Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778.

Bild:
<< vorherige Seite

Vom Gläubiger
enthalt zu seinem Rechte und Eigenthum verholfen wer-
den müste, darum nicht. Sie liessen vielmehr dies Recht
gehen, so weit es konnte, und bis zur Knechtschaft des
Schuldners. Die Kaiser Gratian und Theodosius erklär-
ten sich auf die gewissenhafte Art: daß sie sich nie der Voll-
kommenheit ihrer Macht bedienen wollten, einem Schuld-
ner Ausstand zu geben; und wenn es ja geschähe, ihre
Rescripte von dem einzigen Falle verstanden haben wollten,
wo der Schuldner hinlängliche Bürgschaft stellen könnte.
Es kann auch kein Reichsfürst nach den Reichsgesetzen,
und ohne allen Credit aus seinen Ländern zu verbannen,
minder Vorsicht gebrauchen, als bey dem Reichsabschied
von 1654 gebrauchet worden.

Auf der andern Seite dünkt es dem Richter oft grau-
sam, die Kinder von ihrem väterlichen Hofe um einer ge-
ringen Schuldforderung willen zu verdrängen. Er sieht
fast gewiß, daß das Gut, was er in einer geldlosen unbe-
quemen Zeit losschlagen muß, über einige Jahre weit mehr
gelten, und zur Sicherheit des Gläubigers völlig hinreichen
werde. Er denkt: Der Blitz der die Gründe des Gläu-
bigers nicht rühren können, weil sein Vermögen in Schuld-
verschreibungen besteht, hat vielleicht nicht blos den Schuld-
ner, sondern auch den Gläubiger heimsuchen wollen. Je-
ner hat sich gegen die Kriegsbeschwerden als ein treuer Un-
terthan gewehret, das Unterfand des Gläubigers mit Auf-
opferung seines übrigen Vermögens gerettet, und alles
Ungewitter über sich ergehen lassen; dieser hingegen ist
mit seinem Schuldbuche in fremde Länder geflüchtet, und
hat dem Sturm vom Ufer zugesehen. Soll ich, schließt
er, dem unglücklichen Landbesitzer sein Hofgewehr neh-
men: womit will er dann seinen Acker bestellen; und will
ich den Hof verkaufen, wie groß sind nicht auch die noth-
wendigsten Kosten? Ich weiß gewiß, sagt er dem Gläu-

biger

Vom Glaͤubiger
enthalt zu ſeinem Rechte und Eigenthum verholfen wer-
den muͤſte, darum nicht. Sie lieſſen vielmehr dies Recht
gehen, ſo weit es konnte, und bis zur Knechtſchaft des
Schuldners. Die Kaiſer Gratian und Theodoſius erklaͤr-
ten ſich auf die gewiſſenhafte Art: daß ſie ſich nie der Voll-
kommenheit ihrer Macht bedienen wollten, einem Schuld-
ner Ausſtand zu geben; und wenn es ja geſchaͤhe, ihre
Reſcripte von dem einzigen Falle verſtanden haben wollten,
wo der Schuldner hinlaͤngliche Buͤrgſchaft ſtellen koͤnnte.
Es kann auch kein Reichsfuͤrſt nach den Reichsgeſetzen,
und ohne allen Credit aus ſeinen Laͤndern zu verbannen,
minder Vorſicht gebrauchen, als bey dem Reichsabſchied
von 1654 gebrauchet worden.

