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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778.

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Nichts ist schädlicher
führen lassen. Nun, dachte ich, zu einer solchen Stätte,
die so ungern verlassen wird, sollen sich gewiß tausend Lieb-
haber finden. Aber es fand sich schlechterdings kein ein-
ziger. Die Liebe des Geblüts zu dem elterlichen Gute ist
eine edle Leidenschaft, aber unsre Vorfahren haben nicht
daran gedacht, sie zu unterhalten. Sie haben ihre eignen
Güter zu Stamm- und Fideicommißgutern gemacht, aber
die Fideicommisse des Staats zu Grunde gehen lassen. Sie
haben sich der Verschuldung der Höfe nicht kräftig genug
widersetzt; sie haben solche vielmehr durch schwere Auslo-
bungen begünstiget; sie haben der Willkühr von einigen
kein genugsames Ziel gesetzet, und nun muß der beste gleich
dem schlechtesten darunter leiden. Vordem suchten die reich-
sten Heuerleute Leibeigne zu werden, um nur auf einen
Hof zu kommen. Jetzt, da sie ganze Höfe zur Miethe er-
langen können, finden sie ihre Rechnung weit besser, wenn
sie sich zur Heuer setzen, und uns am Ende des Jahrs mit
Rechnungen bezahlen.

Wir thun wahrlich unrecht, versetzte ein Alter, daß
wir uns über unsre Vorfahren beschweren; da wir selbst
den Mißbräuchen kein Ziel setzen. Ich habe einen Hof,
wovon 9 Kinder auszusteuren sind: jedes erhält jährlich
den ganzen Ueberschuß des Erbes, und diese Abgift wird
noch zwey und zwanzig Jahr währen. Immittelst ist mei-
nem Bauren sein bestes Pferd gefallen; und er hat daher,
weil er sich ein anders anschaffen müssen, in diesem Jahre
den Ueberschuß wie gewöhnlich nicht abliefern können. Was
meynen Sie, daß der Richter gethan? Er hat ihm zwey
Pferde pfänden und solche verkaufen lassen, um den Ueber-
schuß zu ermächtigen. Herr! sagte ich zu ihm, und faßte
ihn beym Knopf, der Henker pfände ihm das Herz aus
dem Leibe, und dann gehe Er und richte. Er schwur

mir

Nichts iſt ſchaͤdlicher
fuͤhren laſſen. Nun, dachte ich, zu einer ſolchen Staͤtte,
die ſo ungern verlaſſen wird, ſollen ſich gewiß tauſend Lieb-
haber finden. Aber es fand ſich ſchlechterdings kein ein-
ziger. Die Liebe des Gebluͤts zu dem elterlichen Gute iſt
eine edle Leidenſchaft, aber unſre Vorfahren haben nicht
daran gedacht, ſie zu unterhalten. Sie haben ihre eignen
Guͤter zu Stamm- und Fideicommißgůtern gemacht, aber
die Fideicommiſſe des Staats zu Grunde gehen laſſen. Sie
haben ſich der Verſchuldung der Hoͤfe nicht kraͤftig genug
widerſetzt; ſie haben ſolche vielmehr durch ſchwere Auslo-
bungen beguͤnſtiget; ſie haben der Willkuͤhr von einigen
kein genugſames Ziel geſetzet, und nun muß der beſte gleich
dem ſchlechteſten darunter leiden. Vordem ſuchten die reich-
ſten Heuerleute Leibeigne zu werden, um nur auf einen
Hof zu kommen. Jetzt, da ſie ganze Hoͤfe zur Miethe er-
langen koͤnnen, finden ſie ihre Rechnung weit beſſer, wenn
ſie ſich zur Heuer ſetzen, und uns am Ende des Jahrs mit
Rechnungen bezahlen.

Wir thun wahrlich unrecht, verſetzte ein Alter, daß
wir uns uͤber unſre Vorfahren beſchweren; da wir ſelbſt
den Mißbraͤuchen kein Ziel ſetzen. Ich habe einen Hof,
wovon 9 Kinder auszuſteuren ſind: jedes erhaͤlt jaͤhrlich
den ganzen Ueberſchuß des Erbes, und dieſe Abgift wird
noch zwey und zwanzig Jahr waͤhren. Immittelſt iſt mei-
nem Bauren ſein beſtes Pferd gefallen; und er hat daher,
weil er ſich ein anders anſchaffen muͤſſen, in dieſem Jahre
den Ueberſchuß wie gewoͤhnlich nicht abliefern koͤnnen. Was
meynen Sie, daß der Richter gethan? Er hat ihm zwey
Pferde pfaͤnden und ſolche verkaufen laſſen, um den Ueber-
ſchuß zu ermaͤchtigen. Herr! ſagte ich zu ihm, und faßte
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dem Leibe, und dann gehe Er und richte. Er ſchwur

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[280/0294] Nichts iſt ſchaͤdlicher fuͤhren laſſen. Nun, dachte ich, zu einer ſolchen Staͤtte, die ſo ungern verlaſſen wird, ſollen ſich gewiß tauſend Lieb- haber finden. Aber es fand ſich ſchlechterdings kein ein- ziger. Die Liebe des Gebluͤts zu dem elterlichen Gute iſt eine edle Leidenſchaft, aber unſre Vorfahren haben nicht daran gedacht, ſie zu unterhalten. Sie haben ihre eignen Guͤter zu Stamm- und Fideicommißgůtern gemacht, aber die Fideicommiſſe des Staats zu Grunde gehen laſſen. Sie haben ſich der Verſchuldung der Hoͤfe nicht kraͤftig genug widerſetzt; ſie haben ſolche vielmehr durch ſchwere Auslo- bungen beguͤnſtiget; ſie haben der Willkuͤhr von einigen kein genugſames Ziel geſetzet, und nun muß der beſte gleich dem ſchlechteſten darunter leiden. Vordem ſuchten die reich- ſten Heuerleute Leibeigne zu werden, um nur auf einen Hof zu kommen. Jetzt, da ſie ganze Hoͤfe zur Miethe er- langen koͤnnen, finden ſie ihre Rechnung weit beſſer, wenn ſie ſich zur Heuer ſetzen, und uns am Ende des Jahrs mit Rechnungen bezahlen. Wir thun wahrlich unrecht, verſetzte ein Alter, daß wir uns uͤber unſre Vorfahren beſchweren; da wir ſelbſt den Mißbraͤuchen kein Ziel ſetzen. Ich habe einen Hof, wovon 9 Kinder auszuſteuren ſind: jedes erhaͤlt jaͤhrlich den ganzen Ueberſchuß des Erbes, und dieſe Abgift wird noch zwey und zwanzig Jahr waͤhren. Immittelſt iſt mei- nem Bauren ſein beſtes Pferd gefallen; und er hat daher, weil er ſich ein anders anſchaffen muͤſſen, in dieſem Jahre den Ueberſchuß wie gewoͤhnlich nicht abliefern koͤnnen. Was meynen Sie, daß der Richter gethan? Er hat ihm zwey Pferde pfaͤnden und ſolche verkaufen laſſen, um den Ueber- ſchuß zu ermaͤchtigen. Herr! ſagte ich zu ihm, und faßte ihn beym Knopf, der Henker pfaͤnde ihm das Herz aus dem Leibe, und dann gehe Er und richte. Er ſchwur mir

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778, S. 280. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/294>, abgerufen am 28.11.2024.