Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786.

Bild:
<< vorherige Seite

Warum bildet sich der deutsche Adel
Vögten standen, und denselben eine Sterbfallsurkunde
zukommen lassen mußten.

Man wird endlich aus der alten Reichsgeschichte
wissen, daß es eine Zeit gegeben habe, worinn ein ed-
ler Herr nicht einmal kayserlicher Dienstmann werden
konnte, ohne seiner Freyheit zu entsagen, und folglich
die Rechte seiner Geburt aufzugeben.

Hat es sich nun aber mit der Dienstmannschaft also
gewandt, daß jeder von Adel sich ohne sein Geburtsrecht
zu verlieren darinn begeben, und sich dem Heergewedde
unterwerfen kann, ohne seine Ehre aufzuopfern; hat es
sich mit der Bürgerschaft also geändert, daß sie fast über-
all das vogteyliche Joch abgeschüttelt, und sich vom Sterb-
fall befreyet hat; hat man Beyspiele, daß sich Edelge-
bohrne
auf amtssäßigen ja wohl gar auf schatzpflichtigen
Gütern erhalten haben, ohne darum ganz abgewürdiget
zu werden, kann man endlich eine Muskete auf die Schul-
ter nehmen, und doch dabey sein Wapen behalten: so
sehe ich nicht ab, warum sich die Adelsfähigkeit in einer
andern Vermischung weniger als in jener erhalten lassen
sollte? Die Furcht der Franzosen, daß der so nöthige
Militairstand und der kriegerische Geist der Nation dabey
verlieren würde, kommt bey mir gar nicht zum Anschlage.
Tapferkeit ist eine moralische Eigenschaft die mit jener
politischen nichts zu thun hat; es giebt moralisch gute
Leute in allen Ständen; der Engländer ist durch die Ver-
mischung nicht feiger geworden, und was der Militair-
stand gebraucht, wird er um so viel reichlicher erhalten,
je mehr die Officiere und andre Edelgebohrne heyrathen,
können, so bald ihren Kindern alle Wege sich zu erhalten
welche ihnen durch unsre jetzige Denkungsart verschlossen
sind, eröffnet werden.

Auch

Warum bildet ſich der deutſche Adel
Voͤgten ſtanden, und denſelben eine Sterbfallsurkunde
zukommen laſſen mußten.

Man wird endlich aus der alten Reichsgeſchichte
wiſſen, daß es eine Zeit gegeben habe, worinn ein ed-
ler Herr nicht einmal kayſerlicher Dienſtmann werden
konnte, ohne ſeiner Freyheit zu entſagen, und folglich
die Rechte ſeiner Geburt aufzugeben.

Hat es ſich nun aber mit der Dienſtmannſchaft alſo
gewandt, daß jeder von Adel ſich ohne ſein Geburtsrecht
zu verlieren darinn begeben, und ſich dem Heergewedde
unterwerfen kann, ohne ſeine Ehre aufzuopfern; hat es
ſich mit der Buͤrgerſchaft alſo geaͤndert, daß ſie faſt uͤber-
all das vogteyliche Joch abgeſchuͤttelt, und ſich vom Sterb-
fall befreyet hat; hat man Beyſpiele, daß ſich Edelge-
bohrne
auf amtsſaͤßigen ja wohl gar auf ſchatzpflichtigen
Guͤtern erhalten haben, ohne darum ganz abgewuͤrdiget
zu werden, kann man endlich eine Muskete auf die Schul-
ter nehmen, und doch dabey ſein Wapen behalten: ſo
ſehe ich nicht ab, warum ſich die Adelsfaͤhigkeit in einer
andern Vermiſchung weniger als in jener erhalten laſſen
ſollte? Die Furcht der Franzoſen, daß der ſo noͤthige
Militairſtand und der kriegeriſche Geiſt der Nation dabey
verlieren wuͤrde, kommt bey mir gar nicht zum Anſchlage.
Tapferkeit iſt eine moraliſche Eigenſchaft die mit jener
politiſchen nichts zu thun hat; es giebt moraliſch gute
Leute in allen Staͤnden; der Englaͤnder iſt durch die Ver-
miſchung nicht feiger geworden, und was der Militair-
ſtand gebraucht, wird er um ſo viel reichlicher erhalten,
je mehr die Officiere und andre Edelgebohrne heyrathen,
koͤnnen, ſo bald ihren Kindern alle Wege ſich zu erhalten
welche ihnen durch unſre jetzige Denkungsart verſchloſſen
ſind, eroͤffnet werden.

