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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778.

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Die Politik im Unglück.
schon zur Zeit, wie ich noch im Ueberfluß lebte, Noth gelitten,
und die Zinsen, die ich ihm damals bezahlt, ängstlich be-
gehret hatte. Ich erinnerte mich, o meine Theureste, wel-
che Erinnerungen! daß er Frau und Kinder hatte, die
mich zu Zeiten um einige Beyhülfe angesprochen, und nun
muste ich hören, daß dieser Mann bescheiden genug seyn
wolte, mir das Seinige zu lassen .... O mein Freund,
rief ich ihm ängstlich zu, komm er Morgen wieder, er soll
das Seinige bis auf den letzten Pfennig erhalten, wenn noch
Menschen in der Welt sind, die ein Herz haben. Mehr
konnte ich nichts sagen, ein heimlicher Fluch auf mich selbst
entwischte mir in einer Art von Wuth, ich gieng aber noch
desselben Tages in die Gesellschaft bey dem Residenten; zog
ihn mit einer Lebhaftigkeit, die er, wie ich wohl merkte,
für eine halbe Verwirrung ansahe, auf die Seite, und er-
zählte ihm mein Unglück. Ach er .... (das Wort wollte
nicht heraus, und ihr Gesicht glühete) ... sammlete für
mich, und ich erhielt das Geld für den guten Menschen, der
es des andern Tages durchaus mit mir theilen wollte, das ich
aber, dem Höchsten sey Dank! nicht angenommen habe .."

Gestehen Sie jetzt, meine Theureste! daß die feine Her-
ablassung, wie Sie es nennen, die ganze Kraft einer ed-
len Seele, eine wahre Rechtschaffenheit, und die größte
Ueberwindung erfordere. Gestehen sie aber auch, daß man
einer solchen Person nicht zu viel Hochachtung erweisen kön-
ne, und daß wir Recht haben, wenn wir uns um die Wette
beeifern, dieser Unglücklichen einige angenehme Stunden
zu verschaffen. Gestehen Sie endlich, daß es auch in dem
städtischen Zirkel bisweilen eine schöne Natur gebe, die eine
heilige Betrachtung verdient! ich bin davon ganz enthusias-
mirt ... auch mir ist dabey eine süsse Thräne entfallen ..
könnte ich Sie, meine Beste, in einem glücklichern Augen-
blicke versichern, daß ich ganz die Ihrige sey?

XII.
C 2

Die Politik im Ungluͤck.
ſchon zur Zeit, wie ich noch im Ueberfluß lebte, Noth gelitten,
und die Zinſen, die ich ihm damals bezahlt, aͤngſtlich be-
gehret hatte. Ich erinnerte mich, o meine Theureſte, wel-
che Erinnerungen! daß er Frau und Kinder hatte, die
mich zu Zeiten um einige Beyhuͤlfe angeſprochen, und nun
muſte ich hoͤren, daß dieſer Mann beſcheiden genug ſeyn
wolte, mir das Seinige zu laſſen .... O mein Freund,
rief ich ihm aͤngſtlich zu, komm er Morgen wieder, er ſoll
das Seinige bis auf den letzten Pfennig erhalten, wenn noch
Menſchen in der Welt ſind, die ein Herz haben. Mehr
konnte ich nichts ſagen, ein heimlicher Fluch auf mich ſelbſt
entwiſchte mir in einer Art von Wuth, ich gieng aber noch
deſſelben Tages in die Geſellſchaft bey dem Reſidenten; zog
ihn mit einer Lebhaftigkeit, die er, wie ich wohl merkte,
fuͤr eine halbe Verwirrung anſahe, auf die Seite, und er-
zaͤhlte ihm mein Ungluͤck. Ach er .... (das Wort wollte
nicht heraus, und ihr Geſicht gluͤhete) … ſammlete fuͤr
mich, und ich erhielt das Geld fuͤr den guten Menſchen, der
es des andern Tages durchaus mit mir theilen wollte, das ich
aber, dem Hoͤchſten ſey Dank! nicht angenommen habe ..”

