Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Politik im Unglück.
ten, ich fiel auf einen Stuhl, und in dem Augenblick kam
ein Brief von dem Amtmann, worinn er meldete, daß er
aus Besorgniß, das Schrecken mögte meine Milch ver-
dorben haben, ein gutes Landmensch in meine Stelle ge-
nommen hätte, und mir also nicht dienen könnte. Hier
fieng ich an Othem zu schöpfen, und mein Oheim war so
gut, mich mit dem zärtlichen Troste, wie er es sehr bedau-
rete, daß die Gelegenheit fehl geschlagen wäre zu verab-
scheiden. Und für diese Güte muste ich ihm denn noch
danken."

O! wären Sie doch bey dieser Erzählung gegenwärtig
gewesen! die arme Frau saß neben mir auf dem Kanape,
vorübergebogen, den Ellenbogen auf das Knie gestützt, die
Augen auf den Boden geheftet, und schlug sich bey dem
Wort danken mit der zugemachten Hand vor die stolze
Stirne. Ich legte ihr meine Arme um den Rücken, und
bat sie freundschaftlich, nicht wehmüthig zu werden. Aber
sie fühlte und hörte es nicht; und war bey der blossen Er-
zählung dieser grausamen Erniedrigung ganz ausser sich ge-
rathen. Dennoch hat sie sich damals überwunden, und ih-
ren Oheim nicht böse gemacht, von dem sie auch noch die beste
Hülfe genießt. Ja sie hat ihn durch ihre kluge Einschränkung,
und eben dadurch, daß sie ihn von aller Furcht befreyet hat,
ihr einige Hülfe geben zu müssen, nach und nach dergestalt
eingenommen, daß er sehr vieles für sie thut, und in ihrer
Gesellschaft eine wahre Freude findet. Blos das erste
Schrecken, daß sie mit ihren Kindern ihm nur allein auf
den Hals fallen würde, hatte den guten Schöps dahin ge-
bracht, seine Nichte für Amme auszubieten.

Hier dachte ich meinen Brief zu schliessen, aus Furcht,
er mögte zu lang werden. Da ich aber eben Zeit und Lust
zu schreiben habe, weil die Gesellschaft abgesagt ist: so will

ich
Mös. patr. Phant. III. Th. C

Die Politik im Ungluͤck.
ten, ich fiel auf einen Stuhl, und in dem Augenblick kam
ein Brief von dem Amtmann, worinn er meldete, daß er
aus Beſorgniß, das Schrecken moͤgte meine Milch ver-
dorben haben, ein gutes Landmenſch in meine Stelle ge-
nommen haͤtte, und mir alſo nicht dienen koͤnnte. Hier
fieng ich an Othem zu ſchoͤpfen, und mein Oheim war ſo
gut, mich mit dem zaͤrtlichen Troſte, wie er es ſehr bedau-
rete, daß die Gelegenheit fehl geſchlagen waͤre zu verab-
ſcheiden. Und fuͤr dieſe Guͤte muſte ich ihm denn noch
danken.„

O! waͤren Sie doch bey dieſer Erzaͤhlung gegenwaͤrtig
geweſen! die arme Frau ſaß neben mir auf dem Kanape,
voruͤbergebogen, den Ellenbogen auf das Knie geſtuͤtzt, die
Augen auf den Boden geheftet, und ſchlug ſich bey dem
Wort danken mit der zugemachten Hand vor die ſtolze
Stirne. Ich legte ihr meine Arme um den Ruͤcken, und
bat ſie freundſchaftlich, nicht wehmuͤthig zu werden. Aber
ſie fuͤhlte und hoͤrte es nicht; und war bey der bloſſen Er-
zaͤhlung dieſer grauſamen Erniedrigung ganz auſſer ſich ge-
rathen. Dennoch hat ſie ſich damals uͤberwunden, und ih-
ren Oheim nicht boͤſe gemacht, von dem ſie auch noch die beſte
Huͤlfe genießt. Ja ſie hat ihn durch ihre kluge Einſchraͤnkung,
und eben dadurch, daß ſie ihn von aller Furcht befreyet hat,
ihr einige Huͤlfe geben zu muͤſſen, nach und nach dergeſtalt
eingenommen, daß er ſehr vieles fuͤr ſie thut, und in ihrer
Geſellſchaft eine wahre Freude findet. Blos das erſte
Schrecken, daß ſie mit ihren Kindern ihm nur allein auf
den Hals fallen wuͤrde, hatte den guten Schoͤps dahin ge-
bracht, ſeine Nichte fuͤr Amme auszubieten.

