Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786.

Bild:
<< vorherige Seite

Wie man zu einem guten Vortrage
die ich jezt nur mit der herauskommenden Summe zu
bemerken nöthig habe. Destomehr behalte ich von den
folgenden Operationen, worinn sich alles schon mehr zur
Bestimmung geneigt hat, und der letzte Gewinn dient
mehrentheils nur zur Deutlichkeit und zur Erleichterung
des Vortrags. Die Ordnung oder Stellung der Gründe
folgt nach dem Hauptplan von selbst, und das Kolorit
überlasse ich der Hand, die, was die erhitzte Einbildung
nunmehro mächtig fühlt, auch mächtig und feurig mahlt
ohne dabey einer besondern Leitung zu bedürfen.

Doch will ich eben nicht sagen, daß Sie sich sogleich
hierinn selbst trauen sollen. Jeder Grund hat seine ein-
zige Stelle, und er würkt nicht auf der einen wie auf
der andern. Gesetzt ich wollte Jhnen beweisen, daß das
frühe Disponiren sehr mißlich sey, und fienge damit an,
daß ich ihnen sagte: "Garrick bewunderte die Clairon,
"als Frankreichs größte Actrice, aber er fand es doch
"klein, daß sie jeden Grad der Raserey, worauf sie als
"Medea steigen wollte, vorher bey kaltem Blute und in
"ihrem Zimmer bestimmen konnte": so würden Sie frey-
lich die Richtigkeit der Vergleichung leicht finden, aber
doch nicht alles dabey fühlen, was ich wollte, daß Sie
dabey fühlen sollten. Garrick disponirte seine Rolle nie
zum voraus, er arbeitete sich nur in die Situation der
Person hinein, welche er vorzustellen hatte, und über-
ließ es dann seiner mächtigen Seele, sich seiner ganzen
Kunst nach ihren augenblicklichen Empfindungen zu be-
dienen. Und das muß ein jeder thun der eine mächtige
Empfindung mächtig ausdenken will.

Das Koloriren ist leichter, wenn man es von der
Haltung trennt; aber in Verbindung mit derselben schwer.
Hierüber lassen sich nicht wohl Regeln geben; man lernt
es blos durch eine aufmerksame Betrachtung der Natur,

und

Wie man zu einem guten Vortrage
die ich jezt nur mit der herauskommenden Summe zu
bemerken noͤthig habe. Deſtomehr behalte ich von den
folgenden Operationen, worinn ſich alles ſchon mehr zur
Beſtimmung geneigt hat, und der letzte Gewinn dient
mehrentheils nur zur Deutlichkeit und zur Erleichterung
des Vortrags. Die Ordnung oder Stellung der Gruͤnde
folgt nach dem Hauptplan von ſelbſt, und das Kolorit
uͤberlaſſe ich der Hand, die, was die erhitzte Einbildung
nunmehro maͤchtig fuͤhlt, auch maͤchtig und feurig mahlt
ohne dabey einer beſondern Leitung zu beduͤrfen.

Doch will ich eben nicht ſagen, daß Sie ſich ſogleich
hierinn ſelbſt trauen ſollen. Jeder Grund hat ſeine ein-
zige Stelle, und er wuͤrkt nicht auf der einen wie auf
der andern. Geſetzt ich wollte Jhnen beweiſen, daß das
fruͤhe Diſponiren ſehr mißlich ſey, und fienge damit an,
daß ich ihnen ſagte: „Garrick bewunderte die Clairon,
„als Frankreichs groͤßte Actrice, aber er fand es doch
„klein, daß ſie jeden Grad der Raſerey, worauf ſie als
„Medea ſteigen wollte, vorher bey kaltem Blute und in
„ihrem Zimmer beſtimmen konnte“: ſo wuͤrden Sie frey-
lich die Richtigkeit der Vergleichung leicht finden, aber
doch nicht alles dabey fuͤhlen, was ich wollte, daß Sie
dabey fuͤhlen ſollten. Garrick diſponirte ſeine Rolle nie
zum voraus, er arbeitete ſich nur in die Situation der
Perſon hinein, welche er vorzuſtellen hatte, und uͤber-
ließ es dann ſeiner maͤchtigen Seele, ſich ſeiner ganzen
Kunſt nach ihren augenblicklichen Empfindungen zu be-
dienen. Und das muß ein jeder thun der eine maͤchtige
Empfindung maͤchtig ausdenken will.

Das Koloriren iſt leichter, wenn man es von der
Haltung trennt; aber in Verbindung mit derſelben ſchwer.
Hieruͤber laſſen ſich nicht wohl Regeln geben; man lernt
es blos durch eine aufmerkſame Betrachtung der Natur,

