Ich schwieg so gleich, als ich fühlte, daß meine Tropfen anfiengen zu wirken, und that als wenn ich aus dem Cabinett gehen wollte, mittlerweile sie, um ihre Be- wegung zu verbergen, nach einem Buche langte, und statt des Buches, das Paket ergrif, was ich ihr, auf Befehl Euer Gnaden, hinten auf ihrem Tisch geleget hatte. Was ist dieses, fragte sie mich, und indem sahe sie auch schon selbst was es war, und las: Quittungen über meiner Frauen ihre bezahlten Schulden, so sich bis jetzt auf drey- tausend siebenhundert drey und achtzig Thaler 12 Mgr. belaufen. Sie wollte es öfnen, aber vor zittern konnte sie es nicht, und nun lösete eine Fluth von Thränen das beklemmete Herz; sie fühlte auf einmal alles, was Ew. Gnaden für sie gethan hatten, und sagte weiter nichts als, wo ist mein Mann? Der ist, erwiederte ich, nach seiner Gewohnheit ausgeritten, und wird wohl so früh nicht wie- der zu Hause kommen. Sie suchte mich hierauf durch al- lerhand Fragen auszuholen, um zu wissen, ob Ew. Gna- den auch recht böse gewesen wären, wie sie mir das Paket gegeben hätten. Nein, sagte ich, der Herr ist diesen Mor- gen, wie Sie noch im Bette waren, selbst gestiefelt her- ein gekommen, und hat das Paket da so hingelegt, mit ei- nigem Eyfer, wie es schien, denn er stampfte es so dahin, wo Sie es gefunden haben.
Sie blieb hierauf wohl eine halbe Stunde in tiefen Ge- danken sitzen; und man sahe es ihr recht an, wie sie in der unruhigsten Erwartung bey jedem Geräusche aufhörte, ob Ew. Gnaden auch kämen. Endlich aber, wie es ihr zu lange währete, klagte sie über Herzklopfen, und ich muste ihr erst ein Glaß Wasser, hernach aber ihr den klei- nen Junker holen, mit welchem sie nun schon zwey Stun- den am Fenster sitzt, und recht peinlich auf den Augenblick wartet, da Ew. Gnaden kommen werden.
Ich
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ohne Gewiſſensſcrupel folgen.
Ich ſchwieg ſo gleich, als ich fuͤhlte, daß meine Tropfen anfiengen zu wirken, und that als wenn ich aus dem Cabinett gehen wollte, mittlerweile ſie, um ihre Be- wegung zu verbergen, nach einem Buche langte, und ſtatt des Buches, das Paket ergrif, was ich ihr, auf Befehl Euer Gnaden, hinten auf ihrem Tiſch geleget hatte. Was iſt dieſes, fragte ſie mich, und indem ſahe ſie auch ſchon ſelbſt was es war, und las: Quittungen uͤber meiner Frauen ihre bezahlten Schulden, ſo ſich bis jetzt auf drey- tauſend ſiebenhundert drey und achtzig Thaler 12 Mgr. belaufen. Sie wollte es oͤfnen, aber vor zittern konnte ſie es nicht, und nun loͤſete eine Fluth von Thraͤnen das beklemmete Herz; ſie fuͤhlte auf einmal alles, was Ew. Gnaden fuͤr ſie gethan hatten, und ſagte weiter nichts als, wo iſt mein Mann? Der iſt, erwiederte ich, nach ſeiner Gewohnheit ausgeritten, und wird wohl ſo fruͤh nicht wie- der zu Hauſe kommen. Sie ſuchte mich hierauf durch al- lerhand Fragen auszuholen, um zu wiſſen, ob Ew. Gna- den auch recht boͤſe geweſen waͤren, wie ſie mir das Paket gegeben haͤtten. Nein, ſagte ich, der Herr iſt dieſen Mor- gen, wie Sie noch im Bette waren, ſelbſt geſtiefelt her- ein gekommen, und hat das Paket da ſo hingelegt, mit ei- nigem Eyfer, wie es ſchien, denn er ſtampfte es ſo dahin, wo Sie es gefunden haben.