Auf der andern Seite duͤnkt es dem Richter oft grau-
ſam, die Kinder von ihrem vaͤterlichen Hofe um einer ge-
ringen Schuldforderung willen zu verdraͤngen. Er ſieht
faſt gewiß, daß das Gut, was er in einer geldloſen unbe-
quemen Zeit losſchlagen muß, uͤber einige Jahre weit mehr
gelten, und zur Sicherheit des Glaͤubigers voͤllig hinreichen
werde. Er denkt: Der Blitz der die Gruͤnde des Glaͤu-
bigers nicht ruͤhren koͤnnen, weil ſein Vermoͤgen in Schuld-
verſchreibungen beſteht, hat vielleicht nicht blos den Schuld-
ner, ſondern auch den Glaͤubiger heimſuchen wollen. Je-
ner hat ſich gegen die Kriegsbeſchwerden als ein treuer Un-
terthan gewehret, das Unterfand des Glaͤubigers mit Auf-
opferung ſeines uͤbrigen Vermoͤgens gerettet, und alles
Ungewitter uͤber ſich ergehen laſſen; dieſer hingegen iſt
mit ſeinem Schuldbuche in fremde Laͤnder gefluͤchtet, und
hat dem Sturm vom Ufer zugeſehen. Soll ich, ſchließt
er, dem ungluͤcklichen Landbeſitzer ſein Hofgewehr neh-
men: womit will er dann ſeinen Acker beſtellen; und will
ich den Hof verkaufen, wie groß ſind nicht auch die noth-
wendigſten Koſten? Ich weiß gewiß, ſagt er dem Glaͤu-

