und den Hof ausheuren; so lange die Landesobrigkeit nicht andre Gesetze macht. Denn der Richter ist kein Gesetzgeber, sondern ein Knecht des Gesetzes.
Aber was soll denn der Gesetzgeber thun? Kann dieser, kann der Gutsherr leiden, daß kein Wirth, kein Spann, kein Haushalt auf dem Hofe bleibe? Erfordert es nicht die allgemeine Noth, daß jeder Hof ein taugliches Spann habe? Und ist der Gutsherr nicht berechtiget, seinen möchentlichen Spanndienst zu fordern? Allerdings. Die Sache selbst re- det so klar, daß man sich wundern muß, warum der Ge- setzgeber nicht hier im Stifte, so wie in benachbarten Län- dern würklich geschehen, dem Bauer mit seinem ganzen Hof- gewehr eisern gemacht habe.
Doch jetzt fällt mir ein einziger kleiner Zweifel ein. Wie soll es der Leibeigne machen, wenn er sein Hofgewehr durch Feuer, Krieg, Seuchen oder andre Unglücksfälle verlieret, aber kein baar Geld hat? Woher nimmt alsdann der Guts- herr den Spanndienst und die gemeine Noth ihre Kriegs- fuhr? Wird er hier nicht borgen müssen? Und wenn er die- ses thun muß: hat er es denn nicht auch vorher in gleichen Fällen thun können? Freylich, wird man sagen; allein diese Fälle sind nicht vorhanden gewesen. O! wenn der Proceß nur erst so weit kömmt, daß es auf den Beweis der Un- glücksfälle ankömmt: so gehts dem Gutsherrn mit seinem Leibeignen wie der Schönen mit ihrem Anbeter. So bald sie anfangen zu philosophiren, sind beyde halb verlohren.
Nun so mag der Leibeigne dann so viel borgen als die höchste Noth immer ersordert; braucht doch der Gutsherr um deswillen nicht zuzugeben, daß Pferde und Kühe für den Gläubiger vom Hofe gepfändet werden? ... Nein. Aber die Frage ist vorerst noch, wie Kühe und Pferde herauf kommen, wenn sie durch Unglück abfallen? Ob ein Gläu- biger im ganzen Lande sey, der dem Leibeignen eine Klaue
leihen
A a 2
und landſaͤßigen Schuldner.
und den Hof ausheuren; ſo lange die Landesobrigkeit nicht andre Geſetze macht. Denn der Richter iſt kein Geſetzgeber, ſondern ein Knecht des Geſetzes.
Aber was ſoll denn der Geſetzgeber thun? Kann dieſer, kann der Gutsherr leiden, daß kein Wirth, kein Spann, kein Haushalt auf dem Hofe bleibe? Erfordert es nicht die allgemeine Noth, daß jeder Hof ein taugliches Spann habe? Und iſt der Gutsherr nicht berechtiget, ſeinen moͤchentlichen Spanndienſt zu fordern? Allerdings. Die Sache ſelbſt re- det ſo klar, daß man ſich wundern muß, warum der Ge- ſetzgeber nicht hier im Stifte, ſo wie in benachbarten Laͤn- dern wuͤrklich geſchehen, dem Bauer mit ſeinem ganzen Hof- gewehr eiſern gemacht habe.
Doch jetzt faͤllt mir ein einziger kleiner Zweifel ein. Wie ſoll es der Leibeigne machen, wenn er ſein Hofgewehr durch Feuer, Krieg, Seuchen oder andre Ungluͤcksfaͤlle verlieret, aber kein baar Geld hat? Woher nimmt alsdann der Guts- herr den Spanndienſt und die gemeine Noth ihre Kriegs- fuhr? Wird er hier nicht borgen muͤſſen? Und wenn er die- ſes thun muß: hat er es denn nicht auch vorher in gleichen Faͤllen thun koͤnnen? Freylich, wird man ſagen; allein dieſe Faͤlle ſind nicht vorhanden geweſen. O! wenn der Proceß nur erſt ſo weit koͤmmt, daß es auf den Beweis der Un- gluͤcksfaͤlle ankoͤmmt: ſo gehts dem Gutsherrn mit ſeinem Leibeignen wie der Schoͤnen mit ihrem Anbeter. So bald ſie anfangen zu philoſophiren, ſind beyde halb verlohren.