Auch
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0268" n="256"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Warum bildet &#x017F;ich der deut&#x017F;che Adel</hi></fw><lb/>
Vo&#x0364;gten &#x017F;tanden, und den&#x017F;elben eine Sterbfallsurkunde<lb/>
zukommen la&#x017F;&#x017F;en mußten.</p><lb/>
          <p>Man wird endlich aus der alten Reichsge&#x017F;chichte<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en, daß es eine Zeit gegeben habe, worinn ein ed-<lb/>
ler Herr nicht einmal kay&#x017F;erlicher Dien&#x017F;tmann werden<lb/>
konnte, ohne &#x017F;einer Freyheit zu ent&#x017F;agen, und folglich<lb/>
die Rechte &#x017F;einer Geburt aufzugeben.</p><lb/>
          <p>Hat es &#x017F;ich nun aber mit der Dien&#x017F;tmann&#x017F;chaft al&#x017F;o<lb/>
gewandt, daß jeder von Adel &#x017F;ich ohne &#x017F;ein Geburtsrecht<lb/>
zu verlieren darinn begeben, und &#x017F;ich dem Heergewedde<lb/>
unterwerfen kann, ohne &#x017F;eine Ehre aufzuopfern; hat es<lb/>
&#x017F;ich mit der Bu&#x0364;rger&#x017F;chaft al&#x017F;o gea&#x0364;ndert, daß &#x017F;ie fa&#x017F;t u&#x0364;ber-<lb/>
all das vogteyliche Joch abge&#x017F;chu&#x0364;ttelt, und &#x017F;ich vom Sterb-<lb/>
fall befreyet hat; hat man Bey&#x017F;piele, daß &#x017F;ich <hi rendition="#fr">Edelge-<lb/>
bohrne</hi> auf amts&#x017F;a&#x0364;ßigen ja wohl gar auf &#x017F;chatzpflichtigen<lb/>
Gu&#x0364;tern erhalten haben, ohne darum ganz abgewu&#x0364;rdiget<lb/>
zu werden, kann man endlich eine Muskete auf die Schul-<lb/>
ter nehmen, und doch dabey &#x017F;ein Wapen behalten: &#x017F;o<lb/>
&#x017F;ehe ich nicht ab, warum &#x017F;ich die Adelsfa&#x0364;higkeit in einer<lb/>
andern Vermi&#x017F;chung weniger als in jener erhalten la&#x017F;&#x017F;en<lb/>
&#x017F;ollte? Die Furcht der Franzo&#x017F;en, daß der &#x017F;o no&#x0364;thige<lb/>
Militair&#x017F;tand und der kriegeri&#x017F;che Gei&#x017F;t der Nation dabey<lb/>
verlieren wu&#x0364;rde, kommt bey mir gar nicht zum An&#x017F;chlage.<lb/>
Tapferkeit i&#x017F;t eine morali&#x017F;che Eigen&#x017F;chaft die mit jener<lb/>
politi&#x017F;chen nichts zu thun hat; es giebt morali&#x017F;ch gute<lb/>
Leute in allen Sta&#x0364;nden; der Engla&#x0364;nder i&#x017F;t durch die Ver-<lb/>
mi&#x017F;chung nicht feiger geworden, und was der Militair-<lb/>
&#x017F;tand gebraucht, wird er um &#x017F;o viel reichlicher erhalten,<lb/>
je mehr die Officiere und andre <hi rendition="#fr">Edelgebohrne</hi> heyrathen,<lb/>
ko&#x0364;nnen, &#x017F;o bald ihren Kindern alle Wege &#x017F;ich zu erhalten<lb/>
welche ihnen durch un&#x017F;re jetzige Denkungsart ver&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en<lb/>
&#x017F;ind, ero&#x0364;ffnet werden.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">Auch</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[256/0268] Warum bildet ſich der deutſche Adel Voͤgten ſtanden, und denſelben eine Sterbfallsurkunde zukommen laſſen mußten. Man wird endlich aus der alten Reichsgeſchichte wiſſen, daß es eine Zeit gegeben habe, worinn ein ed- ler Herr nicht einmal kayſerlicher Dienſtmann werden konnte, ohne ſeiner Freyheit zu entſagen, und folglich die Rechte ſeiner Geburt aufzugeben. Hat es ſich nun aber mit der Dienſtmannſchaft alſo gewandt, daß jeder von Adel ſich ohne ſein Geburtsrecht zu verlieren darinn begeben, und ſich dem Heergewedde unterwerfen kann, ohne ſeine Ehre aufzuopfern; hat es ſich mit der Buͤrgerſchaft alſo geaͤndert, daß ſie faſt uͤber- all das vogteyliche Joch abgeſchuͤttelt, und ſich vom Sterb- fall befreyet hat; hat man Beyſpiele, daß ſich Edelge- bohrne auf amtsſaͤßigen ja wohl gar auf ſchatzpflichtigen Guͤtern erhalten haben, ohne darum ganz abgewuͤrdiget zu werden, kann man endlich eine Muskete auf die Schul- ter nehmen, und doch dabey ſein Wapen behalten: ſo ſehe ich nicht ab, warum ſich die Adelsfaͤhigkeit in einer andern Vermiſchung weniger als in jener erhalten laſſen ſollte? Die Furcht der Franzoſen, daß der ſo noͤthige Militairſtand und der kriegeriſche Geiſt der Nation dabey verlieren wuͤrde, kommt bey mir gar nicht zum Anſchlage. Tapferkeit iſt eine moraliſche Eigenſchaft die mit jener politiſchen nichts zu thun hat; es giebt moraliſch gute Leute in allen Staͤnden; der Englaͤnder iſt durch die Ver- miſchung nicht feiger geworden, und was der Militair- ſtand gebraucht, wird er um ſo viel reichlicher erhalten, je mehr die Officiere und andre Edelgebohrne heyrathen, koͤnnen, ſo bald ihren Kindern alle Wege ſich zu erhalten welche ihnen durch unſre jetzige Denkungsart verſchloſſen ſind, eroͤffnet werden. Auch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/268
Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786, S. 256. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/268>, abgerufen am 22.11.2024.