Sie blieb hierauf wohl eine halbe Stunde in tiefen Ge- danken ſitzen; und man ſahe es ihr recht an, wie ſie in der unruhigſten Erwartung bey jedem Geraͤuſche aufhoͤrte, ob Ew. Gnaden auch kaͤmen. Endlich aber, wie es ihr zu lange waͤhrete, klagte ſie uͤber Herzklopfen, und ich muſte ihr erſt ein Glaß Waſſer, hernach aber ihr den klei- nen Junker holen, mit welchem ſie nun ſchon zwey Stun- den am Fenſter ſitzt, und recht peinlich auf den Augenblick wartet, da Ew. Gnaden kommen werden.
Ich
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ohne Gewiſſensſcrupel folgen.
Ich ſchwieg ſo gleich, als ich fuͤhlte, daß meine
Tropfen anfiengen zu wirken, und that als wenn ich aus
dem Cabinett gehen wollte, mittlerweile ſie, um ihre Be-
wegung zu verbergen, nach einem Buche langte, und ſtatt
des Buches, das Paket ergrif, was ich ihr, auf Befehl
Euer Gnaden, hinten auf ihrem Tiſch geleget hatte. Was
iſt dieſes, fragte ſie mich, und indem ſahe ſie auch ſchon
ſelbſt was es war, und las: Quittungen uͤber meiner
Frauen ihre bezahlten Schulden, ſo ſich bis jetzt auf drey-
tauſend ſiebenhundert drey und achtzig Thaler 12 Mgr.
belaufen. Sie wollte es oͤfnen, aber vor zittern konnte
ſie es nicht, und nun loͤſete eine Fluth von Thraͤnen das
beklemmete Herz; ſie fuͤhlte auf einmal alles, was Ew.
Gnaden fuͤr ſie gethan hatten, und ſagte weiter nichts als,
wo iſt mein Mann? Der iſt, erwiederte ich, nach ſeiner
Gewohnheit ausgeritten, und wird wohl ſo fruͤh nicht wie-
der zu Hauſe kommen. Sie ſuchte mich hierauf durch al-
lerhand Fragen auszuholen, um zu wiſſen, ob Ew. Gna-
den auch recht boͤſe geweſen waͤren, wie ſie mir das Paket
gegeben haͤtten. Nein, ſagte ich, der Herr iſt dieſen Mor-
gen, wie Sie noch im Bette waren, ſelbſt geſtiefelt her-
ein gekommen, und hat das Paket da ſo hingelegt, mit ei-
nigem Eyfer, wie es ſchien, denn er ſtampfte es ſo dahin,
wo Sie es gefunden haben.
Sie blieb hierauf wohl eine halbe Stunde in tiefen Ge-
danken ſitzen; und man ſahe es ihr recht an, wie ſie in
der unruhigſten Erwartung bey jedem Geraͤuſche aufhoͤrte,
ob Ew. Gnaden auch kaͤmen. Endlich aber, wie es ihr
zu lange waͤhrete, klagte ſie uͤber Herzklopfen, und ich
muſte ihr erſt ein Glaß Waſſer, hernach aber ihr den klei-
nen Junker holen, mit welchem ſie nun ſchon zwey Stun-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Für das DTA wurde die „Neue verbesserte und verme… [mehr]
Für das DTA wurde die „Neue verbesserte und vermehrte Auflage“ des 3. Teils von Justus Mösers „Patriotischen Phantasien“ zur Digitalisierung ausgewählt. Sie erschien 1778, also im selben Jahr wie die Erstauflage dieses Bandes, und ist bis S. 260 seitenidentisch mit dieser. Die Abschnitte LX („Gedanken über den westphälischen Leibeigenthum“) bis LXVIII („Gedanken über den Stillestand der Leibeignen“) sind Ergänzungen gegenüber der ersten Auflage.
Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/35>, abgerufen am 23.11.2024.
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