zu strafen? oder man muß sich die Antwort geben, die Mitglieder des Staats haben ihrer ursprünglichen Be- fugniß, jeden ihrer Feinde so weit sie konnten, zu ver- folgen, nicht weiter entsagt, und die Obrigkeit ist nicht befugt, ihr Mitleid weiter zu erstrecken.
Mitleidige können hier einwenden, daß nicht leicht ein guter Mann, dem ein Schaaf gestohlen wird, den Dieb so gleich ums Leben bringen würde. Aber jeder wird sich noch eines Falles erinnern, wo jemand einem nächtlichen Diebe, der ihm verschiedentlich in den Schaaf- stall gestiegen war, auflauerte, demselben, wie er ihn endlich ertappete, beyde Beine und beyde Arme zerschlug, und ihn so auf dem Misthaufen sterben ließ. That dieses ein Christ, was mochten denn nicht die rohen Menschen thun? diese machten keinen Unterscheid unter dem Wolfe und unter dem Menschen der ihnen ein Schaaf nahm; sie schlugen den einen wie den andern todt, und gegen solche Menschen hat die Obrigkeit die Verbrecher in Schutz genommen, aber damit nicht so gleich und überall die Befugniß erhalten, ihren Schutz gegen den Originalcon- trakt auszudehnen, und wohl gar ohne eine allgemeine Einwilligung aller Privaträcher, und zu ihrer größten Unsicherheit, da zu erhalten, wo jene getödtet haben würden.
Zwar lassen sich dagegen auch noch andre Erinne- rungen machen; und es können deren verschiedene sehr wichtig seyn. Allein ich glaube immer, daß man auf dem angelegten Wege am ersten das wahre Ziel erreichen, und solchen in der Maaße führen könne, daß man zu ei- ner sichern Theorie gelange.
XXXV.
Ueber die Todesſtrafen.
zu ſtrafen? oder man muß ſich die Antwort geben, die Mitglieder des Staats haben ihrer urſpruͤnglichen Be- fugniß, jeden ihrer Feinde ſo weit ſie konnten, zu ver- folgen, nicht weiter entſagt, und die Obrigkeit iſt nicht befugt, ihr Mitleid weiter zu erſtrecken.
Mitleidige koͤnnen hier einwenden, daß nicht leicht ein guter Mann, dem ein Schaaf geſtohlen wird, den Dieb ſo gleich ums Leben bringen wuͤrde. Aber jeder wird ſich noch eines Falles erinnern, wo jemand einem naͤchtlichen Diebe, der ihm verſchiedentlich in den Schaaf- ſtall geſtiegen war, auflauerte, demſelben, wie er ihn endlich ertappete, beyde Beine und beyde Arme zerſchlug, und ihn ſo auf dem Miſthaufen ſterben ließ. That dieſes ein Chriſt, was mochten denn nicht die rohen Menſchen thun? dieſe machten keinen Unterſcheid unter dem Wolfe und unter dem Menſchen der ihnen ein Schaaf nahm; ſie ſchlugen den einen wie den andern todt, und gegen ſolche Menſchen hat die Obrigkeit die Verbrecher in Schutz genommen, aber damit nicht ſo gleich und uͤberall die Befugniß erhalten, ihren Schutz gegen den Originalcon- trakt auszudehnen, und wohl gar ohne eine allgemeine Einwilligung aller Privatraͤcher, und zu ihrer groͤßten Unſicherheit, da zu erhalten, wo jene getoͤdtet haben wuͤrden.
Zwar laſſen ſich dagegen auch noch andre Erinne- rungen machen; und es koͤnnen deren verſchiedene ſehr wichtig ſeyn. Allein ich glaube immer, daß man auf dem angelegten Wege am erſten das wahre Ziel erreichen, und ſolchen in der Maaße fuͤhren koͤnne, daß man zu ei- ner ſichern Theorie gelange.
XXXV.
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Ueber die Todesſtrafen.
zu ſtrafen? oder man muß ſich die Antwort geben, die
Mitglieder des Staats haben ihrer urſpruͤnglichen Be-
fugniß, jeden ihrer Feinde ſo weit ſie konnten, zu ver-
folgen, nicht weiter entſagt, und die Obrigkeit iſt nicht
befugt, ihr Mitleid weiter zu erſtrecken.
Mitleidige koͤnnen hier einwenden, daß nicht leicht
ein guter Mann, dem ein Schaaf geſtohlen wird, den
Dieb ſo gleich ums Leben bringen wuͤrde. Aber jeder
wird ſich noch eines Falles erinnern, wo jemand einem
naͤchtlichen Diebe, der ihm verſchiedentlich in den Schaaf-
ſtall geſtiegen war, auflauerte, demſelben, wie er ihn
endlich ertappete, beyde Beine und beyde Arme zerſchlug,
und ihn ſo auf dem Miſthaufen ſterben ließ. That dieſes
ein Chriſt, was mochten denn nicht die rohen Menſchen
thun? dieſe machten keinen Unterſcheid unter dem Wolfe
und unter dem Menſchen der ihnen ein Schaaf nahm;
ſie ſchlugen den einen wie den andern todt, und gegen
ſolche Menſchen hat die Obrigkeit die Verbrecher in Schutz
genommen, aber damit nicht ſo gleich und uͤberall die
Befugniß erhalten, ihren Schutz gegen den Originalcon-
trakt auszudehnen, und wohl gar ohne eine allgemeine
Einwilligung aller Privatraͤcher, und zu ihrer groͤßten
Unſicherheit, da zu erhalten, wo jene getoͤdtet haben
wuͤrden.
Zwar laſſen ſich dagegen auch noch andre Erinne-
rungen machen; und es koͤnnen deren verſchiedene ſehr
wichtig ſeyn. Allein ich glaube immer, daß man auf
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und ſolchen in der Maaße fuͤhren koͤnne, daß man zu ei-
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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/146>, abgerufen am 16.07.2024.
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