Hier dachte ich meinen Brief zu ſchlieſſen, aus Furcht,
er moͤgte zu lang werden. Da ich aber eben Zeit und Luſt
zu ſchreiben habe, weil die Geſellſchaft abgeſagt iſt: ſo will

ich
Moͤſ. patr. Phant. III. Th. C
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0047" n="33"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Die Politik im Unglu&#x0364;ck.</hi></fw><lb/>
ten, ich fiel auf einen Stuhl, und in dem Augenblick kam<lb/>
ein Brief von dem Amtmann, worinn er meldete, daß er<lb/>
aus Be&#x017F;orgniß, das Schrecken mo&#x0364;gte meine Milch ver-<lb/>
dorben haben, ein gutes Landmen&#x017F;ch in meine Stelle ge-<lb/>
nommen ha&#x0364;tte, und mir al&#x017F;o nicht dienen ko&#x0364;nnte. Hier<lb/>
fieng ich an Othem zu &#x017F;cho&#x0364;pfen, und mein Oheim war &#x017F;o<lb/>
gut, mich mit dem za&#x0364;rtlichen Tro&#x017F;te, wie er es &#x017F;ehr bedau-<lb/>
rete, daß die Gelegenheit fehl ge&#x017F;chlagen wa&#x0364;re zu verab-<lb/>
&#x017F;cheiden. Und fu&#x0364;r die&#x017F;e Gu&#x0364;te mu&#x017F;te ich ihm denn noch<lb/>
danken.&#x201E;</p><lb/>
          <p>O! wa&#x0364;ren Sie doch bey die&#x017F;er Erza&#x0364;hlung gegenwa&#x0364;rtig<lb/>
gewe&#x017F;en! die arme Frau &#x017F;aß neben mir auf dem Kanape,<lb/>
voru&#x0364;bergebogen, den Ellenbogen auf das Knie ge&#x017F;tu&#x0364;tzt, die<lb/>
Augen auf den Boden geheftet, und &#x017F;chlug &#x017F;ich bey dem<lb/>
Wort <hi rendition="#fr">danken</hi> mit der zugemachten Hand vor die &#x017F;tolze<lb/>
Stirne. Ich legte ihr meine Arme um den Ru&#x0364;cken, und<lb/>
bat &#x017F;ie freund&#x017F;chaftlich, nicht wehmu&#x0364;thig zu werden. Aber<lb/>
&#x017F;ie fu&#x0364;hlte und ho&#x0364;rte es nicht; und war bey der blo&#x017F;&#x017F;en Er-<lb/>
za&#x0364;hlung die&#x017F;er grau&#x017F;amen Erniedrigung ganz au&#x017F;&#x017F;er &#x017F;ich ge-<lb/>
rathen. Dennoch hat &#x017F;ie &#x017F;ich damals u&#x0364;berwunden, und ih-<lb/>
ren Oheim nicht bo&#x0364;&#x017F;e gemacht, von dem &#x017F;ie auch noch die be&#x017F;te<lb/>
Hu&#x0364;lfe genießt. Ja &#x017F;ie hat ihn durch ihre kluge Ein&#x017F;chra&#x0364;nkung,<lb/>
und eben dadurch, daß &#x017F;ie ihn von aller Furcht befreyet hat,<lb/>
ihr einige Hu&#x0364;lfe geben zu mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, nach und nach derge&#x017F;talt<lb/>
eingenommen, daß er &#x017F;ehr vieles fu&#x0364;r &#x017F;ie thut, und in ihrer<lb/>
Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft eine wahre Freude findet. Blos das er&#x017F;te<lb/>
Schrecken, daß &#x017F;ie mit ihren Kindern ihm nur allein auf<lb/>
den Hals fallen wu&#x0364;rde, hatte den guten Scho&#x0364;ps dahin ge-<lb/>
