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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778.

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Betrachtungen über die Abäusserungs
gemeinen Regeln für alle Fälle erheben kann. Dem sey
nun aber wie ihm wolle: so ist die Betrachtung der Ab-
äusserungsursachen, womit sich jetzt unter uns die größten
Männer beschäftigen, eine der wichtigsten für den Staat,
dessen Wohlfahrt nothwendig sehr darunter leidet, wenn
schlechte Wirthe auf den Höfen, ihren Ackerbau versäumen,
ihr Gehölze verderben, ihre Spannung vermindern, ihren
Viehstapel schwächen, und weder Muth noch Kräfte zu
neuen Unternehmungen und Verbesserungen besitzen. Wie
mancher Hof würde doppelte Früchte tragen, wenn statt
des jetzigen faulen Geblüts, oder statt der schwachen Heuer-
leute ein froher arbeitsamer und vermögender Wirth darauf
gesetzet würde?

Allein diese Betrachtungen werden nie das rechte Ziel
treffen, so lange man blos bey dem Eigenbehörigen stehen
bleibt, und sich durch diese Einschränkung den ganzen Ge-
sichtspunkt, worinn die Sache betrachtet werden muß, ver-
dirbt. Die Abäusserung hat mit der Leibeigenschaft nicht
so viel gemein als man glaubt. Sie ist die Verbannung
eines unwürdigen Mitgliedes aus der Reihepflichtigen
Gesellschaft
, und dieses Mitglied mag Rittereigen oder
Hofhörig, Churmündig oder Nothfrey, ja es mag der ur-
sprüngliche Eigenthümer des unterhabenden Hofes seyn:
so muß es abgeäussert werden können, so bald es den Be-
dingungen zuwider handelt, welche die reihepflichtige Ge-
sellschaft zu ihrer Erhaltung und Vertheidigung eingegan-
gen ist, und eingehen müssen.

Man setze nur einen Augenblick den Fall, daß hundert
Höfe einen kleinen Staat ausmachen, der seine öffentliche
Lasten hat; und daß die Hälfte davon mit Leibeignen, die
andre Hälfte aber mit Freyen besetzet seyn. Werden hier
die Leibeignen den Freyen gestatten können.

a) ihre

Betrachtungen uͤber die Abaͤuſſerungs
gemeinen Regeln fuͤr alle Faͤlle erheben kann. Dem ſey
nun aber wie ihm wolle: ſo iſt die Betrachtung der Ab-
aͤuſſerungsurſachen, womit ſich jetzt unter uns die groͤßten
Maͤnner beſchaͤftigen, eine der wichtigſten fuͤr den Staat,
deſſen Wohlfahrt nothwendig ſehr darunter leidet, wenn
ſchlechte Wirthe auf den Hoͤfen, ihren Ackerbau verſaͤumen,
ihr Gehoͤlze verderben, ihre Spannung vermindern, ihren
Viehſtapel ſchwaͤchen, und weder Muth noch Kraͤfte zu
neuen Unternehmungen und Verbeſſerungen beſitzen. Wie
mancher Hof wuͤrde doppelte Fruͤchte tragen, wenn ſtatt
des jetzigen faulen Gebluͤts, oder ſtatt der ſchwachen Heuer-
leute ein froher arbeitſamer und vermoͤgender Wirth darauf
geſetzet wuͤrde?

Allein dieſe Betrachtungen werden nie das rechte Ziel
treffen, ſo lange man blos bey dem Eigenbehoͤrigen ſtehen
bleibt, und ſich durch dieſe Einſchraͤnkung den ganzen Ge-
ſichtspunkt, worinn die Sache betrachtet werden muß, ver-
dirbt. Die Abaͤuſſerung hat mit der Leibeigenſchaft nicht
ſo viel gemein als man glaubt. Sie iſt die Verbannung
eines unwuͤrdigen Mitgliedes aus der Reihepflichtigen
Geſellſchaft
, und dieſes Mitglied mag Rittereigen oder
Hofhoͤrig, Churmuͤndig oder Nothfrey, ja es mag der ur-
ſpruͤngliche Eigenthuͤmer des unterhabenden Hofes ſeyn:
ſo muß es abgeaͤuſſert werden koͤnnen, ſo bald es den Be-
dingungen zuwider handelt, welche die reihepflichtige Ge-
ſellſchaft zu ihrer Erhaltung und Vertheidigung eingegan-
gen iſt, und eingehen muͤſſen.

Man ſetze nur einen Augenblick den Fall, daß hundert
Hoͤfe einen kleinen Staat ausmachen, der ſeine oͤffentliche
Laſten hat; und daß die Haͤlfte davon mit Leibeignen, die
andre Haͤlfte aber mit Freyen beſetzet ſeyn. Werden hier
die Leibeignen den Freyen geſtatten koͤnnen.

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[324/0338] Betrachtungen uͤber die Abaͤuſſerungs gemeinen Regeln fuͤr alle Faͤlle erheben kann. Dem ſey nun aber wie ihm wolle: ſo iſt die Betrachtung der Ab- aͤuſſerungsurſachen, womit ſich jetzt unter uns die groͤßten Maͤnner beſchaͤftigen, eine der wichtigſten fuͤr den Staat, deſſen Wohlfahrt nothwendig ſehr darunter leidet, wenn ſchlechte Wirthe auf den Hoͤfen, ihren Ackerbau verſaͤumen, ihr Gehoͤlze verderben, ihre Spannung vermindern, ihren Viehſtapel ſchwaͤchen, und weder Muth noch Kraͤfte zu neuen Unternehmungen und Verbeſſerungen beſitzen. Wie mancher Hof wuͤrde doppelte Fruͤchte tragen, wenn ſtatt des jetzigen faulen Gebluͤts, oder ſtatt der ſchwachen Heuer- leute ein froher arbeitſamer und vermoͤgender Wirth darauf geſetzet wuͤrde? Allein dieſe Betrachtungen werden nie das rechte Ziel treffen, ſo lange man blos bey dem Eigenbehoͤrigen ſtehen bleibt, und ſich durch dieſe Einſchraͤnkung den ganzen Ge- ſichtspunkt, worinn die Sache betrachtet werden muß, ver- dirbt. Die Abaͤuſſerung hat mit der Leibeigenſchaft nicht ſo viel gemein als man glaubt. Sie iſt die Verbannung eines unwuͤrdigen Mitgliedes aus der Reihepflichtigen Geſellſchaft, und dieſes Mitglied mag Rittereigen oder Hofhoͤrig, Churmuͤndig oder Nothfrey, ja es mag der ur- ſpruͤngliche Eigenthuͤmer des unterhabenden Hofes ſeyn: ſo muß es abgeaͤuſſert werden koͤnnen, ſo bald es den Be- dingungen zuwider handelt, welche die reihepflichtige Ge- ſellſchaft zu ihrer Erhaltung und Vertheidigung eingegan- gen iſt, und eingehen muͤſſen. Man ſetze nur einen Augenblick den Fall, daß hundert Hoͤfe einen kleinen Staat ausmachen, der ſeine oͤffentliche Laſten hat; und daß die Haͤlfte davon mit Leibeignen, die andre Haͤlfte aber mit Freyen beſetzet ſeyn. Werden hier die Leibeignen den Freyen geſtatten koͤnnen. a) ihre

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778, S. 324. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/338>, abgerufen am 24.11.2024.