Nun ſo mag der Leibeigne dann ſo viel borgen als die hoͤchſte Noth immer erſordert; braucht doch der Gutsherr um deswillen nicht zuzugeben, daß Pferde und Kuͤhe fuͤr den Glaͤubiger vom Hofe gepfaͤndet werden? … Nein. Aber die Frage iſt vorerſt noch, wie Kuͤhe und Pferde herauf kommen, wenn ſie durch Ungluͤck abfallen? Ob ein Glaͤu- biger im ganzen Lande ſey, der dem Leibeignen eine Klaue
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und landſaͤßigen Schuldner.
und den Hof ausheuren; ſo lange die Landesobrigkeit nicht
andre Geſetze macht. Denn der Richter iſt kein Geſetzgeber,
ſondern ein Knecht des Geſetzes.
Aber was ſoll denn der Geſetzgeber thun? Kann dieſer,
kann der Gutsherr leiden, daß kein Wirth, kein Spann,
kein Haushalt auf dem Hofe bleibe? Erfordert es nicht die
allgemeine Noth, daß jeder Hof ein taugliches Spann habe?
Und iſt der Gutsherr nicht berechtiget, ſeinen moͤchentlichen
Spanndienſt zu fordern? Allerdings. Die Sache ſelbſt re-
det ſo klar, daß man ſich wundern muß, warum der Ge-
ſetzgeber nicht hier im Stifte, ſo wie in benachbarten Laͤn-
dern wuͤrklich geſchehen, dem Bauer mit ſeinem ganzen Hof-
gewehr eiſern gemacht habe.
Doch jetzt faͤllt mir ein einziger kleiner Zweifel ein. Wie
ſoll es der Leibeigne machen, wenn er ſein Hofgewehr durch
Feuer, Krieg, Seuchen oder andre Ungluͤcksfaͤlle verlieret,
aber kein baar Geld hat? Woher nimmt alsdann der Guts-
herr den Spanndienſt und die gemeine Noth ihre Kriegs-
fuhr? Wird er hier nicht borgen muͤſſen? Und wenn er die-
ſes thun muß: hat er es denn nicht auch vorher in gleichen
Faͤllen thun koͤnnen? Freylich, wird man ſagen; allein dieſe
Faͤlle ſind nicht vorhanden geweſen. O! wenn der Proceß
nur erſt ſo weit koͤmmt, daß es auf den Beweis der Un-
gluͤcksfaͤlle ankoͤmmt: ſo gehts dem Gutsherrn mit ſeinem
Leibeignen wie der Schoͤnen mit ihrem Anbeter. So bald
ſie anfangen zu philoſophiren, ſind beyde halb verlohren.
Nun ſo mag der Leibeigne dann ſo viel borgen als die
hoͤchſte Noth immer erſordert; braucht doch der Gutsherr
um deswillen nicht zuzugeben, daß Pferde und Kuͤhe fuͤr den
Glaͤubiger vom Hofe gepfaͤndet werden? … Nein. Aber
die Frage iſt vorerſt noch, wie Kuͤhe und Pferde herauf
kommen, wenn ſie durch Ungluͤck abfallen? Ob ein Glaͤu-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Für das DTA wurde die „Neue verbesserte und verme… [mehr]
Für das DTA wurde die „Neue verbesserte und vermehrte Auflage“ des 3. Teils von Justus Mösers „Patriotischen Phantasien“ zur Digitalisierung ausgewählt. Sie erschien 1778, also im selben Jahr wie die Erstauflage dieses Bandes, und ist bis S. 260 seitenidentisch mit dieser. Die Abschnitte LX („Gedanken über den westphälischen Leibeigenthum“) bis LXVIII („Gedanken über den Stillestand der Leibeignen“) sind Ergänzungen gegenüber der ersten Auflage.
Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778, S. 371. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/385>, abgerufen am 16.02.2025.
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