XXIX. Also sollte man die Testamente auf dem Siechbette ganz verbieten.
Unsre Vorfahren die alten Deutschen wußten von kei- nen Testamenten, oder solchen Verordnungen, die erst durch den Tod bekräftiget werden mußten; destomehr aber von Uebergaben bey lebendigem Leibe. Wenn einer der Wirthschaft müde war, und die damit verknüpften Mühseligkeiten nicht mehr ertragen konnte: so übergab er bey lebendigem Leibe sein Gut dem Erben, welchen ihm seines Landes Gewohnheit bestimmte. Wollte er es einem andern geben: so that er es mit Einstimmung der Erben, und man findet kein Beyspiel, daß einer von die- ser Regel abgegangen sey. Auch die Römer wußten zu- erst nur von Uebergaben vor dem engern Ausschusse des Volks oder den fünf Schöpfen, und sie fielen erst später darauf, dem Vater die Macht zu geben, den durch die Gewohnheit bestimmten Erben zu übergehen.
Jn den Lehn- und Hofrechten waren die Uebergaben ebenfalls gewöhnlich, in jenen so lange der Lehnmann sich in voller Rüstung von einer ellenhohen Stuffe auf das Roß schwingen, und solches vor dem Lehnherrn tummeln konnte *); in diesen, vor gehegten Hofe, und so lange der Hofesmann im Stande war, einen Daumendicken Spahn aus einer Eiche zu hauen. Der Bürger mußte vor dem Rathe erscheinen **), und dieser kam ihm nicht
vor
*) S. Erwas von dem im Marggrafthum Ober-Lausitz eingeführten Rechte der Vorritt genannt. Leipzig 1777 und Grupens teutsche Alterthümer c. VII.
**) S. Bierwirth von Schenkungen am Siechbette. Zelle 1779.
XXIX. Alſo ſollte man die Teſtamente auf dem Siechbette ganz verbieten.
Unſre Vorfahren die alten Deutſchen wußten von kei- nen Teſtamenten, oder ſolchen Verordnungen, die erſt durch den Tod bekraͤftiget werden mußten; deſtomehr aber von Uebergaben bey lebendigem Leibe. Wenn einer der Wirthſchaft muͤde war, und die damit verknuͤpften Muͤhſeligkeiten nicht mehr ertragen konnte: ſo uͤbergab er bey lebendigem Leibe ſein Gut dem Erben, welchen ihm ſeines Landes Gewohnheit beſtimmte. Wollte er es einem andern geben: ſo that er es mit Einſtimmung der Erben, und man findet kein Beyſpiel, daß einer von die- ſer Regel abgegangen ſey. Auch die Roͤmer wußten zu- erſt nur von Uebergaben vor dem engern Ausſchuſſe des Volks oder den fuͤnf Schoͤpfen, und ſie fielen erſt ſpaͤter darauf, dem Vater die Macht zu geben, den durch die Gewohnheit beſtimmten Erben zu uͤbergehen.
Jn den Lehn- und Hofrechten waren die Uebergaben ebenfalls gewoͤhnlich, in jenen ſo lange der Lehnmann ſich in voller Ruͤſtung von einer ellenhohen Stuffe auf das Roß ſchwingen, und ſolches vor dem Lehnherrn tummeln konnte *); in dieſen, vor gehegten Hofe, und ſo lange der Hofesmann im Stande war, einen Daumendicken Spahn aus einer Eiche zu hauen. Der Buͤrger mußte vor dem Rathe erſcheinen **), und dieſer kam ihm nicht
vor
*) S. Erwas von dem im Marggrafthum Ober-Lauſitz eingefuͤhrten Rechte der Vorritt genannt. Leipzig 1777 und Grupens teutſche Alterthuͤmer c. VII.
**) S. Bierwirth von Schenkungen am Siechbette. Zelle 1779.
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XXIX.
Alſo ſollte man die Teſtamente auf dem
Siechbette ganz verbieten.
Unſre Vorfahren die alten Deutſchen wußten von kei-
nen Teſtamenten, oder ſolchen Verordnungen, die
erſt durch den Tod bekraͤftiget werden mußten; deſtomehr
aber von Uebergaben bey lebendigem Leibe. Wenn einer
der Wirthſchaft muͤde war, und die damit verknuͤpften
Muͤhſeligkeiten nicht mehr ertragen konnte: ſo uͤbergab
er bey lebendigem Leibe ſein Gut dem Erben, welchen
ihm ſeines Landes Gewohnheit beſtimmte. Wollte er es
einem andern geben: ſo that er es mit Einſtimmung der
Erben, und man findet kein Beyſpiel, daß einer von die-
ſer Regel abgegangen ſey. Auch die Roͤmer wußten zu-
erſt nur von Uebergaben vor dem engern Ausſchuſſe des
Volks oder den fuͤnf Schoͤpfen, und ſie fielen erſt ſpaͤter
darauf, dem Vater die Macht zu geben, den durch die
Gewohnheit beſtimmten Erben zu uͤbergehen.
Jn den Lehn- und Hofrechten waren die Uebergaben
ebenfalls gewoͤhnlich, in jenen ſo lange der Lehnmann
ſich in voller Ruͤſtung von einer ellenhohen Stuffe auf das
Roß ſchwingen, und ſolches vor dem Lehnherrn tummeln
konnte *); in dieſen, vor gehegten Hofe, und ſo lange
der Hofesmann im Stande war, einen Daumendicken
Spahn aus einer Eiche zu hauen. Der Buͤrger mußte
vor dem Rathe erſcheinen **), und dieſer kam ihm nicht
vor
*) S. Erwas von dem im Marggrafthum Ober-Lauſitz
eingefuͤhrten Rechte der Vorritt genannt. Leipzig 1777
und Grupens teutſche Alterthuͤmer c. VII.
**) S. Bierwirth von Schenkungen am Siechbette. Zelle
1779.
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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/121>, abgerufen am 22.02.2025.
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