Uns gesorgt, daß sie uns eine bessere Gegenwehr, als Bit- ten und Flehen gegeben haben! Was würde aus mir ge- worden seyn, wenn ich meinem Manne, welchem die un- glückliche Spielsucht täglich einen Schritt seinem Verderben näher führt, immer mit einem: ich will nicht, hätte be- gegnen müssen? oder wenn ich in dem Augenblicke, wo ihm die Ehre lieber als seine Frau und Kinder war, ihn mit Gründen und Bitten hätte beruhigen wollen? Ver- muthlich hätte er mir das erstere nie vergeben; und so wä- re der Hausfriede auf ewig gebrochen worden; und über meine Vorstellungen hätte er ganz gewiß gesiegt.
Da ich die Nacht über nicht schlafen konnte: so dachte ich bey mir selbst, daß unter Eheleuten, wie auch unter Eltern und Kindern billig ganz eigne Rechte in allen Fäl- len seyn müßten, wo man entweder aus Ehrfurcht oder Lie- be nichts versagen dürfte; und nachher habe ich von einem Rechtsgelehrten gehört, daß klügere Leute, als ich, diese na- türliche Forderung längst eingesehen, und nicht allein aus diesem Grunde den Eheleuten alle unwiederruflichen Schen- kungen, so bald es auf etwas Erhebliches ankäme, verbo- ten, sondern auch alle Contrakte der Eltern mit ihren Kin- dern, so lange diese sich in ihrer Gewalt befinden, für un- verbindlich erkläret hatten. Jede Schmeicheley würde Gift, jede Weigerung Gefahr, und die edle häusliche Zufrieden- heit in tausend Fällen gestöret seyn, wenn die Gesetze hier- in nicht für den schwächern Theil gesorget hätten. Mit Recht, setzte der Rechtsgelehrte hinzu, ist in vielen Staa- ten den Eheleuten unterschiedener Religion, verboten, wäh- rend der Ehe die gesetzmäßige Erziehung ihrer Kinder in der einen oder andern Religion, worüber sie sonst vor der Ehe sich nach ihrem Gefallen vereinigen können, zu verän- dern, weil der Haß und die Uneinigkeit, so hieraus entste-
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ſind alſo nicht zu verachten.
Uns geſorgt, daß ſie uns eine beſſere Gegenwehr, als Bit- ten und Flehen gegeben haben! Was wuͤrde aus mir ge- worden ſeyn, wenn ich meinem Manne, welchem die un- gluͤckliche Spielſucht taͤglich einen Schritt ſeinem Verderben naͤher fuͤhrt, immer mit einem: ich will nicht, haͤtte be- gegnen muͤſſen? oder wenn ich in dem Augenblicke, wo ihm die Ehre lieber als ſeine Frau und Kinder war, ihn mit Gruͤnden und Bitten haͤtte beruhigen wollen? Ver- muthlich haͤtte er mir das erſtere nie vergeben; und ſo waͤ- re der Hausfriede auf ewig gebrochen worden; und uͤber meine Vorſtellungen haͤtte er ganz gewiß geſiegt.
Da ich die Nacht uͤber nicht ſchlafen konnte: ſo dachte ich bey mir ſelbſt, daß unter Eheleuten, wie auch unter Eltern und Kindern billig ganz eigne Rechte in allen Faͤl- len ſeyn muͤßten, wo man entweder aus Ehrfurcht oder Lie- be nichts verſagen duͤrfte; und nachher habe ich von einem Rechtsgelehrten gehoͤrt, daß kluͤgere Leute, als ich, dieſe na- tuͤrliche Forderung laͤngſt eingeſehen, und nicht allein aus dieſem Grunde den Eheleuten alle unwiederruflichen Schen- kungen, ſo bald es auf etwas Erhebliches ankaͤme, verbo- ten, ſondern auch alle Contrakte der Eltern mit ihren Kin- dern, ſo lange dieſe ſich in ihrer Gewalt befinden, fuͤr un- verbindlich erklaͤret hatten. Jede Schmeicheley wuͤrde Gift, jede Weigerung Gefahr, und die edle haͤusliche Zufrieden- heit in tauſend Faͤllen geſtoͤret ſeyn, wenn die Geſetze hier- in nicht fuͤr den ſchwaͤchern Theil geſorget haͤtten. Mit Recht, ſetzte der Rechtsgelehrte hinzu, iſt in vielen Staa- ten den Eheleuten unterſchiedener Religion, verboten, waͤh- rend der Ehe die geſetzmaͤßige Erziehung ihrer Kinder in der einen oder andern Religion, woruͤber ſie ſonſt vor der Ehe ſich nach ihrem Gefallen vereinigen koͤnnen, zu veraͤn- dern, weil der Haß und die Uneinigkeit, ſo hieraus entſte-
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ſind alſo nicht zu verachten.
