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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786.

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wie andre Menschen.
allem Bösen tragen, wozu wir aber schwerlich im Stande
seyn würden, wenn wir uns nicht so hoch hielten, oder
so hoch halten ließen, daß uns nicht ein jeder ins Herz
sehen kann. Es ist kein Sündenbock worauf so viel fremde
Schuld gelegt wird, als auf uns; dies ist unser Loos,
und zwar unser von Gott gezogenes Loos, welches einer
für alle tragen muß, und was uns immer nöthigen wird
auf einer gewissen Höhe zu bleiben, die sich mit der Freund-
schaft nicht zu wohl verträgt. So gar wird es uns von
Jugend auf zum Gesetz gemacht, gar keine vertrauete
Freunde zu haben oder zu hören. Wie leicht zögen wir
sonst einen Mann, der weniger Verdienst und mehr an-
genehmes hätte als ein andrer, im Umgange hervor, und
das wäre an Uns Ungerechtigkeit; bey uns muß die Vor-
stellung des Ministers immer mehr gelten als die Vor-
bitte eines Freundes, oder jener würde uns nicht dienen,
und der Mensch durchscheinen wo allein der Fürst han-
deln darf. Es ist eine große Frage, ob Könige und Für-
sten ein eignes Herz haben dürfen? Das Meinige ist mir
nur bekannt, weil es oft leidet. Wie mancher edler,
verdienstvoller und liebenswürdiger Mann hat nicht schon
für mich geblutet! aber ich darf bey seinem Falle nicht
lange weinen, ich muß, ja ich muß noch mehrere auf-
opfern, und zu dem Gipfel des Berges flüchten, um das
Wehklagen im Thale nicht zu hören. O es ist eine grau-
same Sache König zu seyn; ich muß der Unterdrückten
Unschuld gegen die Mächtigen, welche meinen Thron um-
geben, Recht schaffen; und was würden jene zu hoffen
oder diese zu fürchten haben, wenn ich mich ganz zu mir
selbst herab ließe, und mit ihnen ganz Freund, ganz Mensch
wäre. Dieses darf keiner wünschen, der in den Fall
kommen kann, worin er meiner Hülfe bedarf. Nun
mein lieber N... wissen sie, was ich bey ihrem Wunsche,

daß
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wie andre Menſchen.
allem Boͤſen tragen, wozu wir aber ſchwerlich im Stande
ſeyn wuͤrden, wenn wir uns nicht ſo hoch hielten, oder
ſo hoch halten ließen, daß uns nicht ein jeder ins Herz
ſehen kann. Es iſt kein Suͤndenbock worauf ſo viel fremde
Schuld gelegt wird, als auf uns; dies iſt unſer Loos,
und zwar unſer von Gott gezogenes Loos, welches einer
fuͤr alle tragen muß, und was uns immer noͤthigen wird
auf einer gewiſſen Hoͤhe zu bleiben, die ſich mit der Freund-
ſchaft nicht zu wohl vertraͤgt. So gar wird es uns von
Jugend auf zum Geſetz gemacht, gar keine vertrauete
Freunde zu haben oder zu hoͤren. Wie leicht zoͤgen wir
ſonſt einen Mann, der weniger Verdienſt und mehr an-
genehmes haͤtte als ein andrer, im Umgange hervor, und
das waͤre an Uns Ungerechtigkeit; bey uns muß die Vor-
ſtellung des Miniſters immer mehr gelten als die Vor-
bitte eines Freundes, oder jener wuͤrde uns nicht dienen,
und der Menſch durchſcheinen wo allein der Fuͤrſt han-
deln darf. Es iſt eine große Frage, ob Koͤnige und Fuͤr-
ſten ein eignes Herz haben duͤrfen? Das Meinige iſt mir
nur bekannt, weil es oft leidet. Wie mancher edler,
verdienſtvoller und liebenswuͤrdiger Mann hat nicht ſchon
fuͤr mich geblutet! aber ich darf bey ſeinem Falle nicht
lange weinen, ich muß, ja ich muß noch mehrere auf-
opfern, und zu dem Gipfel des Berges fluͤchten, um das
Wehklagen im Thale nicht zu hoͤren. O es iſt eine grau-
ſame Sache Koͤnig zu ſeyn; ich muß der Unterdruͤckten
Unſchuld gegen die Maͤchtigen, welche meinen Thron um-
geben, Recht ſchaffen; und was wuͤrden jene zu hoffen
oder dieſe zu fuͤrchten haben, wenn ich mich ganz zu mir
ſelbſt herab ließe, und mit ihnen ganz Freund, ganz Menſch
waͤre. Dieſes darf keiner wuͤnſchen, der in den Fall
kommen kann, worin er meiner Huͤlfe bedarf. Nun
mein lieber N… wiſſen ſie, was ich bey ihrem Wunſche,

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L 2
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[163/0175] wie andre Menſchen. allem Boͤſen tragen, wozu wir aber ſchwerlich im Stande ſeyn wuͤrden, wenn wir uns nicht ſo hoch hielten, oder ſo hoch halten ließen, daß uns nicht ein jeder ins Herz ſehen kann. Es iſt kein Suͤndenbock worauf ſo viel fremde Schuld gelegt wird, als auf uns; dies iſt unſer Loos, und zwar unſer von Gott gezogenes Loos, welches einer fuͤr alle tragen muß, und was uns immer noͤthigen wird auf einer gewiſſen Hoͤhe zu bleiben, die ſich mit der Freund- ſchaft nicht zu wohl vertraͤgt. So gar wird es uns von Jugend auf zum Geſetz gemacht, gar keine vertrauete Freunde zu haben oder zu hoͤren. Wie leicht zoͤgen wir ſonſt einen Mann, der weniger Verdienſt und mehr an- genehmes haͤtte als ein andrer, im Umgange hervor, und das waͤre an Uns Ungerechtigkeit; bey uns muß die Vor- ſtellung des Miniſters immer mehr gelten als die Vor- bitte eines Freundes, oder jener wuͤrde uns nicht dienen, und der Menſch durchſcheinen wo allein der Fuͤrſt han- deln darf. Es iſt eine große Frage, ob Koͤnige und Fuͤr- ſten ein eignes Herz haben duͤrfen? Das Meinige iſt mir nur bekannt, weil es oft leidet. Wie mancher edler, verdienſtvoller und liebenswuͤrdiger Mann hat nicht ſchon fuͤr mich geblutet! aber ich darf bey ſeinem Falle nicht lange weinen, ich muß, ja ich muß noch mehrere auf- opfern, und zu dem Gipfel des Berges fluͤchten, um das Wehklagen im Thale nicht zu hoͤren. O es iſt eine grau- ſame Sache Koͤnig zu ſeyn; ich muß der Unterdruͤckten Unſchuld gegen die Maͤchtigen, welche meinen Thron um- geben, Recht ſchaffen; und was wuͤrden jene zu hoffen oder dieſe zu fuͤrchten haben, wenn ich mich ganz zu mir ſelbſt herab ließe, und mit ihnen ganz Freund, ganz Menſch waͤre. Dieſes darf keiner wuͤnſchen, der in den Fall kommen kann, worin er meiner Huͤlfe bedarf. Nun mein lieber N… wiſſen ſie, was ich bey ihrem Wunſche, daß L 2

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/175>, abgerufen am 18.12.2024.