die ausserordentlichen Gefälle verglichen werden würde, zum Nachtheil des gemeinen Wesens eine Erbeslast zu machen; ich dachte, der Gutsherr könne zufrieden seyn, wenn derjenige, der ihm das Verglichene nicht bezahlt, zur Strafe wieder Leibeigen werden müsse, und wie sol- chemnach der Staat nicht mehr verliert, als er jetzt würk- lich entbehren muß: so pflichtete ich denjenigen bey, welche für die Freyheit redeten.
Aber nun entstand die Frage, was man allenfalls für allgemeine Grundsätze annehmen könnte, um alle Jrrungen zwischen dem Gutsherrn und dem freyen Erb- pachter zu verhüten, und die Gränzen ihrer beyderseiti- gen Rechte zu bestimmen? Es lag gleich vor Augen, daß von dem Augenblick der ertheilten Freyheit an ein ganz neues Jnteresse zwischen beyden Theilen entstünde. Vor- her lag dem Gutsherrn alles an der Erhaltung seines Leibeignen; er mußte ihn schonen, schützen und vertreten, um gute Auffahrten, Sterbfälle und Freybriefe zu erhal- ten; jede Schuld die der Bauer auf sein bewegliches Gut machte, jeder Proceß den er anfieng, jeder Brüchte den er bezahlte, jedes Kind das er aussteuerte, jede Schaz- zung die er bezahlen sollte, alles interessirte den Guts- herrn, alles bewog ihn zu ihrem beyderseitigen gemein- schaftlichen Besten zu handeln. So bald ist aber der Mann nicht frey: so fallen alle diese Betrachtungen rein weg; der Gutsherr nimmt was ihm zukömmt, und bekümmert sich nicht weiter um seinen Pächter, er sieht ihn wie ei- nen freyen Handwerker an, den er so genau als möglich bedingt, ohne darnach zu fragen, ob er auch Salz und Brod behalte: wird er in Streitigkeiten verwickelt, desto schlimmer für ihn; sind Steuern zu bewilligen: so sorgt der Gutsherr nur für die Sicherheit seiner Erbzinsfrüchte, und das übrige ist ihm gleichgültig, der freye Erbpächter
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mit Leibeignen in freye Erbpacht.
die auſſerordentlichen Gefaͤlle verglichen werden wuͤrde, zum Nachtheil des gemeinen Weſens eine Erbeslaſt zu machen; ich dachte, der Gutsherr koͤnne zufrieden ſeyn, wenn derjenige, der ihm das Verglichene nicht bezahlt, zur Strafe wieder Leibeigen werden muͤſſe, und wie ſol- chemnach der Staat nicht mehr verliert, als er jetzt wuͤrk- lich entbehren muß: ſo pflichtete ich denjenigen bey, welche fuͤr die Freyheit redeten.
Aber nun entſtand die Frage, was man allenfalls fuͤr allgemeine Grundſaͤtze annehmen koͤnnte, um alle Jrrungen zwiſchen dem Gutsherrn und dem freyen Erb- pachter zu verhuͤten, und die Graͤnzen ihrer beyderſeiti- gen Rechte zu beſtimmen? Es lag gleich vor Augen, daß von dem Augenblick der ertheilten Freyheit an ein ganz neues Jntereſſe zwiſchen beyden Theilen entſtuͤnde. Vor- her lag dem Gutsherrn alles an der Erhaltung ſeines Leibeignen; er mußte ihn ſchonen, ſchuͤtzen und vertreten, um gute Auffahrten, Sterbfaͤlle und Freybriefe zu erhal- ten; jede Schuld die der Bauer auf ſein bewegliches Gut machte, jeder Proceß den er anfieng, jeder Bruͤchte den er bezahlte, jedes Kind das er ausſteuerte, jede Schaz- zung die er bezahlen ſollte, alles intereſſirte den Guts- herrn, alles bewog ihn zu ihrem beyderſeitigen gemein- ſchaftlichen Beſten zu handeln. So bald iſt aber der Mann nicht frey: ſo fallen alle dieſe Betrachtungen rein weg; der Gutsherr nimmt was ihm zukoͤmmt, und bekuͤmmert ſich nicht weiter um ſeinen Paͤchter, er ſieht ihn wie ei- nen freyen Handwerker an, den er ſo genau als moͤglich bedingt, ohne darnach zu fragen, ob er auch Salz und Brod behalte: wird er in Streitigkeiten verwickelt, deſto ſchlimmer fuͤr ihn; ſind Steuern zu bewilligen: ſo ſorgt der Gutsherr nur fuͤr die Sicherheit ſeiner Erbzinsfruͤchte, und das uͤbrige iſt ihm gleichguͤltig, der freye Erbpaͤchter
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mit Leibeignen in freye Erbpacht.
die auſſerordentlichen Gefaͤlle verglichen werden wuͤrde,
zum Nachtheil des gemeinen Weſens eine Erbeslaſt zu
machen; ich dachte, der Gutsherr koͤnne zufrieden ſeyn,
wenn derjenige, der ihm das Verglichene nicht bezahlt,
zur Strafe wieder Leibeigen werden muͤſſe, und wie ſol-
chemnach der Staat nicht mehr verliert, als er jetzt wuͤrk-
lich entbehren muß: ſo pflichtete ich denjenigen bey, welche
fuͤr die Freyheit redeten.
Aber nun entſtand die Frage, was man allenfalls
fuͤr allgemeine Grundſaͤtze annehmen koͤnnte, um alle
Jrrungen zwiſchen dem Gutsherrn und dem freyen Erb-
pachter zu verhuͤten, und die Graͤnzen ihrer beyderſeiti-
gen Rechte zu beſtimmen? Es lag gleich vor Augen, daß
von dem Augenblick der ertheilten Freyheit an ein ganz
neues Jntereſſe zwiſchen beyden Theilen entſtuͤnde. Vor-
her lag dem Gutsherrn alles an der Erhaltung ſeines
Leibeignen; er mußte ihn ſchonen, ſchuͤtzen und vertreten,
um gute Auffahrten, Sterbfaͤlle und Freybriefe zu erhal-
ten; jede Schuld die der Bauer auf ſein bewegliches Gut
machte, jeder Proceß den er anfieng, jeder Bruͤchte den
er bezahlte, jedes Kind das er ausſteuerte, jede Schaz-
zung die er bezahlen ſollte, alles intereſſirte den Guts-
herrn, alles bewog ihn zu ihrem beyderſeitigen gemein-
ſchaftlichen Beſten zu handeln. So bald iſt aber der Mann
nicht frey: ſo fallen alle dieſe Betrachtungen rein weg;
der Gutsherr nimmt was ihm zukoͤmmt, und bekuͤmmert
ſich nicht weiter um ſeinen Paͤchter, er ſieht ihn wie ei-
nen freyen Handwerker an, den er ſo genau als moͤglich
bedingt, ohne darnach zu fragen, ob er auch Salz und
Brod behalte: wird er in Streitigkeiten verwickelt, deſto
ſchlimmer fuͤr ihn; ſind Steuern zu bewilligen: ſo ſorgt
der Gutsherr nur fuͤr die Sicherheit ſeiner Erbzinsfruͤchte,
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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786, S. 323. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/335>, abgerufen am 16.07.2024.
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