Uns geſorgt, daß ſie uns eine beſſere Gegenwehr, als Bit-
ten und Flehen gegeben haben! Was wuͤrde aus mir ge-
worden ſeyn, wenn ich meinem Manne, welchem die un-
gluͤckliche Spielſucht taͤglich einen Schritt ſeinem Verderben
naͤher fuͤhrt, immer mit einem: ich will nicht, haͤtte be-
gegnen muͤſſen? oder wenn ich in dem Augenblicke, wo
ihm die Ehre lieber als ſeine Frau und Kinder war, ihn
mit Gruͤnden und Bitten haͤtte beruhigen wollen? Ver-
muthlich haͤtte er mir das erſtere nie vergeben; und ſo waͤ-
re der Hausfriede auf ewig gebrochen worden; und uͤber
meine Vorſtellungen haͤtte er ganz gewiß geſiegt.
Da ich die Nacht uͤber nicht ſchlafen konnte: ſo dachte
ich bey mir ſelbſt, daß unter Eheleuten, wie auch unter
Eltern und Kindern billig ganz eigne Rechte in allen Faͤl-
len ſeyn muͤßten, wo man entweder aus Ehrfurcht oder Lie-
be nichts verſagen duͤrfte; und nachher habe ich von einem
Rechtsgelehrten gehoͤrt, daß kluͤgere Leute, als ich, dieſe na-
tuͤrliche Forderung laͤngſt eingeſehen, und nicht allein aus
dieſem Grunde den Eheleuten alle unwiederruflichen Schen-
kungen, ſo bald es auf etwas Erhebliches ankaͤme, verbo-
ten, ſondern auch alle Contrakte der Eltern mit ihren Kin-
dern, ſo lange dieſe ſich in ihrer Gewalt befinden, fuͤr un-
verbindlich erklaͤret hatten. Jede Schmeicheley wuͤrde Gift,
jede Weigerung Gefahr, und die edle haͤusliche Zufrieden-
heit in tauſend Faͤllen geſtoͤret ſeyn, wenn die Geſetze hier-
in nicht fuͤr den ſchwaͤchern Theil geſorget haͤtten. Mit
Recht, ſetzte der Rechtsgelehrte hinzu, iſt in vielen Staa-
ten den Eheleuten unterſchiedener Religion, verboten, waͤh-
rend der Ehe die geſetzmaͤßige Erziehung ihrer Kinder in
der einen oder andern Religion, woruͤber ſie ſonſt vor der
Ehe ſich nach ihrem Gefallen vereinigen koͤnnen, zu veraͤn-
dern, weil der Haß und die Uneinigkeit, ſo hieraus entſte-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Für das DTA wurde die „Neue verbesserte und verme… [mehr]
Für das DTA wurde die „Neue verbesserte und vermehrte Auflage“ des 3. Teils von Justus Mösers „Patriotischen Phantasien“ zur Digitalisierung ausgewählt. Sie erschien 1778, also im selben Jahr wie die Erstauflage dieses Bandes, und ist bis S. 260 seitenidentisch mit dieser. Die Abschnitte LX („Gedanken über den westphälischen Leibeigenthum“) bis LXVIII („Gedanken über den Stillestand der Leibeignen“) sind Ergänzungen gegenüber der ersten Auflage.
Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/91>, abgerufen am 28.07.2024.
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