Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786.

Bild:
<< vorherige Seite
von den Westphälischen Freygerichten.

Was aber die wahre Ursache ihres großen Anschens
zu Ende des vierzehnten und zu Anfang des funfzehnten
Jahrhunderts gewesen, darüber sind die Gelehrten nicht
eins. Jnsgemein glaubt man, sie hätten sich durch die
westphälischen Landfrieden gehoben. Allein dieses kann
unmöglich die Ursache seyn, weil nach dem Sinn des west-
phälischen Landfriedens von 1325 *) a) die eilende Hülfe
der Verbundenen, b) das Landrecht worunter ein jeder
steht, und c) die Landfriedens- oder Conföderationsgerichte,
alle diejenigen Mittel ausmachen, wodurch einer zu sei-
nem Rechte gelangen kann. Hätte man hier zur Hand-
habung des Landfriedens gegen dessen Uebertreter die
Freygrafen und Freyschöpfen nöthig gehabt; so würde
man ihrer gewiß gedacht, und sich ihrer anstatt besonde-
rer Conföderationsgerichte bedient haben; davon findet
sich aber keine Spur.

Wahrscheinlicher ist es, daß sie bey eben der großen
Anarchie im Reiche, welche die partikulairen Landfrieden
nöthig machte, ihr Haupt empor gehoben und statt der
Reichsgerichte gedient haben. Diese waren damals noch
nicht eingerichtet, und ihre allgemeine Befugniß ist erst
aus dem allgemeinen Landfrieden entstanden. Sie sind
im Grunde Conföderationsgerichte, die in Reichsgerichte
übergegangen sind, nachdem die deutsche Conföderation,
oder der allgemeine Landfriede, zu einem Reichstags-
schluß erhoben worden. Vorher also war in Westphalen
und vielen andern Provinzen des Reichs nach abgegange-
ner zerrütteter oder geschwächter Herzogl. Gewalt, (facto)
kein Reichsgericht, vor welchem man eines jeden Reichs-
standes zu Ehren oder zu Rechte mächtig werden konnte,
und diese Lücke fülleten die Freygerichte aus.

Man
*) Beym HAEBERLIN in analectis p. 288.
von den Weſtphaͤliſchen Freygerichten.

Was aber die wahre Urſache ihres großen Anſchens
zu Ende des vierzehnten und zu Anfang des funfzehnten
Jahrhunderts geweſen, daruͤber ſind die Gelehrten nicht
eins. Jnsgemein glaubt man, ſie haͤtten ſich durch die
weſtphaͤliſchen Landfrieden gehoben. Allein dieſes kann
unmoͤglich die Urſache ſeyn, weil nach dem Sinn des weſt-
phaͤliſchen Landfriedens von 1325 *) a) die eilende Huͤlfe
der Verbundenen, b) das Landrecht worunter ein jeder
ſteht, und c) die Landfriedens- oder Confoͤderationsgerichte,
alle diejenigen Mittel ausmachen, wodurch einer zu ſei-
nem Rechte gelangen kann. Haͤtte man hier zur Hand-
habung des Landfriedens gegen deſſen Uebertreter die
Freygrafen und Freyſchoͤpfen noͤthig gehabt; ſo wuͤrde
man ihrer gewiß gedacht, und ſich ihrer anſtatt beſonde-
rer Confoͤderationsgerichte bedient haben; davon findet
ſich aber keine Spur.

Wahrſcheinlicher iſt es, daß ſie bey eben der großen
Anarchie im Reiche, welche die partikulairen Landfrieden
noͤthig machte, ihr Haupt empor gehoben und ſtatt der
Reichsgerichte gedient haben. Dieſe waren damals noch
nicht eingerichtet, und ihre allgemeine Befugniß iſt erſt
aus dem allgemeinen Landfrieden entſtanden. Sie ſind
im Grunde Confoͤderationsgerichte, die in Reichsgerichte
uͤbergegangen ſind, nachdem die deutſche Confoͤderation,
oder der allgemeine Landfriede, zu einem Reichstags-
ſchluß erhoben worden. Vorher alſo war in Weſtphalen
und vielen andern Provinzen des Reichs nach abgegange-
ner zerruͤtteter oder geſchwaͤchter Herzogl. Gewalt, (facto)
kein Reichsgericht, vor welchem man eines jeden Reichs-
ſtandes zu Ehren oder zu Rechte maͤchtig werden konnte,
und dieſe Luͤcke fuͤlleten die Freygerichte aus.

