Mir scheint der Zweykampf in obiger Form die letzte mögliche Einschränkung der Selbstrache zu seyn. Moses wagte es nicht, diese ganz aufzuheben, vielmehr lies er ihr ihren Lauf, und setzte derselben die Freystätte entge- gen. Die spätern Juden mochten sich bis zu Sonnenun- tergang selbst rächen dürfen. Denn Ehristus sagt, sie sollten ihren Zorn auch nicht einmal bis dahin währen lassen. Die Deutschen konnten sich bis zur dritten Sonne selbst Recht schaffen, ohne dadurch den Landfrieden zu brechen. Aber bey allen diesen Einschränkungen behielt der Beleidigte doch mehrentheils das Recht, binnen der ihm zur Selbstrache erlaubten Frist, seinen Feind mit ungleicher Gewalt, und mit ungleichen Waffen zu über- fallen, und wenn er seiner mächtig wurde, nach Willkühr zu behandeln. Um diesen und andern wilden Ausbrüchen der Selbstrache vorzubeugen, glaube ich, schränkte man sie auf einen förmlichen und feyerlichen Zweykampf ein. Hiedurch behielt die Natur ihr Recht; und der Gesetz- geber muß zufrieden seyn, wenn er das Mögliche sicher erreicht hat.
Die Franzosen erlauben einem Manne, der seinen Proces verlieret, in der Publications-Audienz, die gröb- sten Jnjurien gegen seine Richter weil sie glauben, die Natur lasse sich so weit nicht unterdrücken, Aber so bald er das Audienz-Zimmer verlassen hat, darf er seine Em- pfindungen nicht mehr frey reden lassen.
XXXVI.
Alſo ſollte man den Zweykaͤmpfen ꝛc.
Mir ſcheint der Zweykampf in obiger Form die letzte moͤgliche Einſchraͤnkung der Selbſtrache zu ſeyn. Moſes wagte es nicht, dieſe ganz aufzuheben, vielmehr lies er ihr ihren Lauf, und ſetzte derſelben die Freyſtaͤtte entge- gen. Die ſpaͤtern Juden mochten ſich bis zu Sonnenun- tergang ſelbſt raͤchen duͤrfen. Denn Ehriſtus ſagt, ſie ſollten ihren Zorn auch nicht einmal bis dahin waͤhren laſſen. Die Deutſchen konnten ſich bis zur dritten Sonne ſelbſt Recht ſchaffen, ohne dadurch den Landfrieden zu brechen. Aber bey allen dieſen Einſchraͤnkungen behielt der Beleidigte doch mehrentheils das Recht, binnen der ihm zur Selbſtrache erlaubten Friſt, ſeinen Feind mit ungleicher Gewalt, und mit ungleichen Waffen zu uͤber- fallen, und wenn er ſeiner maͤchtig wurde, nach Willkuͤhr zu behandeln. Um dieſen und andern wilden Ausbruͤchen der Selbſtrache vorzubeugen, glaube ich, ſchraͤnkte man ſie auf einen foͤrmlichen und feyerlichen Zweykampf ein. Hiedurch behielt die Natur ihr Recht; und der Geſetz- geber muß zufrieden ſeyn, wenn er das Moͤgliche ſicher erreicht hat.
Die Franzoſen erlauben einem Manne, der ſeinen Proces verlieret, in der Publications-Audienz, die groͤb- ſten Jnjurien gegen ſeine Richter weil ſie glauben, die Natur laſſe ſich ſo weit nicht unterdruͤcken, Aber ſo bald er das Audienz-Zimmer verlaſſen hat, darf er ſeine Em- pfindungen nicht mehr frey reden laſſen.
