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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

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aber ist sie eine unfreiwillige Thatsache, was die Geburt in
einer bestimmten Familie und das Leben in derselben während
der ersten Jahre betrifft; freiwillig jedoch wird die Fortsetzung
nach erlangter Selbstständigkeit des Kindes. Die Dauer ist
naturgemäß verschieden. Für die Gründenden erlischt sie
erst mit dem Leben, indem mit dem Aufhören des einen
Zweckes um so mehr Gewohnheit und Hülfsbedürfniß entsteht.
Für die in der Familie Erzeugten tritt der Wille zur Trennung
ein mit dem Bedürfnisse eine eigene Familie zu gründen und
mit Erwerbung der Mittel hiezu. Im letzteren Falle ist übrigens
mit der Trennung fortwährende Befreundung gar wohl vereinbar,
und sogar durch sittliche Gebote verlangt. Die einzelne Fa-
milie ist somit ein wesentlich vorübergehendes Verhältniß, die
angebliche Fortdauer derselben Familie durch Jahrhunderte
aber eine Reihenfolge von Familien, welche freilich durch
erbliches Eigenthum, überlieferte Sitten und vielleicht von Ge-
schlecht zu Geschlecht übergehende Eigenschaften etwas Gemein-
schaftliches haben mögen, auch durch positives Recht zu einer
künstlichen Einheit verbunden werden können.

Der um eine Familie sich bildende Lebenskreis schließt
mit ihr ab und wird von ihr ganz ausgefüllt. Die Familie
weist ihrer Natur nach Fremdes ab, soweit von ihrem eigensten
Wesen die Rede ist. Deßhalb können und müssen zwar viele
Familien zu gleicher Zeit bestehen; eine Verbindung derselben
zu gemeinschaftlicher Erreichung der Familienzwecke tritt jedoch
nicht ein, sondern es kann ein weiterer Kreis nur durch Zu-
ziehung eines ferneren Principes zum Behufe einer anderen
höheren Gestaltung des menschlichen Zusammenlebens stattfin-
den 3). Die physische Kraft der Familie ist deßhab auch klein;
allein ihre sittlichen, körperlichen und wirthschaftlichen Wirkungen
für den einzelnen Theilhaber sind dennoch höchst bedeutend und
durch nichts Anderes ersetzbar.

aber iſt ſie eine unfreiwillige Thatſache, was die Geburt in
einer beſtimmten Familie und das Leben in derſelben während
der erſten Jahre betrifft; freiwillig jedoch wird die Fortſetzung
nach erlangter Selbſtſtändigkeit des Kindes. Die Dauer iſt
naturgemäß verſchieden. Für die Gründenden erliſcht ſie
erſt mit dem Leben, indem mit dem Aufhören des einen
Zweckes um ſo mehr Gewohnheit und Hülfsbedürfniß entſteht.
Für die in der Familie Erzeugten tritt der Wille zur Trennung
ein mit dem Bedürfniſſe eine eigene Familie zu gründen und
mit Erwerbung der Mittel hiezu. Im letzteren Falle iſt übrigens
mit der Trennung fortwährende Befreundung gar wohl vereinbar,
und ſogar durch ſittliche Gebote verlangt. Die einzelne Fa-
milie iſt ſomit ein weſentlich vorübergehendes Verhältniß, die
angebliche Fortdauer derſelben Familie durch Jahrhunderte
aber eine Reihenfolge von Familien, welche freilich durch
erbliches Eigenthum, überlieferte Sitten und vielleicht von Ge-
ſchlecht zu Geſchlecht übergehende Eigenſchaften etwas Gemein-
ſchaftliches haben mögen, auch durch poſitives Recht zu einer
künſtlichen Einheit verbunden werden können.

Der um eine Familie ſich bildende Lebenskreis ſchließt
mit ihr ab und wird von ihr ganz ausgefüllt. Die Familie
weist ihrer Natur nach Fremdes ab, ſoweit von ihrem eigenſten
Weſen die Rede iſt. Deßhalb können und müſſen zwar viele
Familien zu gleicher Zeit beſtehen; eine Verbindung derſelben
zu gemeinſchaftlicher Erreichung der Familienzwecke tritt jedoch
nicht ein, ſondern es kann ein weiterer Kreis nur durch Zu-
ziehung eines ferneren Principes zum Behufe einer anderen
höheren Geſtaltung des menſchlichen Zuſammenlebens ſtattfin-
den 3). Die phyſiſche Kraft der Familie iſt deßhab auch klein;
allein ihre ſittlichen, körperlichen und wirthſchaftlichen Wirkungen
für den einzelnen Theilhaber ſind dennoch höchſt bedeutend und
durch nichts Anderes erſetzbar.

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[12/0026] aber iſt ſie eine unfreiwillige Thatſache, was die Geburt in einer beſtimmten Familie und das Leben in derſelben während der erſten Jahre betrifft; freiwillig jedoch wird die Fortſetzung nach erlangter Selbſtſtändigkeit des Kindes. Die Dauer iſt naturgemäß verſchieden. Für die Gründenden erliſcht ſie erſt mit dem Leben, indem mit dem Aufhören des einen Zweckes um ſo mehr Gewohnheit und Hülfsbedürfniß entſteht. Für die in der Familie Erzeugten tritt der Wille zur Trennung ein mit dem Bedürfniſſe eine eigene Familie zu gründen und mit Erwerbung der Mittel hiezu. Im letzteren Falle iſt übrigens mit der Trennung fortwährende Befreundung gar wohl vereinbar, und ſogar durch ſittliche Gebote verlangt. Die einzelne Fa- milie iſt ſomit ein weſentlich vorübergehendes Verhältniß, die angebliche Fortdauer derſelben Familie durch Jahrhunderte aber eine Reihenfolge von Familien, welche freilich durch erbliches Eigenthum, überlieferte Sitten und vielleicht von Ge- ſchlecht zu Geſchlecht übergehende Eigenſchaften etwas Gemein- ſchaftliches haben mögen, auch durch poſitives Recht zu einer künſtlichen Einheit verbunden werden können. Der um eine Familie ſich bildende Lebenskreis ſchließt mit ihr ab und wird von ihr ganz ausgefüllt. Die Familie weist ihrer Natur nach Fremdes ab, ſoweit von ihrem eigenſten Weſen die Rede iſt. Deßhalb können und müſſen zwar viele Familien zu gleicher Zeit beſtehen; eine Verbindung derſelben zu gemeinſchaftlicher Erreichung der Familienzwecke tritt jedoch nicht ein, ſondern es kann ein weiterer Kreis nur durch Zu- ziehung eines ferneren Principes zum Behufe einer anderen höheren Geſtaltung des menſchlichen Zuſammenlebens ſtattfin- den 3). Die phyſiſche Kraft der Familie iſt deßhab auch klein; allein ihre ſittlichen, körperlichen und wirthſchaftlichen Wirkungen für den einzelnen Theilhaber ſind dennoch höchſt bedeutend und durch nichts Anderes erſetzbar.

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Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/26>, abgerufen am 24.11.2024.