und
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0018" n="6"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Wie man zu einem guten Vortrage</hi></fw><lb/>
die ich jezt nur mit der herauskommenden Summe zu<lb/>
bemerken no&#x0364;thig habe. De&#x017F;tomehr behalte ich von den<lb/>
folgenden Operationen, worinn &#x017F;ich alles &#x017F;chon mehr zur<lb/>
Be&#x017F;timmung geneigt hat, und der letzte Gewinn dient<lb/>
mehrentheils nur zur Deutlichkeit und zur Erleichterung<lb/>
des Vortrags. Die Ordnung oder Stellung der Gru&#x0364;nde<lb/>
folgt nach dem Hauptplan von &#x017F;elb&#x017F;t, und das Kolorit<lb/>
u&#x0364;berla&#x017F;&#x017F;e ich der Hand, die, was die erhitzte Einbildung<lb/>
nunmehro ma&#x0364;chtig fu&#x0364;hlt, auch ma&#x0364;chtig und feurig mahlt<lb/>
ohne dabey einer be&#x017F;ondern Leitung zu bedu&#x0364;rfen.</p><lb/>
          <p>Doch will ich eben nicht &#x017F;agen, daß Sie &#x017F;ich &#x017F;ogleich<lb/>
hierinn &#x017F;elb&#x017F;t trauen &#x017F;ollen. Jeder Grund hat &#x017F;eine ein-<lb/>
zige Stelle, und er wu&#x0364;rkt nicht auf der einen wie auf<lb/>
der andern. Ge&#x017F;etzt ich wollte Jhnen bewei&#x017F;en, daß das<lb/>
fru&#x0364;he Di&#x017F;poniren &#x017F;ehr mißlich &#x017F;ey, und fienge damit an,<lb/>
daß ich ihnen &#x017F;agte: &#x201E;<hi rendition="#fr">Garrick</hi> bewunderte die <hi rendition="#fr">Clairon,</hi><lb/>
&#x201E;als Frankreichs gro&#x0364;ßte Actrice, aber er fand es doch<lb/>
&#x201E;klein, daß &#x017F;ie jeden Grad der Ra&#x017F;erey, worauf &#x017F;ie als<lb/>
&#x201E;Medea &#x017F;teigen wollte, vorher bey kaltem Blute und in<lb/>
&#x201E;ihrem Zimmer be&#x017F;timmen konnte&#x201C;: &#x017F;o wu&#x0364;rden Sie frey-<lb/>
lich die Richtigkeit der Vergleichung leicht finden, aber<lb/>
doch nicht alles dabey fu&#x0364;hlen, was ich wollte, daß Sie<lb/>
dabey fu&#x0364;hlen &#x017F;ollten. <hi rendition="#fr">Garrick</hi> di&#x017F;ponirte &#x017F;eine Rolle nie<lb/>
zum voraus, er arbeitete &#x017F;ich nur in die Situation der<lb/>
Per&#x017F;on hinein, welche er vorzu&#x017F;tellen hatte, und u&#x0364;ber-<lb/>
ließ es dann &#x017F;einer ma&#x0364;chtigen Seele, &#x017F;ich &#x017F;einer ganzen<lb/>
Kun&#x017F;t nach ihren augenblicklichen Empfindungen zu be-<lb/>
dienen. Und das muß ein jeder thun der eine ma&#x0364;chtige<lb/>
Empfindung ma&#x0364;chtig ausdenken will.</p><lb/>
          <p>Das Koloriren i&#x017F;t leichter, wenn man es von der<lb/><hi rendition="#fr">Haltung</hi> trennt; aber in Verbindung mit der&#x017F;elben &#x017F;chwer.<lb/>
Hieru&#x0364;ber la&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich nicht wohl Regeln geben; man lernt<lb/>
es blos durch eine aufmerk&#x017F;ame Betrachtung der Natur,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">und</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[6/0018] Wie man zu einem guten Vortrage die ich jezt nur mit der herauskommenden Summe zu bemerken noͤthig habe. Deſtomehr behalte ich von den folgenden Operationen, worinn ſich alles ſchon mehr zur Beſtimmung geneigt hat, und der letzte Gewinn dient mehrentheils nur zur Deutlichkeit und zur Erleichterung des Vortrags. Die Ordnung oder Stellung der Gruͤnde folgt nach dem Hauptplan von ſelbſt, und das Kolorit uͤberlaſſe ich der Hand, die, was die erhitzte Einbildung nunmehro maͤchtig fuͤhlt, auch maͤchtig und feurig mahlt ohne dabey einer beſondern Leitung zu beduͤrfen. Doch will ich eben nicht ſagen, daß Sie ſich ſogleich hierinn ſelbſt trauen ſollen. Jeder Grund hat ſeine ein- zige Stelle, und er wuͤrkt nicht auf der einen wie auf der andern. Geſetzt ich wollte Jhnen beweiſen, daß das fruͤhe Diſponiren ſehr mißlich ſey, und fienge damit an, daß ich ihnen ſagte: „Garrick bewunderte die Clairon, „als Frankreichs groͤßte Actrice, aber er fand es doch „klein, daß ſie jeden Grad der Raſerey, worauf ſie als „Medea ſteigen wollte, vorher bey kaltem Blute und in „ihrem Zimmer beſtimmen konnte“: ſo wuͤrden Sie frey- lich die Richtigkeit der Vergleichung leicht finden, aber doch nicht alles dabey fuͤhlen, was ich wollte, daß Sie dabey fuͤhlen ſollten. Garrick diſponirte ſeine Rolle nie zum voraus, er arbeitete ſich nur in die Situation der Perſon hinein, welche er vorzuſtellen hatte, und uͤber- ließ es dann ſeiner maͤchtigen Seele, ſich ſeiner ganzen Kunſt nach ihren augenblicklichen Empfindungen zu be- dienen. Und das muß ein jeder thun der eine maͤchtige Empfindung maͤchtig ausdenken will. Das Koloriren iſt leichter, wenn man es von der Haltung trennt; aber in Verbindung mit derſelben ſchwer. Hieruͤber laſſen ſich nicht wohl Regeln geben; man lernt es blos durch eine aufmerkſame Betrachtung der Natur, und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/18
Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/18>, abgerufen am 23.11.2024.