XXXVI.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0150"n="138"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Alſo ſollte man den Zweykaͤmpfen ꝛc.</hi></fw><lb/><p>Mir ſcheint der Zweykampf in obiger Form die letzte<lb/>
moͤgliche Einſchraͤnkung der Selbſtrache zu ſeyn. Moſes<lb/>
wagte es nicht, dieſe ganz aufzuheben, vielmehr lies er<lb/>
ihr ihren Lauf, und ſetzte derſelben die Freyſtaͤtte entge-<lb/>
gen. Die ſpaͤtern Juden mochten ſich bis zu Sonnenun-<lb/>
tergang ſelbſt raͤchen duͤrfen. Denn Ehriſtus ſagt, ſie<lb/>ſollten ihren Zorn auch nicht einmal bis dahin waͤhren<lb/>
laſſen. Die Deutſchen konnten ſich bis zur dritten Sonne<lb/>ſelbſt Recht ſchaffen, ohne dadurch den Landfrieden zu<lb/>
brechen. Aber bey allen dieſen Einſchraͤnkungen behielt<lb/>
der Beleidigte doch mehrentheils das Recht, binnen der<lb/>
ihm zur Selbſtrache erlaubten Friſt, ſeinen Feind mit<lb/>
ungleicher Gewalt, und mit ungleichen Waffen zu uͤber-<lb/>
fallen, und wenn er ſeiner maͤchtig wurde, nach Willkuͤhr<lb/>
zu behandeln. Um dieſen und andern wilden Ausbruͤchen<lb/>
der Selbſtrache vorzubeugen, glaube ich, ſchraͤnkte man<lb/>ſie auf einen foͤrmlichen und feyerlichen Zweykampf ein.<lb/>
Hiedurch behielt die Natur ihr Recht; und der Geſetz-<lb/>
geber muß zufrieden ſeyn, wenn er das Moͤgliche ſicher<lb/>
erreicht hat.</p><lb/><p>Die Franzoſen erlauben einem Manne, der ſeinen<lb/>
Proces verlieret, in der Publications-Audienz, die groͤb-<lb/>ſten Jnjurien gegen ſeine Richter weil ſie glauben, die<lb/>
Natur laſſe ſich ſo weit nicht unterdruͤcken, Aber ſo bald<lb/>
er das Audienz-Zimmer verlaſſen hat, darf er ſeine Em-<lb/>
pfindungen nicht mehr frey reden laſſen.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><fwplace="bottom"type="catch"><hirendition="#aq">XXXVI.</hi></fw><lb/></div></div></body></text></TEI>
[138/0150]
Alſo ſollte man den Zweykaͤmpfen ꝛc.
Mir ſcheint der Zweykampf in obiger Form die letzte
moͤgliche Einſchraͤnkung der Selbſtrache zu ſeyn. Moſes
wagte es nicht, dieſe ganz aufzuheben, vielmehr lies er
ihr ihren Lauf, und ſetzte derſelben die Freyſtaͤtte entge-
gen. Die ſpaͤtern Juden mochten ſich bis zu Sonnenun-
tergang ſelbſt raͤchen duͤrfen. Denn Ehriſtus ſagt, ſie
ſollten ihren Zorn auch nicht einmal bis dahin waͤhren
laſſen. Die Deutſchen konnten ſich bis zur dritten Sonne
ſelbſt Recht ſchaffen, ohne dadurch den Landfrieden zu
brechen. Aber bey allen dieſen Einſchraͤnkungen behielt
der Beleidigte doch mehrentheils das Recht, binnen der
ihm zur Selbſtrache erlaubten Friſt, ſeinen Feind mit
ungleicher Gewalt, und mit ungleichen Waffen zu uͤber-
fallen, und wenn er ſeiner maͤchtig wurde, nach Willkuͤhr
zu behandeln. Um dieſen und andern wilden Ausbruͤchen
der Selbſtrache vorzubeugen, glaube ich, ſchraͤnkte man
ſie auf einen foͤrmlichen und feyerlichen Zweykampf ein.
Hiedurch behielt die Natur ihr Recht; und der Geſetz-
geber muß zufrieden ſeyn, wenn er das Moͤgliche ſicher
erreicht hat.
Die Franzoſen erlauben einem Manne, der ſeinen
Proces verlieret, in der Publications-Audienz, die groͤb-
ſten Jnjurien gegen ſeine Richter weil ſie glauben, die
Natur laſſe ſich ſo weit nicht unterdruͤcken, Aber ſo bald
er das Audienz-Zimmer verlaſſen hat, darf er ſeine Em-
pfindungen nicht mehr frey reden laſſen.
XXXVI.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/150>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.