Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778.Die Politik im Unglück. völligen Glanze bey mir; aber gestern besuchte sie mich inihrem neuen Aufzuge, kam durch den tiefen Schnee zu Fuße, und hatte ihr wollenes Röckgen so aufgehoben, als wenn sie besorgt gewesen wäre, daß etwas daran verderben mögte. Ich habe nicht ermangeln wollen, sagte sie zu mir, mich Ih- nen zu empfehlen; und sie zu ersuchen, mir einige Arbeit zu gönnen, wenn sie mich dazu tüchtig halten. Sie sagte dieses mit einem so freymüthigen und ungezwungnen An- stande, und redete von ihrem Unglücke mit so vieler Mäßi- gung, daß ich ohne alle Besorgniß sie zu kränken, ganz frey mit ihr darüber reden konnte. Wir philosophirten lange zusammen, ohne daß ihr eine bittere Klage gegen ih- ren Mann oder dessen Gläubiger entfiel. Sie ließ sich, sie ließ andern Gerechtigkeit wiederfahren; und das mit so vie- ler Würde, daß ich es nicht wagen mogte, ihr einige Hülfe anzubieten. Aber beym Weggehen konnte ich mich nicht enthalten, sie zu umarmen, und ihr ins Ohr zu sagen: sie wäre eine recht stolze Frau. Das bin ich, erwiederte sie, und jetzt noch mehr als jemals; ich will zeigen, daß ich bessere Ansprüche auf Hochachtung habe, als diejeni- gen waren, die mir vorhin das Glück geliehen hatte; und ohne Knicks gieng sie fort. Was sagen Sie dazu, meine Theureste! verdient ein solches Beyspiel nicht eine Stelle in der bürgerlichen Geschichte? Leben Sie wohl für heute. IX. H ... den 18 Nov. 1773.In voriger Woche ist man endlich mit dem öffentlichen Die B 5
Die Politik im Ungluͤck. voͤlligen Glanze bey mir; aber geſtern beſuchte ſie mich inihrem neuen Aufzuge, kam durch den tiefen Schnee zu Fuße, und hatte ihr wollenes Roͤckgen ſo aufgehoben, als wenn ſie beſorgt geweſen waͤre, daß etwas daran verderben moͤgte. Ich habe nicht ermangeln wollen, ſagte ſie zu mir, mich Ih- nen zu empfehlen; und ſie zu erſuchen, mir einige Arbeit zu goͤnnen, wenn ſie mich dazu tuͤchtig halten. Sie ſagte dieſes mit einem ſo freymuͤthigen und ungezwungnen An- ſtande, und redete von ihrem Ungluͤcke mit ſo vieler Maͤßi- gung, daß ich ohne alle Beſorgniß ſie zu kraͤnken, ganz frey mit ihr daruͤber reden konnte. Wir philoſophirten lange zuſammen, ohne daß ihr eine bittere Klage gegen ih- ren Mann oder deſſen Glaͤubiger entfiel. Sie ließ ſich, ſie ließ andern Gerechtigkeit wiederfahren; und das mit ſo vie- ler Wuͤrde, daß ich es nicht wagen mogte, ihr einige Huͤlfe anzubieten. Aber beym Weggehen konnte ich mich nicht enthalten, ſie zu umarmen, und ihr ins Ohr zu ſagen: ſie waͤre eine recht ſtolze Frau. Das bin ich, erwiederte ſie, und jetzt noch mehr als jemals; ich will zeigen, daß ich beſſere Anſpruͤche auf Hochachtung habe, als diejeni- gen waren, die mir vorhin das Gluͤck geliehen hatte; und ohne Knicks gieng ſie fort. Was ſagen Sie dazu, meine Theureſte! verdient ein ſolches Beyſpiel nicht eine Stelle in der buͤrgerlichen Geſchichte? Leben Sie wohl fuͤr heute. IX. H … den 18 Nov. 1773.In voriger Woche iſt man endlich mit dem oͤffentlichen Die B 5
