Ueberhaupt scheint diese Nation es mit allen Re- gierungsformen versucht zu haben. Bald hatten sie eine priesterliche Gewalt von der Feldherrlichen getrennt, bald waren sie unter Richtern, bald unter Priestern, bald unter Königen; dann fielen sie wieder auf Priester, denen die königliche Gewalt anvertrauet war, und sie kannten auch Könige, die zugleich Priester des Herrn waren. Sie scheinen also über die Regierungsformen viel philosophirt zu haben, wie sie denn auch diese Philosophie zu vielen großen Staatsrevolutionen verführet hatte, und man kann wohl annehmen, daß jene Gewohnheit des Volks, auf das Fest die Loslassung eines Gefangenen zu fordern, das Resultat eines überaus feinen Nachdenkens gewesen sey. Denn man sieht leicht, wie gefährlich es seyn wür- de, in einer Democratie das Recht der Begnadigung in den Händen des Volks zu lassen. Jedes Urtheil was wi- der einen seiner Lieblinge ausgesprochen werden würde, würde unvollstreckt bleiben, und insgemein sind die Lieb- linge des Volks in der Democratie unruhige und schwär- merische Köpfe. Aber auch eben so gefährlich würde es in einer Aristocratie seyn, den Obrigkeiten das Recht der Begnadigung zu lassen; alle mächtige Unterdrücker des Volks würden leicht Gnade finden, und der geringste Widerwillige unter dem Volke nach aller Strenge der Gesetze gerichtet werden. Wollte man also das Begna- digungsrecht nicht ganz ausschließen: so mußte auf einen Mittelweg gedacht werden, und dieser mochte darinn ge- funden werden, daß man dem Volke am Osterfeste, oder der versammleten Nation erlaubte jährlich einen loszu- bitten. Dieses Temperament war um so viel feiner, je gewisser es ist, daß das Begnadigungsrecht nur selten ausgeübt werden dürfe. Denn es ist eine der größten politischen Wahrheiten, daß die Gesetze milde und die
Rich-
Von der Gewohnheit des juͤdiſchen Volks
Ueberhaupt ſcheint dieſe Nation es mit allen Re- gierungsformen verſucht zu haben. Bald hatten ſie eine prieſterliche Gewalt von der Feldherrlichen getrennt, bald waren ſie unter Richtern, bald unter Prieſtern, bald unter Koͤnigen; dann fielen ſie wieder auf Prieſter, denen die koͤnigliche Gewalt anvertrauet war, und ſie kannten auch Koͤnige, die zugleich Prieſter des Herrn waren. Sie ſcheinen alſo uͤber die Regierungsformen viel philoſophirt zu haben, wie ſie denn auch dieſe Philoſophie zu vielen großen Staatsrevolutionen verfuͤhret hatte, und man kann wohl annehmen, daß jene Gewohnheit des Volks, auf das Feſt die Loslaſſung eines Gefangenen zu fordern, das Reſultat eines uͤberaus feinen Nachdenkens geweſen ſey. Denn man ſieht leicht, wie gefaͤhrlich es ſeyn wuͤr- de, in einer Democratie das Recht der Begnadigung in den Haͤnden des Volks zu laſſen. Jedes Urtheil was wi- der einen ſeiner Lieblinge ausgeſprochen werden wuͤrde, wuͤrde unvollſtreckt bleiben, und insgemein ſind die Lieb- linge des Volks in der Democratie unruhige und ſchwaͤr- meriſche Koͤpfe. Aber auch eben ſo gefaͤhrlich wuͤrde es in einer Ariſtocratie ſeyn, den Obrigkeiten das Recht der Begnadigung zu laſſen; alle maͤchtige Unterdruͤcker des Volks wuͤrden leicht Gnade finden, und der geringſte Widerwillige unter dem Volke nach aller Strenge der Geſetze gerichtet werden. Wollte man alſo das Begna- digungsrecht nicht ganz ausſchließen: ſo mußte auf einen Mittelweg gedacht werden, und dieſer mochte darinn ge- funden werden, daß man dem Volke am Oſterfeſte, oder der verſammleten Nation erlaubte jaͤhrlich einen loszu- bitten. Dieſes Temperament war um ſo viel feiner, je gewiſſer es iſt, daß das Begnadigungsrecht nur ſelten ausgeuͤbt werden duͤrfe. Denn es iſt eine der groͤßten politiſchen Wahrheiten, daß die Geſetze milde und die
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Von der Gewohnheit des juͤdiſchen Volks
Ueberhaupt ſcheint dieſe Nation es mit allen Re-
gierungsformen verſucht zu haben. Bald hatten ſie eine
prieſterliche Gewalt von der Feldherrlichen getrennt, bald
waren ſie unter Richtern, bald unter Prieſtern, bald
unter Koͤnigen; dann fielen ſie wieder auf Prieſter, denen
die koͤnigliche Gewalt anvertrauet war, und ſie kannten
auch Koͤnige, die zugleich Prieſter des Herrn waren. Sie
ſcheinen alſo uͤber die Regierungsformen viel philoſophirt
zu haben, wie ſie denn auch dieſe Philoſophie zu vielen
großen Staatsrevolutionen verfuͤhret hatte, und man
kann wohl annehmen, daß jene Gewohnheit des Volks,
auf das Feſt die Loslaſſung eines Gefangenen zu fordern,
das Reſultat eines uͤberaus feinen Nachdenkens geweſen
ſey. Denn man ſieht leicht, wie gefaͤhrlich es ſeyn wuͤr-
de, in einer Democratie das Recht der Begnadigung in
den Haͤnden des Volks zu laſſen. Jedes Urtheil was wi-
der einen ſeiner Lieblinge ausgeſprochen werden wuͤrde,
wuͤrde unvollſtreckt bleiben, und insgemein ſind die Lieb-
linge des Volks in der Democratie unruhige und ſchwaͤr-
meriſche Koͤpfe. Aber auch eben ſo gefaͤhrlich wuͤrde es
in einer Ariſtocratie ſeyn, den Obrigkeiten das Recht der
Begnadigung zu laſſen; alle maͤchtige Unterdruͤcker des
Volks wuͤrden leicht Gnade finden, und der geringſte
Widerwillige unter dem Volke nach aller Strenge der
Geſetze gerichtet werden. Wollte man alſo das Begna-
digungsrecht nicht ganz ausſchließen: ſo mußte auf einen
Mittelweg gedacht werden, und dieſer mochte darinn ge-
funden werden, daß man dem Volke am Oſterfeſte, oder
der verſammleten Nation erlaubte jaͤhrlich einen loszu-
bitten. Dieſes Temperament war um ſo viel feiner, je
gewiſſer es iſt, daß das Begnadigungsrecht nur ſelten
ausgeuͤbt werden duͤrfe. Denn es iſt eine der groͤßten
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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/152>, abgerufen am 18.12.2024.
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