Geſtehen Sie jetzt, meine Theureſte! daß die feine Her-
ablaſſung, wie Sie es nennen, die ganze Kraft einer ed-
len Seele, eine wahre Rechtſchaffenheit, und die groͤßte
Ueberwindung erfordere. Geſtehen ſie aber auch, daß man
einer ſolchen Perſon nicht zu viel Hochachtung erweiſen koͤn-
ne, und daß wir Recht haben, wenn wir uns um die Wette
beeifern, dieſer Ungluͤcklichen einige angenehme Stunden
zu verſchaffen. Geſtehen Sie endlich, daß es auch in dem
ſtaͤdtiſchen Zirkel bisweilen eine ſchoͤne Natur gebe, die eine
heilige Betrachtung verdient! ich bin davon ganz enthuſiaſ-
mirt … auch mir iſt dabey eine ſuͤſſe Thraͤne entfallen ..
koͤnnte ich Sie, meine Beſte, in einem gluͤcklichern Augen-
blicke verſichern, daß ich ganz die Ihrige ſey?

XII.
C 2
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[35/0049] Die Politik im Ungluͤck. ſchon zur Zeit, wie ich noch im Ueberfluß lebte, Noth gelitten, und die Zinſen, die ich ihm damals bezahlt, aͤngſtlich be- gehret hatte. Ich erinnerte mich, o meine Theureſte, wel- che Erinnerungen! daß er Frau und Kinder hatte, die mich zu Zeiten um einige Beyhuͤlfe angeſprochen, und nun muſte ich hoͤren, daß dieſer Mann beſcheiden genug ſeyn wolte, mir das Seinige zu laſſen .... O mein Freund, rief ich ihm aͤngſtlich zu, komm er Morgen wieder, er ſoll das Seinige bis auf den letzten Pfennig erhalten, wenn noch Menſchen in der Welt ſind, die ein Herz haben. Mehr konnte ich nichts ſagen, ein heimlicher Fluch auf mich ſelbſt entwiſchte mir in einer Art von Wuth, ich gieng aber noch deſſelben Tages in die Geſellſchaft bey dem Reſidenten; zog ihn mit einer Lebhaftigkeit, die er, wie ich wohl merkte, fuͤr eine halbe Verwirrung anſahe, auf die Seite, und er- zaͤhlte ihm mein Ungluͤck. Ach er .... (das Wort wollte nicht heraus, und ihr Geſicht gluͤhete) … ſammlete fuͤr mich, und ich erhielt das Geld fuͤr den guten Menſchen, der es des andern Tages durchaus mit mir theilen wollte, das ich aber, dem Hoͤchſten ſey Dank! nicht angenommen habe ..” Geſtehen Sie jetzt, meine Theureſte! daß die feine Her- ablaſſung, wie Sie es nennen, die ganze Kraft einer ed- len Seele, eine wahre Rechtſchaffenheit, und die groͤßte Ueberwindung erfordere. Geſtehen ſie aber auch, daß man einer ſolchen Perſon nicht zu viel Hochachtung erweiſen koͤn- ne, und daß wir Recht haben, wenn wir uns um die Wette beeifern, dieſer Ungluͤcklichen einige angenehme Stunden zu verſchaffen. Geſtehen Sie endlich, daß es auch in dem ſtaͤdtiſchen Zirkel bisweilen eine ſchoͤne Natur gebe, die eine heilige Betrachtung verdient! ich bin davon ganz enthuſiaſ- mirt … auch mir iſt dabey eine ſuͤſſe Thraͤne entfallen .. koͤnnte ich Sie, meine Beſte, in einem gluͤcklichern Augen- blicke verſichern, daß ich ganz die Ihrige ſey? XII. C 2

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/49>, abgerufen am 23.11.2024.