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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778.

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Gedanken von dem Ursprung und Nutzen
Hoden, Hyen oder Echten, und von der Ursache der
Biesterfreyheit näher unterrichten zu lassen.

Gnädigster Herr, berichteten diese, man hat ehedem
von Territorien und Territorialunterthanen nichts gewust a).
Man kannte den Grundsatz nicht, daß derjenige, der sich
auf diesen oder jenen Theil des deutschen Reichsbodens setzte,
sofort mit der Luft die Oberherrschaft desjenigen Reichs-
beamten erkannte, in dessen Amtsbezirk er sich niederließ.
Es gieng damals auf dem Lande, wie noch jetzt in den
Städten, worinn nicht alle so zwischen den Mauren woh-
nen, das Bürgerrecht haben, sondern nur diejenigen, die
solches ausdrücklich nehmen und gewinnen. Die sämtlichen
Eingesessene eines Landes theilten sich also überhaupt in sol-
che welche das Unterthanenrecht genommen oder gewonnen,
und solche welche es nicht gewonnen hatten.

Diejenigen welche es gewonnen hatten, genossen der
Rechte und Wohlthaten, welche der Classe, worinn sie sich
begeben hatten, zukamen; und der oberste dieser Classe,
oder der Schutz- und Schirmherr genoß von ihrer Verlas-
senschaft entweder das beste Kleid, oder das beste Pferd,
oder das beste Pfand, oder eine andre Urkunde seiner
Schirmgerechtigkeit. Der Kaiser genoß dieses von allen
Reichsbeamten; der Bischof von seinen Capitularen; der
Archidiacon von seinen belehnten Pfarrern; der Lehnsherr

von
a) Dieser Begrif hängt uns jetzt immer nach; und wir sind zu
bekannt mit ihm geworden, um ihn gänzlich zu vergessen. Allein
wer die alte Verfassung beurtheilen will, muß schlechterdings
an keine Länder, Landesunterthanen und Landesordnung den-
ken. Wie eifrig war man in alten Zeiten auf die Huldigungen,
wie man noch eines jeden Menschen Einwilligung in die Unter-
thanenpflicht für nöthig hielt. Jetzt da der Boden Unterthanen
macht, hält man die Huldigung der Bauern für eine überflüßige
Ceremonie.

Gedanken von dem Urſprung und Nutzen
Hoden, Hyen oder Echten, und von der Urſache der
Bieſterfreyheit naͤher unterrichten zu laſſen.

Gnaͤdigſter Herr, berichteten dieſe, man hat ehedem
von Territorien und Territorialunterthanen nichts gewuſt a).
Man kannte den Grundſatz nicht, daß derjenige, der ſich
auf dieſen oder jenen Theil des deutſchen Reichsbodens ſetzte,
ſofort mit der Luft die Oberherrſchaft desjenigen Reichs-
beamten erkannte, in deſſen Amtsbezirk er ſich niederließ.
Es gieng damals auf dem Lande, wie noch jetzt in den
Staͤdten, worinn nicht alle ſo zwiſchen den Mauren woh-
nen, das Buͤrgerrecht haben, ſondern nur diejenigen, die
ſolches ausdruͤcklich nehmen und gewinnen. Die ſaͤmtlichen
Eingeſeſſene eines Landes theilten ſich alſo uͤberhaupt in ſol-
che welche das Unterthanenrecht genommen oder gewonnen,
und ſolche welche es nicht gewonnen hatten.

Diejenigen welche es gewonnen hatten, genoſſen der
Rechte und Wohlthaten, welche der Claſſe, worinn ſie ſich
begeben hatten, zukamen; und der oberſte dieſer Claſſe,
oder der Schutz- und Schirmherr genoß von ihrer Verlaſ-
ſenſchaft entweder das beſte Kleid, oder das beſte Pferd,
oder das beſte Pfand, oder eine andre Urkunde ſeiner
Schirmgerechtigkeit. Der Kaiſer genoß dieſes von allen
Reichsbeamten; der Biſchof von ſeinen Capitularen; der
Archidiacon von ſeinen belehnten Pfarrern; der Lehnsherr

von
a) Dieſer Begrif haͤngt uns jetzt immer nach; und wir ſind zu
bekannt mit ihm geworden, um ihn gaͤnzlich zu vergeſſen. Allein
wer die alte Verfaſſung beurtheilen will, muß ſchlechterdings
an keine Laͤnder, Landesunterthanen und Landesordnung den-
ken. Wie eifrig war man in alten Zeiten auf die Huldigungen,
wie man noch eines jeden Menſchen Einwilligung in die Unter-
thanenpflicht fuͤr noͤthig hielt. Jetzt da der Boden Unterthanen
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[350/0364] Gedanken von dem Urſprung und Nutzen Hoden, Hyen oder Echten, und von der Urſache der Bieſterfreyheit naͤher unterrichten zu laſſen. Gnaͤdigſter Herr, berichteten dieſe, man hat ehedem von Territorien und Territorialunterthanen nichts gewuſt a). Man kannte den Grundſatz nicht, daß derjenige, der ſich auf dieſen oder jenen Theil des deutſchen Reichsbodens ſetzte, ſofort mit der Luft die Oberherrſchaft desjenigen Reichs- beamten erkannte, in deſſen Amtsbezirk er ſich niederließ. Es gieng damals auf dem Lande, wie noch jetzt in den Staͤdten, worinn nicht alle ſo zwiſchen den Mauren woh- nen, das Buͤrgerrecht haben, ſondern nur diejenigen, die ſolches ausdruͤcklich nehmen und gewinnen. Die ſaͤmtlichen Eingeſeſſene eines Landes theilten ſich alſo uͤberhaupt in ſol- che welche das Unterthanenrecht genommen oder gewonnen, und ſolche welche es nicht gewonnen hatten. Diejenigen welche es gewonnen hatten, genoſſen der Rechte und Wohlthaten, welche der Claſſe, worinn ſie ſich begeben hatten, zukamen; und der oberſte dieſer Claſſe, oder der Schutz- und Schirmherr genoß von ihrer Verlaſ- ſenſchaft entweder das beſte Kleid, oder das beſte Pferd, oder das beſte Pfand, oder eine andre Urkunde ſeiner Schirmgerechtigkeit. Der Kaiſer genoß dieſes von allen Reichsbeamten; der Biſchof von ſeinen Capitularen; der Archidiacon von ſeinen belehnten Pfarrern; der Lehnsherr von a) Dieſer Begrif haͤngt uns jetzt immer nach; und wir ſind zu bekannt mit ihm geworden, um ihn gaͤnzlich zu vergeſſen. Allein wer die alte Verfaſſung beurtheilen will, muß ſchlechterdings an keine Laͤnder, Landesunterthanen und Landesordnung den- ken. Wie eifrig war man in alten Zeiten auf die Huldigungen, wie man noch eines jeden Menſchen Einwilligung in die Unter- thanenpflicht fuͤr noͤthig hielt. Jetzt da der Boden Unterthanen macht, haͤlt man die Huldigung der Bauern fuͤr eine uͤberfluͤßige Ceremonie.

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778, S. 350. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/364>, abgerufen am 24.11.2024.