eine Reihenfolge immer neuer Umwälzungen eine gänzliche Auflösung von Staat und Gesellschaft herbei. Endlich noch ist es außerordentlich schwierig, vor dem Eintritte der Thatsachen den wahren Stand der Volksgesinnung zu kennen und also die Rechtmäßigkeit und die Räthlichkeit von Gewaltmaßregeln zu beurtheilen. Aeußerungen Einzelner, und wären sie noch so laut und noch so entschieden, geben keinen Maßstab. Selbst eine anscheinend allgemeine Volksstimmung mag nur augenblick- liche Regung auf der äußersten Oberfläche sein; über die Nachhaltigkeit selbst einer tiefer gehenden Bewegung liegt keine Gewißheit vor. Auf solche Weise ist ein Mißlingen sehr wohl möglich; ein solches aber führt nicht nur über die Urheber und ihre hauptsächlichsten Genossen schweres Unglück, sondern stürzt auch noch ungezählte Andere in Elend und Verschlechterung ihrer bisherigen Zustände. -- Aus all dem ergibt sich nun, daß es eine gleichmäßige Forderung des Rechtes, der Sittlich- keit und der Klugheit ist, keine gewaltsamen Aenderungen im Staate zu unternehmen, wo irgend ein Zweifel über das allge- meine Bedürfniß und irgend eine Möglichkeit der Zufrieden- stellung mit dem Bisherigen vorhanden ist. Es ist nicht blos feige Folgewidrigkeit und Gesinnungslosigkeit, welche bei Revo- lutionen nach dem Erfolge urtheilt; sondern in der That gibt hier nur der Sieg auch das Recht, weil nur aus jenem auf das Vorhandensein der Bedingungen des letzteren geschlossen werden kann 9).
1) Schlagende Beispiele von Staatseinrichtungen, welche vom ersten Anfange an falsch waren, weil sie an einer Schwäche der öffentlichen Gewalt litten, ließen sich in Menge aus der Geschichte der seit 1789 entstandenen Verfassungen anführen. So z. B. die sämmtlichen Grundgesetze, welche der Familie der ersten französischen Verfassung (von 1791) angehörten; ferner die Cortesverfassung mit allen ihren Nachahmungen. Aber auch die polnische, die un- garische Verfassung. Namentlich sind ferner die Einrichtungen mancher Staaten- bünde zu nennen, welche von Anfang an angeborener Schwäche kränkelten,
eine Reihenfolge immer neuer Umwälzungen eine gänzliche Auflöſung von Staat und Geſellſchaft herbei. Endlich noch iſt es außerordentlich ſchwierig, vor dem Eintritte der Thatſachen den wahren Stand der Volksgeſinnung zu kennen und alſo die Rechtmäßigkeit und die Räthlichkeit von Gewaltmaßregeln zu beurtheilen. Aeußerungen Einzelner, und wären ſie noch ſo laut und noch ſo entſchieden, geben keinen Maßſtab. Selbſt eine anſcheinend allgemeine Volksſtimmung mag nur augenblick- liche Regung auf der äußerſten Oberfläche ſein; über die Nachhaltigkeit ſelbſt einer tiefer gehenden Bewegung liegt keine Gewißheit vor. Auf ſolche Weiſe iſt ein Mißlingen ſehr wohl möglich; ein ſolches aber führt nicht nur über die Urheber und ihre hauptſächlichſten Genoſſen ſchweres Unglück, ſondern ſtürzt auch noch ungezählte Andere in Elend und Verſchlechterung ihrer bisherigen Zuſtände. — Aus all dem ergibt ſich nun, daß es eine gleichmäßige Forderung des Rechtes, der Sittlich- keit und der Klugheit iſt, keine gewaltſamen Aenderungen im Staate zu unternehmen, wo irgend ein Zweifel über das allge- meine Bedürfniß und irgend eine Möglichkeit der Zufrieden- ſtellung mit dem Bisherigen vorhanden iſt. Es iſt nicht blos feige Folgewidrigkeit und Geſinnungsloſigkeit, welche bei Revo- lutionen nach dem Erfolge urtheilt; ſondern in der That gibt hier nur der Sieg auch das Recht, weil nur aus jenem auf das Vorhandenſein der Bedingungen des letzteren geſchloſſen werden kann 9).
