und zur Ver&#x017F;cheuchung der Männer von Begabung und<lb/>
Selb&#x017F;tgefühl aus dem Staatsdien&#x017F;te führen. Es ent&#x017F;pricht &#x017F;ogar der men&#x017F;ch-<lb/>
lichen Natur, wenn einige höhere Gehalte, als &#x017F;ie die &#x017F;trenge Nothwendig-<lb/>
keit erforderte, als Prei&#x017F;e für ungewöhnliche Brauchbarkeit und Lei&#x017F;tung<lb/>
im Staatsdien&#x017F;te ausge&#x017F;etzt werden. Obgleich nur Wenige &#x017F;ie erlangen<lb/>
können, &#x017F;treben doch Viele, &#x017F;ie durch be&#x017F;onderes Verdien&#x017F;t zu erreichen. Die<lb/>
Eine glänzende Stellung des Lordkanzlers von England treibt Hunderte<lb/>
von Advokaten zu ange&#x017F;trengte&#x017F;ter Arbeit.</note>
                  </div><lb/>
                  <div n="7">
                    <head>§ 34.<lb/><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">b.</hi> Die Staatsbeamten.</hi></head><lb/>
                    <p>Von &#x017F;elb&#x017F;t leuchtet ein, daß &#x017F;ogar in dem klein&#x017F;ten Staate<lb/>
das Staatsoberhaupt die Ge&#x017F;ammtgewalt nicht &#x017F;elb&#x017F;t und nicht<lb/></p>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[249/0263] ¹⁾ Frage. Zunächſt verſchwindet der Poſten nur aus den Staatsrech- nungen. ²⁾ Ganz falſch iſt es, den Satz, daß wo kein Kläger ſei, auch kein Richter beſtehe, auf ſolche Zweige der Staatsthätigkeit zu übertragen, in welchen entweder aus allgemeinen Gründen des öffentlichen Wohles, oder wegen allgemeiner Verbreitung des individuellen Bedürfniſſes eine beſtändige Thätigkeit der Staatsorgane aus eigenem Antriebe nöthig iſt. Selbſt bei der Beſtrafung von Rechtsverletzungen bedarf es nach richtiger Auffaſſung des Strafrechtes, keiner beſonderen Aufforderung des Verletzten; und wo eine ſolche ausnahmsweiſe noch gefordert wird, wie z. B. bei Ehrenver- letzung, Hausdiebſtahl, Ehebruch u. ſ. w., geſchieht es lediglich aus einer (ob richtigen?) Schonung des Gefühls und nicht aus Grundſatz. ³⁾ Ueber dieſe ebenſo wichtige als ſchwierige Frage ſ. Zachariä, A. H., Deutſches Staatsrecht, Bd. II, S. 53 (und die zahlreiche angeführte Lite- ratur;) Zöpfl, D. Staatsrecht, Bd. II, S. 793 fg. — Wenn Letzterer den Staat nicht haftbar erklärt für rechtswidrige Handlungen eines Richters, ſo iſt dies im Widerſpruche mit dem von ihm ſelbſt für die Haftpflicht der Verwaltung angeführten Grunde, nämlich daß der Staat die Einrichtung der Behörden als die ſeinige anerkennt und die Bürger nöthigt, ſich der- ſelben und der von ihm beſtellten Beamten zu bedienen. Dieß iſt bei den Gerichten eben ſo gut der Fall, wie bei Verwaltungsämtern. Dieſer Anſicht iſt auch K. S. Zachariä, Vierzig Bücher, Bd. I, S. 99. ⁴⁾ Eine höchſt verkehrte Sparſamkeit iſt ein allzuniederer Anſatz der Beamtengehalte, wenn weder den geſteigerten Preiſen der Lebensbedürfniſſe noch dem in andern Beſchäftigungsarten zu gewinnenden Einkommen Rech- nung getragen wird. Dies kann nur zu einer Verunſittlichung der Beam- tenſchaft, (welche dem Volke viel theurer zu ſtehen kommt, als genugſame rechtliche Gehalte) und zur Verſcheuchung der Männer von Begabung und Selbſtgefühl aus dem Staatsdienſte führen. Es entſpricht ſogar der menſch- lichen Natur, wenn einige höhere Gehalte, als ſie die ſtrenge Nothwendig- keit erforderte, als Preiſe für ungewöhnliche Brauchbarkeit und Leiſtung im Staatsdienſte ausgeſetzt werden. Obgleich nur Wenige ſie erlangen können, ſtreben doch Viele, ſie durch beſonderes Verdienſt zu erreichen. Die Eine glänzende Stellung des Lordkanzlers von England treibt Hunderte von Advokaten zu angeſtrengteſter Arbeit. § 34. b. Die Staatsbeamten. Von ſelbſt leuchtet ein, daß ſogar in dem kleinſten Staate das Staatsoberhaupt die Geſammtgewalt nicht ſelbſt und nicht

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/263
Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 249. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/263>, abgerufen am 22.12.2024.