bracht, &#x017F;eine Nichte fu&#x0364;r Amme auszubieten.</p><lb/>
          <p>Hier dachte ich meinen Brief zu &#x017F;chlie&#x017F;&#x017F;en, aus Furcht,<lb/>
er mo&#x0364;gte zu lang werden. Da ich aber eben Zeit und Lu&#x017F;t<lb/>
zu &#x017F;chreiben habe, weil die Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft abge&#x017F;agt i&#x017F;t: &#x017F;o will<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#fr">Mo&#x0364;&#x017F;. patr. Phant.</hi><hi rendition="#aq">III.</hi><hi rendition="#fr">Th.</hi> C</fw><fw place="bottom" type="catch">ich</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[33/0047] Die Politik im Ungluͤck. ten, ich fiel auf einen Stuhl, und in dem Augenblick kam ein Brief von dem Amtmann, worinn er meldete, daß er aus Beſorgniß, das Schrecken moͤgte meine Milch ver- dorben haben, ein gutes Landmenſch in meine Stelle ge- nommen haͤtte, und mir alſo nicht dienen koͤnnte. Hier fieng ich an Othem zu ſchoͤpfen, und mein Oheim war ſo gut, mich mit dem zaͤrtlichen Troſte, wie er es ſehr bedau- rete, daß die Gelegenheit fehl geſchlagen waͤre zu verab- ſcheiden. Und fuͤr dieſe Guͤte muſte ich ihm denn noch danken.„ O! waͤren Sie doch bey dieſer Erzaͤhlung gegenwaͤrtig geweſen! die arme Frau ſaß neben mir auf dem Kanape, voruͤbergebogen, den Ellenbogen auf das Knie geſtuͤtzt, die Augen auf den Boden geheftet, und ſchlug ſich bey dem Wort danken mit der zugemachten Hand vor die ſtolze Stirne. Ich legte ihr meine Arme um den Ruͤcken, und bat ſie freundſchaftlich, nicht wehmuͤthig zu werden. Aber ſie fuͤhlte und hoͤrte es nicht; und war bey der bloſſen Er- zaͤhlung dieſer grauſamen Erniedrigung ganz auſſer ſich ge- rathen. Dennoch hat ſie ſich damals uͤberwunden, und ih- ren Oheim nicht boͤſe gemacht, von dem ſie auch noch die beſte Huͤlfe genießt. Ja ſie hat ihn durch ihre kluge Einſchraͤnkung, und eben dadurch, daß ſie ihn von aller Furcht befreyet hat, ihr einige Huͤlfe geben zu muͤſſen, nach und nach dergeſtalt eingenommen, daß er ſehr vieles fuͤr ſie thut, und in ihrer Geſellſchaft eine wahre Freude findet. Blos das erſte Schrecken, daß ſie mit ihren Kindern ihm nur allein auf den Hals fallen wuͤrde, hatte den guten Schoͤps dahin ge- bracht, ſeine Nichte fuͤr Amme auszubieten. Hier dachte ich meinen Brief zu ſchlieſſen, aus Furcht, er moͤgte zu lang werden. Da ich aber eben Zeit und Luſt zu ſchreiben habe, weil die Geſellſchaft abgeſagt iſt: ſo will ich Moͤſ. patr. Phant. III. Th. C

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Für das DTA wurde die „Neue verbesserte und verme… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/47
Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/47>, abgerufen am 24.11.2024.