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0039" n="25"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Die Politik im Ungluͤck.</hi></fw><lb/> voͤlligen Glanze bey mir; aber geſtern beſuchte ſie mich in<lb/> ihrem neuen Aufzuge, kam durch den tiefen Schnee zu Fuße,<lb/> und hatte ihr wollenes Roͤckgen ſo aufgehoben, als wenn<lb/> ſie beſorgt geweſen waͤre, daß etwas daran verderben moͤgte.<lb/> Ich habe nicht ermangeln wollen, ſagte ſie zu mir, mich Ih-<lb/> nen zu empfehlen; und ſie zu erſuchen, mir einige Arbeit<lb/> zu goͤnnen, wenn ſie mich dazu tuͤchtig halten. Sie ſagte<lb/> dieſes mit einem ſo freymuͤthigen und ungezwungnen An-<lb/> ſtande, und redete von ihrem Ungluͤcke mit ſo vieler Maͤßi-<lb/> gung, daß ich ohne alle Beſorgniß ſie zu kraͤnken, ganz<lb/> frey mit ihr daruͤber reden konnte. Wir philoſophirten<lb/> lange zuſammen, ohne daß ihr eine bittere Klage gegen ih-<lb/> ren Mann oder deſſen Glaͤubiger entfiel. Sie ließ ſich, ſie<lb/> ließ andern Gerechtigkeit wiederfahren; und das mit ſo vie-<lb/> ler Wuͤrde, daß ich es nicht wagen mogte, ihr einige Huͤlfe<lb/> anzubieten. Aber beym Weggehen konnte ich mich nicht<lb/> enthalten, ſie zu umarmen, und ihr ins Ohr zu ſagen:<lb/> ſie waͤre eine recht ſtolze Frau. Das bin ich, erwiederte<lb/> ſie, und jetzt noch mehr als jemals; ich will zeigen, daß<lb/> ich beſſere Anſpruͤche auf Hochachtung habe, als diejeni-<lb/> gen waren, die mir vorhin das Gluͤck geliehen hatte; und<lb/> ohne Knicks gieng ſie fort. Was ſagen Sie dazu, meine<lb/> Theureſte! verdient ein ſolches Beyſpiel nicht eine Stelle<lb/> in der buͤrgerlichen Geſchichte? Leben Sie wohl fuͤr heute.</p> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div n="2"> <head> <hi rendition="#aq">IX.</hi> </head><lb/> <dateline> <hi rendition="#et">H … den 18 Nov. 1773.</hi> </dateline><lb/> <p>In voriger Woche iſt man endlich mit dem oͤffentlichen<lb/> Verkaufe der A … iſchen Sachen zu Ende gekommen.<lb/> Die Frau war immer dabey, und ſorgte dafuͤr, daß alles<lb/> ordentlich vorgelegt, und zum theureſten verkauft wurde.<lb/> <fw place="bottom" type="sig">B 5</fw><fw place="bottom" type="catch">Die</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [25/0039]
Die Politik im Ungluͤck.
voͤlligen Glanze bey mir; aber geſtern beſuchte ſie mich in
ihrem neuen Aufzuge, kam durch den tiefen Schnee zu Fuße,
und hatte ihr wollenes Roͤckgen ſo aufgehoben, als wenn
ſie beſorgt geweſen waͤre, daß etwas daran verderben moͤgte.
Ich habe nicht ermangeln wollen, ſagte ſie zu mir, mich Ih-
nen zu empfehlen; und ſie zu erſuchen, mir einige Arbeit
zu goͤnnen, wenn ſie mich dazu tuͤchtig halten. Sie ſagte
dieſes mit einem ſo freymuͤthigen und ungezwungnen An-
ſtande, und redete von ihrem Ungluͤcke mit ſo vieler Maͤßi-
gung, daß ich ohne alle Beſorgniß ſie zu kraͤnken, ganz
frey mit ihr daruͤber reden konnte. Wir philoſophirten
lange zuſammen, ohne daß ihr eine bittere Klage gegen ih-
ren Mann oder deſſen Glaͤubiger entfiel. Sie ließ ſich, ſie
ließ andern Gerechtigkeit wiederfahren; und das mit ſo vie-
ler Wuͤrde, daß ich es nicht wagen mogte, ihr einige Huͤlfe
anzubieten. Aber beym Weggehen konnte ich mich nicht
enthalten, ſie zu umarmen, und ihr ins Ohr zu ſagen:
ſie waͤre eine recht ſtolze Frau. Das bin ich, erwiederte
ſie, und jetzt noch mehr als jemals; ich will zeigen, daß
ich beſſere Anſpruͤche auf Hochachtung habe, als diejeni-
gen waren, die mir vorhin das Gluͤck geliehen hatte; und
ohne Knicks gieng ſie fort. Was ſagen Sie dazu, meine
Theureſte! verdient ein ſolches Beyſpiel nicht eine Stelle
in der buͤrgerlichen Geſchichte? Leben Sie wohl fuͤr heute.
IX.
H … den 18 Nov. 1773.
In voriger Woche iſt man endlich mit dem oͤffentlichen
Verkaufe der A … iſchen Sachen zu Ende gekommen.
Die Frau war immer dabey, und ſorgte dafuͤr, daß alles
ordentlich vorgelegt, und zum theureſten verkauft wurde.
Die
B 5
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeFür das DTA wurde die „Neue verbesserte und verme… [mehr] Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |