den. Die angenehme Verfluchung ihrer vorigen Aus- schweifungen, schmeichelt noch immer der sterbenden Nei- gung, und die Thränen über die Sünden, sind fast im- mer mit solchen Tropfen vermischt, welche aus einer zweydeutigen Zärtlichkeit entspringen. Aus diesem Grun- de kann ein alter Mann allemal bey seiner Frömmigkeit des Vergnügens der Reue geniesen; aus eben diesem Grunde fließet die gemeine klösterliche Andacht, wie der Abbe' St. Pierre schon angemerket hat, indem er keinem rathen will, ins Kloster zu gehen, der nicht einen solchen Vorrath an Sünden gemacht, daß es ihm niemals an dem Vergnügen der Reue fehlen könne.
Jetzt erkenne ich die Aufführung des Petrons, sagt Valer. Allein wenn er nun zu seinem Unglück so lange lebte, daß die Frömmigkeit ihre Neuigkeit verlöre, oder eine neue Sache käme, die mit mehrerer Gewalt in seinen leeren Seelenraum dränge wie denn?
Sorget nicht, versetzte Arist, weil alle Dinge in der Welt ihre Liebenswürdigkeit, und die Macht des Ein- drucks von unser Einbildung erhalten: so hat Petron nichts zu besorgen, weil seine Einbildung schon so unachtsam und träge geworden ist, daß sie keine schöne Bilder mehr ent- wickeln, und solche den Vorwürfen leihen kann. Er könnte vielleicht über einige Zeit noch geitzig werden, wenn die Versuchung stark genug würde; denn die Alten sind ohnedem, aus Mangel hinlänglicher Eitelkeit immer geneigt, dem scheinbar nützlichen den Vorzug vor allen andern Vergnügungen zu geben, weil sie außer Stande sind, daran Theil zu nehmen. Jch will also nicht gänz- lich in Abrede seyn, daß Petron nicht noch geizig werden könne. Er wird aber nach seiner Art fromm dabey blei- ben. Er wird glauben Gott einen Dienst zu thun, daß
er
Die Bekehrung im Alter.
den. Die angenehme Verfluchung ihrer vorigen Aus- ſchweifungen, ſchmeichelt noch immer der ſterbenden Nei- gung, und die Thraͤnen uͤber die Suͤnden, ſind faſt im- mer mit ſolchen Tropfen vermiſcht, welche aus einer zweydeutigen Zaͤrtlichkeit entſpringen. Aus dieſem Grun- de kann ein alter Mann allemal bey ſeiner Froͤmmigkeit des Vergnuͤgens der Reue genieſen; aus eben dieſem Grunde fließet die gemeine kloͤſterliche Andacht, wie der Abbe’ St. Pierre ſchon angemerket hat, indem er keinem rathen will, ins Kloſter zu gehen, der nicht einen ſolchen Vorrath an Suͤnden gemacht, daß es ihm niemals an dem Vergnuͤgen der Reue fehlen koͤnne.
Jetzt erkenne ich die Auffuͤhrung des Petrons, ſagt Valer. Allein wenn er nun zu ſeinem Ungluͤck ſo lange lebte, daß die Froͤmmigkeit ihre Neuigkeit verloͤre, oder eine neue Sache kaͤme, die mit mehrerer Gewalt in ſeinen leeren Seelenraum draͤnge wie denn?
Sorget nicht, verſetzte Ariſt, weil alle Dinge in der Welt ihre Liebenswuͤrdigkeit, und die Macht des Ein- drucks von unſer Einbildung erhalten: ſo hat Petron nichts zu beſorgen, weil ſeine Einbildung ſchon ſo unachtſam und traͤge geworden iſt, daß ſie keine ſchoͤne Bilder mehr ent- wickeln, und ſolche den Vorwuͤrfen leihen kann. Er koͤnnte vielleicht uͤber einige Zeit noch geitzig werden, wenn die Verſuchung ſtark genug wuͤrde; denn die Alten ſind ohnedem, aus Mangel hinlaͤnglicher Eitelkeit immer geneigt, dem ſcheinbar nuͤtzlichen den Vorzug vor allen andern Vergnuͤgungen zu geben, weil ſie außer Stande ſind, daran Theil zu nehmen. Jch will alſo nicht gaͤnz- lich in Abrede ſeyn, daß Petron nicht noch geizig werden koͤnne. Er wird aber nach ſeiner Art fromm dabey blei- ben. Er wird glauben Gott einen Dienſt zu thun, daß
er
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Die Bekehrung im Alter.
den. Die angenehme Verfluchung ihrer vorigen Aus-
ſchweifungen, ſchmeichelt noch immer der ſterbenden Nei-
gung, und die Thraͤnen uͤber die Suͤnden, ſind faſt im-
mer mit ſolchen Tropfen vermiſcht, welche aus einer
zweydeutigen Zaͤrtlichkeit entſpringen. Aus dieſem Grun-
de kann ein alter Mann allemal bey ſeiner Froͤmmigkeit
des Vergnuͤgens der Reue genieſen; aus eben dieſem
Grunde fließet die gemeine kloͤſterliche Andacht, wie der
Abbe’ St. Pierre ſchon angemerket hat, indem er keinem
rathen will, ins Kloſter zu gehen, der nicht einen ſolchen
Vorrath an Suͤnden gemacht, daß es ihm niemals an dem
Vergnuͤgen der Reue fehlen koͤnne.
Jetzt erkenne ich die Auffuͤhrung des Petrons, ſagt
Valer. Allein wenn er nun zu ſeinem Ungluͤck ſo lange
lebte, daß die Froͤmmigkeit ihre Neuigkeit verloͤre, oder
eine neue Sache kaͤme, die mit mehrerer Gewalt in ſeinen
leeren Seelenraum draͤnge wie denn?
Sorget nicht, verſetzte Ariſt, weil alle Dinge in der
Welt ihre Liebenswuͤrdigkeit, und die Macht des Ein-
drucks von unſer Einbildung erhalten: ſo hat Petron nichts
zu beſorgen, weil ſeine Einbildung ſchon ſo unachtſam und
traͤge geworden iſt, daß ſie keine ſchoͤne Bilder mehr ent-
wickeln, und ſolche den Vorwuͤrfen leihen kann. Er
koͤnnte vielleicht uͤber einige Zeit noch geitzig werden,
wenn die Verſuchung ſtark genug wuͤrde; denn die Alten
ſind ohnedem, aus Mangel hinlaͤnglicher Eitelkeit immer
geneigt, dem ſcheinbar nuͤtzlichen den Vorzug vor allen
andern Vergnuͤgungen zu geben, weil ſie außer Stande
ſind, daran Theil zu nehmen. Jch will alſo nicht gaͤnz-
lich in Abrede ſeyn, daß Petron nicht noch geizig werden
koͤnne. Er wird aber nach ſeiner Art fromm dabey blei-
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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/204>, abgerufen am 21.02.2025.
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