Man
*) Beym HÆBERLIN in analectis p. 288.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0215" n="203"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">von den We&#x017F;tpha&#x0364;li&#x017F;chen Freygerichten.</hi> </fw><lb/>
          <p>Was aber die wahre Ur&#x017F;ache ihres großen An&#x017F;chens<lb/>
zu Ende des vierzehnten und zu Anfang des funfzehnten<lb/>
Jahrhunderts gewe&#x017F;en, daru&#x0364;ber &#x017F;ind die Gelehrten nicht<lb/>
eins. Jnsgemein glaubt man, &#x017F;ie ha&#x0364;tten &#x017F;ich durch die<lb/>
we&#x017F;tpha&#x0364;li&#x017F;chen <hi rendition="#fr">Landfrieden</hi> gehoben. Allein die&#x017F;es kann<lb/>
unmo&#x0364;glich die Ur&#x017F;ache &#x017F;eyn, weil nach dem Sinn des we&#x017F;t-<lb/>
pha&#x0364;li&#x017F;chen Landfriedens von 1325 <note place="foot" n="*)">Beym <hi rendition="#aq">HÆBERLIN in analectis p.</hi> 288.</note> <hi rendition="#aq">a</hi>) die eilende Hu&#x0364;lfe<lb/>
der Verbundenen, <hi rendition="#aq">b</hi>) das Landrecht worunter ein jeder<lb/>
&#x017F;teht, und <hi rendition="#aq">c</hi>) die Landfriedens- oder Confo&#x0364;derationsgerichte,<lb/>
alle diejenigen Mittel ausmachen, wodurch einer zu &#x017F;ei-<lb/>
nem Rechte gelangen kann. Ha&#x0364;tte man hier zur Hand-<lb/>
habung des Landfriedens gegen de&#x017F;&#x017F;en Uebertreter die<lb/>
Freygrafen und Frey&#x017F;cho&#x0364;pfen no&#x0364;thig gehabt; &#x017F;o wu&#x0364;rde<lb/>
man ihrer gewiß gedacht, und &#x017F;ich ihrer an&#x017F;tatt be&#x017F;onde-<lb/>
rer Confo&#x0364;derationsgerichte bedient haben; davon findet<lb/>
&#x017F;ich aber keine Spur.</p><lb/>
          <p>Wahr&#x017F;cheinlicher i&#x017F;t es, daß &#x017F;ie bey eben der großen<lb/>
Anarchie im Reiche, welche die partikulairen Landfrieden<lb/>
no&#x0364;thig machte, ihr Haupt empor gehoben und &#x017F;tatt der<lb/>
Reichsgerichte gedient haben. Die&#x017F;e waren damals noch<lb/>
nicht eingerichtet, und ihre allgemeine Befugniß i&#x017F;t er&#x017F;t<lb/>
aus dem allgemeinen Landfrieden ent&#x017F;tanden. Sie &#x017F;ind<lb/>
im Grunde Confo&#x0364;derationsgerichte, die in Reichsgerichte<lb/>
u&#x0364;bergegangen &#x017F;ind, nachdem die deut&#x017F;che Confo&#x0364;deration,<lb/>
oder der allgemeine Landfriede, zu einem Reichstags-<lb/>
&#x017F;chluß erhoben worden. Vorher al&#x017F;o war in We&#x017F;tphalen<lb/>
und vielen andern Provinzen des Reichs nach abgegange-<lb/>
ner zerru&#x0364;tteter oder ge&#x017F;chwa&#x0364;chter Herzogl. Gewalt, (<hi rendition="#aq">facto</hi>)<lb/>
kein Reichsgericht, vor welchem man eines jeden Reichs-<lb/>
&#x017F;tandes zu Ehren oder zu Rechte ma&#x0364;chtig werden konnte,<lb/>
und die&#x017F;e Lu&#x0364;cke fu&#x0364;lleten die Freygerichte aus.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">Man</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[203/0215] von den Weſtphaͤliſchen Freygerichten. Was aber die wahre Urſache ihres großen Anſchens zu Ende des vierzehnten und zu Anfang des funfzehnten Jahrhunderts geweſen, daruͤber ſind die Gelehrten nicht eins. Jnsgemein glaubt man, ſie haͤtten ſich durch die weſtphaͤliſchen Landfrieden gehoben. Allein dieſes kann unmoͤglich die Urſache ſeyn, weil nach dem Sinn des weſt- phaͤliſchen Landfriedens von 1325 *) a) die eilende Huͤlfe der Verbundenen, b) das Landrecht worunter ein jeder ſteht, und c) die Landfriedens- oder Confoͤderationsgerichte, alle diejenigen Mittel ausmachen, wodurch einer zu ſei- nem Rechte gelangen kann. Haͤtte man hier zur Hand- habung des Landfriedens gegen deſſen Uebertreter die Freygrafen und Freyſchoͤpfen noͤthig gehabt; ſo wuͤrde man ihrer gewiß gedacht, und ſich ihrer anſtatt beſonde- rer Confoͤderationsgerichte bedient haben; davon findet ſich aber keine Spur. Wahrſcheinlicher iſt es, daß ſie bey eben der großen Anarchie im Reiche, welche die partikulairen Landfrieden noͤthig machte, ihr Haupt empor gehoben und ſtatt der Reichsgerichte gedient haben. Dieſe waren damals noch nicht eingerichtet, und ihre allgemeine Befugniß iſt erſt aus dem allgemeinen Landfrieden entſtanden. Sie ſind im Grunde Confoͤderationsgerichte, die in Reichsgerichte uͤbergegangen ſind, nachdem die deutſche Confoͤderation, oder der allgemeine Landfriede, zu einem Reichstags- ſchluß erhoben worden. Vorher alſo war in Weſtphalen und vielen andern Provinzen des Reichs nach abgegange- ner zerruͤtteter oder geſchwaͤchter Herzogl. Gewalt, (facto) kein Reichsgericht, vor welchem man eines jeden Reichs- ſtandes zu Ehren oder zu Rechte maͤchtig werden konnte, und dieſe Luͤcke fuͤlleten die Freygerichte aus. Man *) Beym HÆBERLIN in analectis p. 288.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/215
Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/215>, abgerufen am 24.11.2024.