insoferne auch sein eigenes, als es sich auf ihn, den Bestandtheil, reflektirt. Der Staat ist nicht seinetwillen da, sondern umgekehrt er für den Staat, und dieser letztere muß als ein lebendiger Organismus, welcher hoch über dem einzelnen Menschen nicht nur an Macht, sondern auch an Recht steht, betrachtet werden. -- Hierzu kommt noch, daß wenigstens bei den Griechen Recht und Sittlichkeit nicht scharf genug getrennt wurden, und daher, wenn irgend ein Zustand vernünftig erschien, die formelle Be- fugniß zu seiner Herstellung nicht bezweifelt wurde.
Mitten in dieser Anschauung stehen nun die beiden Plato- nischen Werke, und sie sind, als deren geistreicher und uner- schrocken durchgeführter Ausdruck, von hoher culturgeschichtlicher Bedeutung. Im Uebrigen sind sie allerdings unter sich wieder sehr verschieden. In den Büchern vom "Staate" wird das volle Platonische Ideal dargestellt, und der Idee des an sich Guten (der Gerechtigkeit) Ausführung verschafft. Das Ergebniß ist eine vollständige Verwendung eines jeden Einzelnen für die Gesammtheit, und zwar gerade in der Weise, wie er hierzu paßt. Weder Körper, noch Geist, noch Vermögen gehören dem Einzelnen, aber es wird ihm das höchste menschliche Glück da- durch zu Theil, daß das Ganze in vollster Blüthe ist. -- Von diesem Ideal steigt Platon in den "Gesetzen" bedeutend herab, indem er seine Forderungen nach der Leistungsfähigkeit der Menschen beschränkt. Allein selbst hier ist von angeborenem Rechte des Menschen keine Rede, Nicht nur sind Sclaverei, Zurück- setzung der Kaufleute und aller Gewerbenden beibehalten; sondern es soll auch das Leben des freien, d. h. mitregierenden, Bürgers bis in das Innerste seines häuslichen Lebens hinein nach dem vermeintlichen Nutzen der Gesammtheit geregelt sein.
Ganz anders ist die Behandlungsweise des Aristoteles; deßhalb aber seine Grundansicht keineswegs eine verschiedene. Er schafft kein Ideal, sondern verhält sich kritisch zu dem
inſoferne auch ſein eigenes, als es ſich auf ihn, den Beſtandtheil, reflektirt. Der Staat iſt nicht ſeinetwillen da, ſondern umgekehrt er für den Staat, und dieſer letztere muß als ein lebendiger Organismus, welcher hoch über dem einzelnen Menſchen nicht nur an Macht, ſondern auch an Recht ſteht, betrachtet werden. — Hierzu kommt noch, daß wenigſtens bei den Griechen Recht und Sittlichkeit nicht ſcharf genug getrennt wurden, und daher, wenn irgend ein Zuſtand vernünftig erſchien, die formelle Be- fugniß zu ſeiner Herſtellung nicht bezweifelt wurde.
Mitten in dieſer Anſchauung ſtehen nun die beiden Plato- niſchen Werke, und ſie ſind, als deren geiſtreicher und uner- ſchrocken durchgeführter Ausdruck, von hoher culturgeſchichtlicher Bedeutung. Im Uebrigen ſind ſie allerdings unter ſich wieder ſehr verſchieden. In den Büchern vom „Staate“ wird das volle Platoniſche Ideal dargeſtellt, und der Idee des an ſich Guten (der Gerechtigkeit) Ausführung verſchafft. Das Ergebniß iſt eine vollſtändige Verwendung eines jeden Einzelnen für die Geſammtheit, und zwar gerade in der Weiſe, wie er hierzu paßt. Weder Körper, noch Geiſt, noch Vermögen gehören dem Einzelnen, aber es wird ihm das höchſte menſchliche Glück da- durch zu Theil, daß das Ganze in vollſter Blüthe iſt. — Von dieſem Ideal ſteigt Platon in den „Geſetzen“ bedeutend herab, indem er ſeine Forderungen nach der Leiſtungsfähigkeit der Menſchen beſchränkt. Allein ſelbſt hier iſt von angeborenem Rechte des Menſchen keine Rede, Nicht nur ſind Sclaverei, Zurück- ſetzung der Kaufleute und aller Gewerbenden beibehalten; ſondern es ſoll auch das Leben des freien, d. h. mitregierenden, Bürgers bis in das Innerſte ſeines häuslichen Lebens hinein nach dem vermeintlichen Nutzen der Geſammtheit geregelt ſein.
Ganz anders iſt die Behandlungsweiſe des Ariſtoteles; deßhalb aber ſeine Grundanſicht keineswegs eine verſchiedene. Er ſchafft kein Ideal, ſondern verhält ſich kritiſch zu dem
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inſoferne auch ſein eigenes, als es ſich auf ihn, den Beſtandtheil,
reflektirt. Der Staat iſt nicht ſeinetwillen da, ſondern umgekehrt
er für den Staat, und dieſer letztere muß als ein lebendiger
Organismus, welcher hoch über dem einzelnen Menſchen nicht
nur an Macht, ſondern auch an Recht ſteht, betrachtet werden.
— Hierzu kommt noch, daß wenigſtens bei den Griechen Recht
und Sittlichkeit nicht ſcharf genug getrennt wurden, und daher,
wenn irgend ein Zuſtand vernünftig erſchien, die formelle Be-
fugniß zu ſeiner Herſtellung nicht bezweifelt wurde.
Mitten in dieſer Anſchauung ſtehen nun die beiden Plato-
niſchen Werke, und ſie ſind, als deren geiſtreicher und uner-
ſchrocken durchgeführter Ausdruck, von hoher culturgeſchichtlicher
Bedeutung. Im Uebrigen ſind ſie allerdings unter ſich wieder
ſehr verſchieden. In den Büchern vom „Staate“ wird das volle
Platoniſche Ideal dargeſtellt, und der Idee des an ſich Guten
(der Gerechtigkeit) Ausführung verſchafft. Das Ergebniß iſt
eine vollſtändige Verwendung eines jeden Einzelnen für die
Geſammtheit, und zwar gerade in der Weiſe, wie er hierzu
paßt. Weder Körper, noch Geiſt, noch Vermögen gehören dem
Einzelnen, aber es wird ihm das höchſte menſchliche Glück da-
durch zu Theil, daß das Ganze in vollſter Blüthe iſt. — Von
dieſem Ideal ſteigt Platon in den „Geſetzen“ bedeutend herab,
indem er ſeine Forderungen nach der Leiſtungsfähigkeit der
Menſchen beſchränkt. Allein ſelbſt hier iſt von angeborenem Rechte
des Menſchen keine Rede, Nicht nur ſind Sclaverei, Zurück-
ſetzung der Kaufleute und aller Gewerbenden beibehalten; ſondern
es ſoll auch das Leben des freien, d. h. mitregierenden, Bürgers
bis in das Innerſte ſeines häuslichen Lebens hinein nach dem
vermeintlichen Nutzen der Geſammtheit geregelt ſein.
Ganz anders iſt die Behandlungsweiſe des Ariſtoteles;
deßhalb aber ſeine Grundanſicht keineswegs eine verſchiedene.
Er ſchafft kein Ideal, ſondern verhält ſich kritiſch zu dem
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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/190>, abgerufen am 24.11.2024.
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