biger
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0382" n="368"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Vom Gla&#x0364;ubiger</hi></fw><lb/>
enthalt zu &#x017F;einem Rechte und Eigenthum verholfen wer-<lb/>
den mu&#x0364;&#x017F;te, darum nicht. Sie lie&#x017F;&#x017F;en vielmehr dies Recht<lb/>
gehen, &#x017F;o weit es konnte, und bis zur Knecht&#x017F;chaft des<lb/>
Schuldners. Die Kai&#x017F;er Gratian und Theodo&#x017F;ius erkla&#x0364;r-<lb/>
ten &#x017F;ich auf die gewi&#x017F;&#x017F;enhafte Art: daß &#x017F;ie &#x017F;ich nie der Voll-<lb/>
kommenheit ihrer Macht bedienen wollten, einem Schuld-<lb/>
ner Aus&#x017F;tand zu geben; und wenn es ja ge&#x017F;cha&#x0364;he, ihre<lb/>
Re&#x017F;cripte von dem einzigen Falle ver&#x017F;tanden haben wollten,<lb/>
wo der Schuldner hinla&#x0364;ngliche Bu&#x0364;rg&#x017F;chaft &#x017F;tellen ko&#x0364;nnte.<lb/>
Es kann auch kein Reichsfu&#x0364;r&#x017F;t nach den Reichsge&#x017F;etzen,<lb/>
und ohne allen Credit aus &#x017F;einen La&#x0364;ndern zu verbannen,<lb/>
minder Vor&#x017F;icht gebrauchen, als bey dem Reichsab&#x017F;chied<lb/>
von 1654 gebrauchet worden.</p><lb/>
        <p>Auf der andern Seite du&#x0364;nkt es dem Richter oft grau-<lb/>
&#x017F;am, die Kinder von ihrem va&#x0364;terlichen Hofe um einer ge-<lb/>
ringen Schuldforderung willen zu verdra&#x0364;ngen. Er &#x017F;ieht<lb/>
fa&#x017F;t gewiß, daß das Gut, was er in einer geldlo&#x017F;en unbe-<lb/>
quemen Zeit los&#x017F;chlagen muß, u&#x0364;ber einige Jahre weit mehr<lb/>
gelten, und zur Sicherheit des Gla&#x0364;ubigers vo&#x0364;llig hinreichen<lb/>
werde. Er denkt: Der Blitz der die Gru&#x0364;nde des Gla&#x0364;u-<lb/>
bigers nicht ru&#x0364;hren ko&#x0364;nnen, weil &#x017F;ein Vermo&#x0364;gen in Schuld-<lb/>
ver&#x017F;chreibungen be&#x017F;teht, hat vielleicht nicht blos den Schuld-<lb/>
ner, &#x017F;ondern auch den Gla&#x0364;ubiger heim&#x017F;uchen wollen. Je-<lb/>
ner hat &#x017F;ich gegen die Kriegsbe&#x017F;chwerden als ein treuer Un-<lb/>
terthan gewehret, das Unterfand des Gla&#x0364;ubigers mit Auf-<lb/>
opferung &#x017F;eines u&#x0364;brigen Vermo&#x0364;gens gerettet, und alles<lb/>
Ungewitter u&#x0364;ber &#x017F;ich ergehen la&#x017F;&#x017F;en; die&#x017F;er hingegen i&#x017F;t<lb/>
mit &#x017F;einem Schuldbuche in fremde La&#x0364;nder geflu&#x0364;chtet, und<lb/>
hat dem Sturm vom Ufer zuge&#x017F;ehen. Soll ich, &#x017F;chließt<lb/>
er, dem unglu&#x0364;cklichen Landbe&#x017F;itzer &#x017F;ein Hofgewehr neh-<lb/>
men: womit will er dann &#x017F;einen Acker be&#x017F;tellen; und will<lb/>
ich den Hof verkaufen, wie groß &#x017F;ind nicht auch die noth-<lb/>
wendig&#x017F;ten Ko&#x017F;ten? Ich weiß gewiß, &#x017F;agt er dem Gla&#x0364;u-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">biger</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[368/0382] Vom Glaͤubiger enthalt zu ſeinem Rechte und Eigenthum verholfen wer- den muͤſte, darum nicht. Sie lieſſen vielmehr dies Recht gehen, ſo weit es konnte, und bis zur Knechtſchaft des Schuldners. Die Kaiſer Gratian und Theodoſius erklaͤr- ten ſich auf die gewiſſenhafte Art: daß ſie ſich nie der Voll- kommenheit ihrer Macht bedienen wollten, einem Schuld- ner Ausſtand zu geben; und wenn es ja geſchaͤhe, ihre Reſcripte von dem einzigen Falle verſtanden haben wollten, wo der Schuldner hinlaͤngliche Buͤrgſchaft ſtellen koͤnnte. Es kann auch kein Reichsfuͤrſt nach den Reichsgeſetzen, und ohne allen Credit aus ſeinen Laͤndern zu verbannen, minder Vorſicht gebrauchen, als bey dem Reichsabſchied von 1654 gebrauchet worden. Auf der andern Seite duͤnkt es dem Richter oft grau- ſam, die Kinder von ihrem vaͤterlichen Hofe um einer ge- ringen Schuldforderung willen zu verdraͤngen. Er ſieht faſt gewiß, daß das Gut, was er in einer geldloſen unbe- quemen Zeit losſchlagen muß, uͤber einige Jahre weit mehr gelten, und zur Sicherheit des Glaͤubigers voͤllig hinreichen werde. Er denkt: Der Blitz der die Gruͤnde des Glaͤu- bigers nicht ruͤhren koͤnnen, weil ſein Vermoͤgen in Schuld- verſchreibungen beſteht, hat vielleicht nicht blos den Schuld- ner, ſondern auch den Glaͤubiger heimſuchen wollen. Je- ner hat ſich gegen die Kriegsbeſchwerden als ein treuer Un- terthan gewehret, das Unterfand des Glaͤubigers mit Auf- opferung ſeines uͤbrigen Vermoͤgens gerettet, und alles Ungewitter uͤber ſich ergehen laſſen; dieſer hingegen iſt mit ſeinem Schuldbuche in fremde Laͤnder gefluͤchtet, und hat dem Sturm vom Ufer zugeſehen. Soll ich, ſchließt er, dem ungluͤcklichen Landbeſitzer ſein Hofgewehr neh- men: womit will er dann ſeinen Acker beſtellen; und will ich den Hof verkaufen, wie groß ſind nicht auch die noth- wendigſten Koſten? Ich weiß gewiß, ſagt er dem Glaͤu- biger

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Für das DTA wurde die „Neue verbesserte und verme… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/382
Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778, S. 368. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/382>, abgerufen am 24.11.2024.