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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786.

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Es sollten die Wochenschr. auch die Anzeigen
Vorwurf, daß sie nur das Auge ergötzt, als ich es der
Nachtviole verdenke, daß sie nicht bey Tage riecht. Je-
des Ding hat bey mir seine Zeit und seine Stelle bekom-
men, und damit ist auch meine ganze Kritik gefallen.

Der einzige Mißbrauch, den wir Moralisten zu fürch-
ten und abzuwehren haben, ist dieser, daß die Blumen
mehr Platz einnehmen als ihnen zukommt. Denn wo sie
dergestalt wuchern, daß sie den Kartoffeln ihren Platz
rauben, oder wohl gar das Korn ersticken, da sieht es
gefährlich aus. Aber hier können wir räuten, pflügen
und brachen, und wenn wir dieses zur rechten Zeit thun:
so wird die Ordnung der Natur nichts dabey verlieren.
Sie wird gut bestehen, wenn wir vorher wohl untersu-
chen, ob sich ein Landstädtgen, was Mangel an Korne
hat, so gut zum Blumenbeete schicke, als eine Haupt-
stadt, und die Heide ein Feld sey um Hyacinthen darauf
zu ziehen.

Gegen diesen meinen Plan, liebste Freundinn! wer-
den Sie mir keine Einwendung machen. Sie gehören zu
dem Geschlechte der Blumen, die nicht blos das Auge
ergötzen, sondern auch noch überdem schöne Früchte brin-
gen. Jn ihrem Schatten wird kein Korn erstickt, und
der Raum, den Sie einnehmen, ist nicht größer als Jh-
nen gebührt. Sie schützen vielmehr andre zärtliche Ge-
wächse vor der Macht der Sonne, und wenn Sie ihre
Blätter gleich hoch tragen, und sich dem begierigen Auge
in ihrem schönsten Schmucke zeigen: so geschieht dieses,
um die kurze Zeit, welche Sie in dieser Welt zu blühen
haben, ihrer Bestimmung gemäs anzuwenden, und dann
zu einer vollkommenen Frucht zu reifen. Können wir diese
dann gleich nicht so lange wie wir wünschen aufbewahren:
so müssen wir uns damit trösten, daß wir für den Man-

gel

Es ſollten die Wochenſchr. auch die Anzeigen
Vorwurf, daß ſie nur das Auge ergoͤtzt, als ich es der
Nachtviole verdenke, daß ſie nicht bey Tage riecht. Je-
des Ding hat bey mir ſeine Zeit und ſeine Stelle bekom-
men, und damit iſt auch meine ganze Kritik gefallen.

Der einzige Mißbrauch, den wir Moraliſten zu fuͤrch-
ten und abzuwehren haben, iſt dieſer, daß die Blumen
mehr Platz einnehmen als ihnen zukommt. Denn wo ſie
dergeſtalt wuchern, daß ſie den Kartoffeln ihren Platz
rauben, oder wohl gar das Korn erſticken, da ſieht es
gefaͤhrlich aus. Aber hier koͤnnen wir raͤuten, pfluͤgen
und brachen, und wenn wir dieſes zur rechten Zeit thun:
ſo wird die Ordnung der Natur nichts dabey verlieren.
Sie wird gut beſtehen, wenn wir vorher wohl unterſu-
chen, ob ſich ein Landſtaͤdtgen, was Mangel an Korne
hat, ſo gut zum Blumenbeete ſchicke, als eine Haupt-
ſtadt, und die Heide ein Feld ſey um Hyacinthen darauf
zu ziehen.

Gegen dieſen meinen Plan, liebſte Freundinn! wer-
den Sie mir keine Einwendung machen. Sie gehoͤren zu
dem Geſchlechte der Blumen, die nicht blos das Auge
ergoͤtzen, ſondern auch noch uͤberdem ſchoͤne Fruͤchte brin-
gen. Jn ihrem Schatten wird kein Korn erſtickt, und
der Raum, den Sie einnehmen, iſt nicht groͤßer als Jh-
nen gebuͤhrt. Sie ſchuͤtzen vielmehr andre zaͤrtliche Ge-
waͤchſe vor der Macht der Sonne, und wenn Sie ihre
Blaͤtter gleich hoch tragen, und ſich dem begierigen Auge
in ihrem ſchoͤnſten Schmucke zeigen: ſo geſchieht dieſes,
um die kurze Zeit, welche Sie in dieſer Welt zu bluͤhen
haben, ihrer Beſtimmung gemaͤs anzuwenden, und dann
zu einer vollkommenen Frucht zu reifen. Koͤnnen wir dieſe
dann gleich nicht ſo lange wie wir wuͤnſchen aufbewahren:
ſo muͤſſen wir uns damit troͤſten, daß wir fuͤr den Man-

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[44/0056] Es ſollten die Wochenſchr. auch die Anzeigen Vorwurf, daß ſie nur das Auge ergoͤtzt, als ich es der Nachtviole verdenke, daß ſie nicht bey Tage riecht. Je- des Ding hat bey mir ſeine Zeit und ſeine Stelle bekom- men, und damit iſt auch meine ganze Kritik gefallen. Der einzige Mißbrauch, den wir Moraliſten zu fuͤrch- ten und abzuwehren haben, iſt dieſer, daß die Blumen mehr Platz einnehmen als ihnen zukommt. Denn wo ſie dergeſtalt wuchern, daß ſie den Kartoffeln ihren Platz rauben, oder wohl gar das Korn erſticken, da ſieht es gefaͤhrlich aus. Aber hier koͤnnen wir raͤuten, pfluͤgen und brachen, und wenn wir dieſes zur rechten Zeit thun: ſo wird die Ordnung der Natur nichts dabey verlieren. Sie wird gut beſtehen, wenn wir vorher wohl unterſu- chen, ob ſich ein Landſtaͤdtgen, was Mangel an Korne hat, ſo gut zum Blumenbeete ſchicke, als eine Haupt- ſtadt, und die Heide ein Feld ſey um Hyacinthen darauf zu ziehen. Gegen dieſen meinen Plan, liebſte Freundinn! wer- den Sie mir keine Einwendung machen. Sie gehoͤren zu dem Geſchlechte der Blumen, die nicht blos das Auge ergoͤtzen, ſondern auch noch uͤberdem ſchoͤne Fruͤchte brin- gen. Jn ihrem Schatten wird kein Korn erſtickt, und der Raum, den Sie einnehmen, iſt nicht groͤßer als Jh- nen gebuͤhrt. Sie ſchuͤtzen vielmehr andre zaͤrtliche Ge- waͤchſe vor der Macht der Sonne, und wenn Sie ihre Blaͤtter gleich hoch tragen, und ſich dem begierigen Auge in ihrem ſchoͤnſten Schmucke zeigen: ſo geſchieht dieſes, um die kurze Zeit, welche Sie in dieſer Welt zu bluͤhen haben, ihrer Beſtimmung gemaͤs anzuwenden, und dann zu einer vollkommenen Frucht zu reifen. Koͤnnen wir dieſe dann gleich nicht ſo lange wie wir wuͤnſchen aufbewahren: ſo muͤſſen wir uns damit troͤſten, daß wir fuͤr den Man- gel

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/56>, abgerufen am 24.11.2024.