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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778.

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Also verdient der Accusationsproceß
brechen ihrer Freunde gern schweigen, oder das Zeugniß
der Wahrheit scheuen, zum Reden zu bringen; und wenn
jeder Verbrecher nichts weiter als die ohnmächtige Anklage,
und blos denjenigen Beweiß, welchen ein armer Kläger an-
schaffen könnte zu fürchten hätte: so würde mancher Schelm
ungestraft bleiben: so würde es um die öffentliche Sicherheit
sehr schlecht aussehen; und einen ehrlichen Kerl keine andre
Wahl offen seyn, als entweder selbst zu schlagen, oder sich
schlagen zu lassen ...

Ist das alles, fragt ich ihn, und was meynen Sie
nun damit erwiesen zu haben? In der That nichts weiter,
als daß die Obrigkeit der unterdrückten Unschuld, dem be-
drängten Schuldner, und dem armen geschlagenen oder be-
raubten Mann ihren Anwald wie ihren Beutel leihen müsse.
Allein dieses habe ich gar nicht geleugnet. Mein Satz war
blos dieser, daß überall ein Kläger erfordert werden sollte,
nicht aber, daß dieser Kläger die Kosten eines langweiligen
und beschwerlichen Processes nothwendig zu tragen hätte,
Antworten sie mir also auf meinen Punkt.

Verschlägt es denn so viel, versetzte er, ob die Obrig-
keit eine Sache Amtshalber untersucht und bestraft, oder
dem Kläger ihren Anwald leiht, und demselben ihren Beu-
tel öfnet?

Ob das viel verschlage? Herr ich fasse ihn beym Kra-
gen, und heiße ihn einen Erzstümper, wenn er nicht so-
fort einsieht, daß überall, wo ein Kläger auftritt, niemals
auf die Folter erkannt werden könne? Weiß er denn nicht,
daß der Engländer eben so gut wie alle seine Nachbarn, die
Tortur eingeführt haben würde, wenn er nicht auf dem al-
ten deutschen Satze, daß ohne Kläger nicht gerichtet wer-
den könne, bis in die heutige Stunde geblieben wäre. Ei-
nen Kläger fordert man um deswillen, daß er seine Klage

voll-

Alſo verdient der Accuſationsproceß
brechen ihrer Freunde gern ſchweigen, oder das Zeugniß
der Wahrheit ſcheuen, zum Reden zu bringen; und wenn
jeder Verbrecher nichts weiter als die ohnmaͤchtige Anklage,
und blos denjenigen Beweiß, welchen ein armer Klaͤger an-
ſchaffen koͤnnte zu fuͤrchten haͤtte: ſo wuͤrde mancher Schelm
ungeſtraft bleiben: ſo wuͤrde es um die oͤffentliche Sicherheit
ſehr ſchlecht ausſehen; und einen ehrlichen Kerl keine andre
Wahl offen ſeyn, als entweder ſelbſt zu ſchlagen, oder ſich
ſchlagen zu laſſen …

Iſt das alles, fragt ich ihn, und was meynen Sie
nun damit erwieſen zu haben? In der That nichts weiter,
als daß die Obrigkeit der unterdruͤckten Unſchuld, dem be-
draͤngten Schuldner, und dem armen geſchlagenen oder be-
raubten Mann ihren Anwald wie ihren Beutel leihen muͤſſe.
Allein dieſes habe ich gar nicht geleugnet. Mein Satz war
blos dieſer, daß uͤberall ein Klaͤger erfordert werden ſollte,
nicht aber, daß dieſer Klaͤger die Koſten eines langweiligen
und beſchwerlichen Proceſſes nothwendig zu tragen haͤtte,
Antworten ſie mir alſo auf meinen Punkt.

Verſchlaͤgt es denn ſo viel, verſetzte er, ob die Obrig-
keit eine Sache Amtshalber unterſucht und beſtraft, oder
dem Klaͤger ihren Anwald leiht, und demſelben ihren Beu-
tel oͤfnet?

Ob das viel verſchlage? Herr ich faſſe ihn beym Kra-
gen, und heiße ihn einen Erzſtuͤmper, wenn er nicht ſo-
fort einſieht, daß uͤberall, wo ein Klaͤger auftritt, niemals
auf die Folter erkannt werden koͤnne? Weiß er denn nicht,
daß der Englaͤnder eben ſo gut wie alle ſeine Nachbarn, die
Tortur eingefuͤhrt haben wuͤrde, wenn er nicht auf dem al-
ten deutſchen Satze, daß ohne Klaͤger nicht gerichtet wer-
den koͤnne, bis in die heutige Stunde geblieben waͤre. Ei-
nen Klaͤger fordert man um deswillen, daß er ſeine Klage

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[82/0096] Alſo verdient der Accuſationsproceß brechen ihrer Freunde gern ſchweigen, oder das Zeugniß der Wahrheit ſcheuen, zum Reden zu bringen; und wenn jeder Verbrecher nichts weiter als die ohnmaͤchtige Anklage, und blos denjenigen Beweiß, welchen ein armer Klaͤger an- ſchaffen koͤnnte zu fuͤrchten haͤtte: ſo wuͤrde mancher Schelm ungeſtraft bleiben: ſo wuͤrde es um die oͤffentliche Sicherheit ſehr ſchlecht ausſehen; und einen ehrlichen Kerl keine andre Wahl offen ſeyn, als entweder ſelbſt zu ſchlagen, oder ſich ſchlagen zu laſſen … Iſt das alles, fragt ich ihn, und was meynen Sie nun damit erwieſen zu haben? In der That nichts weiter, als daß die Obrigkeit der unterdruͤckten Unſchuld, dem be- draͤngten Schuldner, und dem armen geſchlagenen oder be- raubten Mann ihren Anwald wie ihren Beutel leihen muͤſſe. Allein dieſes habe ich gar nicht geleugnet. Mein Satz war blos dieſer, daß uͤberall ein Klaͤger erfordert werden ſollte, nicht aber, daß dieſer Klaͤger die Koſten eines langweiligen und beſchwerlichen Proceſſes nothwendig zu tragen haͤtte, Antworten ſie mir alſo auf meinen Punkt. Verſchlaͤgt es denn ſo viel, verſetzte er, ob die Obrig- keit eine Sache Amtshalber unterſucht und beſtraft, oder dem Klaͤger ihren Anwald leiht, und demſelben ihren Beu- tel oͤfnet? Ob das viel verſchlage? Herr ich faſſe ihn beym Kra- gen, und heiße ihn einen Erzſtuͤmper, wenn er nicht ſo- fort einſieht, daß uͤberall, wo ein Klaͤger auftritt, niemals auf die Folter erkannt werden koͤnne? Weiß er denn nicht, daß der Englaͤnder eben ſo gut wie alle ſeine Nachbarn, die Tortur eingefuͤhrt haben wuͤrde, wenn er nicht auf dem al- ten deutſchen Satze, daß ohne Klaͤger nicht gerichtet wer- den koͤnne, bis in die heutige Stunde geblieben waͤre. Ei- nen Klaͤger fordert man um deswillen, daß er ſeine Klage voll-

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/96>, abgerufen am 24.11.2024.