1) Schlagende Beiſpiele von Staatseinrichtungen, welche vom erſten Anfange an falſch waren, weil ſie an einer Schwäche der öffentlichen Gewalt litten, ließen ſich in Menge aus der Geſchichte der ſeit 1789 entſtandenen Verfaſſungen anführen. So z. B. die ſämmtlichen Grundgeſetze, welche der Familie der erſten franzöſiſchen Verfaſſung (von 1791) angehörten; ferner die Cortesverfaſſung mit allen ihren Nachahmungen. Aber auch die polniſche, die un- gariſche Verfaſſung. Namentlich ſind ferner die Einrichtungen mancher Staaten- bünde zu nennen, welche von Anfang an angeborener Schwäche kränkelten,
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eine Reihenfolge immer neuer Umwälzungen eine gänzliche
Auflöſung von Staat und Geſellſchaft herbei. Endlich noch iſt
es außerordentlich ſchwierig, vor dem Eintritte der Thatſachen
den wahren Stand der Volksgeſinnung zu kennen und alſo
die Rechtmäßigkeit und die Räthlichkeit von Gewaltmaßregeln
zu beurtheilen. Aeußerungen Einzelner, und wären ſie noch
ſo laut und noch ſo entſchieden, geben keinen Maßſtab. Selbſt
eine anſcheinend allgemeine Volksſtimmung mag nur augenblick-
liche Regung auf der äußerſten Oberfläche ſein; über die
Nachhaltigkeit ſelbſt einer tiefer gehenden Bewegung liegt keine
Gewißheit vor. Auf ſolche Weiſe iſt ein Mißlingen ſehr wohl
möglich; ein ſolches aber führt nicht nur über die Urheber und
ihre hauptſächlichſten Genoſſen ſchweres Unglück, ſondern ſtürzt
auch noch ungezählte Andere in Elend und Verſchlechterung
ihrer bisherigen Zuſtände. — Aus all dem ergibt ſich nun,
daß es eine gleichmäßige Forderung des Rechtes, der Sittlich-
keit und der Klugheit iſt, keine gewaltſamen Aenderungen im
Staate zu unternehmen, wo irgend ein Zweifel über das allge-
meine Bedürfniß und irgend eine Möglichkeit der Zufrieden-
ſtellung mit dem Bisherigen vorhanden iſt. Es iſt nicht blos
feige Folgewidrigkeit und Geſinnungsloſigkeit, welche bei Revo-
lutionen nach dem Erfolge urtheilt; ſondern in der That gibt
hier nur der Sieg auch das Recht, weil nur aus jenem auf
das Vorhandenſein der Bedingungen des letzteren geſchloſſen
werden kann 9).
¹⁾ Schlagende Beiſpiele von Staatseinrichtungen, welche vom erſten
Anfange an falſch waren, weil ſie an einer Schwäche der öffentlichen Gewalt
litten, ließen ſich in Menge aus der Geſchichte der ſeit 1789 entſtandenen
Verfaſſungen anführen. So z. B. die ſämmtlichen Grundgeſetze, welche der
Familie der erſten franzöſiſchen Verfaſſung (von 1791) angehörten; ferner die
Cortesverfaſſung mit allen ihren Nachahmungen. Aber auch die polniſche, die un-
gariſche Verfaſſung. Namentlich ſind ferner die Einrichtungen mancher Staaten-
bünde zu nennen, welche von Anfang an angeborener Schwäche kränkelten,
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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/180>, abgerufen am 24.11.2024.
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