LXI. Nichts ist schädlicher als die überhandneh- mende Ausheurung der Bauerhöfe.
Ich habe mich in meinen Gedanken mehrmalen ins künf- tige Jahrhundert versetzt, und mich in die Versamm- lungen unsrer Urenkel begeben, um zu hören, worüber sie sich am mehrsten beschwerten, und was manche Sache nach ihrem jetzigen Laufe für ein Ziel erreichet hätte. Das erste, was ich hörete, war dieses:
"Es ist unbegreiflich, warum unsre Vorfahren die Ho- fesbesatzung so sehr vernachläßiget, und den Grund zu dem verwünschten Heuerwesen gelegt haben. Anstatt unsre Pächte zu bekommen, werden wir durch Rechnungen ge- plündert. Da hat die Kriegesfuhr so vieles gekostet; hier hat der Reuter so viel verfressen; das haben die Lieferungen weggenommen; jenes die feindlichen Erpressungen oder die Gerichtskosten. Nun sind die Häuser eingefallen; die Heuerleute haben zum Theil das Holz gestohlen, zum Theil aber nicht wieder nachgepflanzt; wo soll man die Kosten hernehmen? Eine zehnjährige Aufopferung unserer Pächte verschlägt nichts; und wenn man einen Hof zur Erbpacht austhun will, so ist niemand, der ihn annehmen mag. Den mehrsten fehlt es an Mitteln, einen Hof, worauf die Gebäude den Einsturz drohen, und dessen Aecker mit star- ker Hand angegriffen werden müssen, anzufassen; und die- jenigen, so es wohl thun könnten, wollen sich theils unse- rer Willkühr nicht unterwerfen; theils aber finden sie sich besser dabey, wenn sie die Ländereyen zur Heuer nutzen und uns die Lasten tragen lassen. Die Gerichte und die Vögte sind fast die einzigen Herrn unserer Höfe. Jene schützen
den
Nichts iſt ſchaͤdlicher
LXI. Nichts iſt ſchaͤdlicher als die uͤberhandneh- mende Ausheurung der Bauerhoͤfe.
Ich habe mich in meinen Gedanken mehrmalen ins kuͤnf- tige Jahrhundert verſetzt, und mich in die Verſamm- lungen unſrer Urenkel begeben, um zu hoͤren, woruͤber ſie ſich am mehrſten beſchwerten, und was manche Sache nach ihrem jetzigen Laufe fuͤr ein Ziel erreichet haͤtte. Das erſte, was ich hoͤrete, war dieſes:
„Es iſt unbegreiflich, warum unſre Vorfahren die Ho- fesbeſatzung ſo ſehr vernachlaͤßiget, und den Grund zu dem verwuͤnſchten Heuerweſen gelegt haben. Anſtatt unſre Paͤchte zu bekommen, werden wir durch Rechnungen ge- pluͤndert. Da hat die Kriegesfuhr ſo vieles gekoſtet; hier hat der Reuter ſo viel verfreſſen; das haben die Lieferungen weggenommen; jenes die feindlichen Erpreſſungen oder die Gerichtskoſten. Nun ſind die Haͤuſer eingefallen; die Heuerleute haben zum Theil das Holz geſtohlen, zum Theil aber nicht wieder nachgepflanzt; wo ſoll man die Koſten hernehmen? Eine zehnjaͤhrige Aufopferung unſerer Paͤchte verſchlaͤgt nichts; und wenn man einen Hof zur Erbpacht austhun will, ſo iſt niemand, der ihn annehmen mag. Den mehrſten fehlt es an Mitteln, einen Hof, worauf die Gebaͤude den Einſturz drohen, und deſſen Aecker mit ſtar- ker Hand angegriffen werden muͤſſen, anzufaſſen; und die- jenigen, ſo es wohl thun koͤnnten, wollen ſich theils unſe- rer Willkuͤhr nicht unterwerfen; theils aber finden ſie ſich beſſer dabey, wenn ſie die Laͤndereyen zur Heuer nutzen und uns die Laſten tragen laſſen. Die Gerichte und die Voͤgte ſind faſt die einzigen Herrn unſerer Hoͤfe. Jene ſchuͤtzen
den
<TEI><text><body><pbfacs="#f0292"n="278"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Nichts iſt ſchaͤdlicher</hi></fw><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><divn="1"><head><hirendition="#b"><hirendition="#aq">LXI.</hi><lb/>
Nichts iſt ſchaͤdlicher als die uͤberhandneh-<lb/>
mende Ausheurung der Bauerhoͤfe.</hi></head><lb/><p>Ich habe mich in meinen Gedanken mehrmalen ins kuͤnf-<lb/>
tige Jahrhundert verſetzt, und mich in die Verſamm-<lb/>
lungen unſrer Urenkel begeben, um zu hoͤren, woruͤber ſie<lb/>ſich am mehrſten beſchwerten, und was manche Sache nach<lb/>
ihrem jetzigen Laufe fuͤr ein Ziel erreichet haͤtte. Das erſte,<lb/>
was ich hoͤrete, war dieſes:</p><lb/><p>„Es iſt unbegreiflich, warum unſre Vorfahren die Ho-<lb/>
fesbeſatzung ſo ſehr vernachlaͤßiget, und den Grund zu dem<lb/>
verwuͤnſchten Heuerweſen gelegt haben. Anſtatt unſre<lb/>
Paͤchte zu bekommen, werden wir durch Rechnungen ge-<lb/>
pluͤndert. Da hat die Kriegesfuhr ſo vieles gekoſtet; hier<lb/>
hat der Reuter ſo viel verfreſſen; das haben die Lieferungen<lb/>
weggenommen; jenes die feindlichen Erpreſſungen oder die<lb/>
Gerichtskoſten. Nun ſind die Haͤuſer eingefallen; die<lb/>
Heuerleute haben zum Theil das Holz geſtohlen, zum Theil<lb/>
aber nicht wieder nachgepflanzt; wo ſoll man die Koſten<lb/>
hernehmen? Eine zehnjaͤhrige Aufopferung unſerer Paͤchte<lb/>
verſchlaͤgt nichts; und wenn man einen Hof zur Erbpacht<lb/>
austhun will, ſo iſt niemand, der ihn annehmen mag.<lb/>
Den mehrſten fehlt es an Mitteln, einen Hof, worauf die<lb/>
Gebaͤude den Einſturz drohen, und deſſen Aecker mit ſtar-<lb/>
ker Hand angegriffen werden muͤſſen, anzufaſſen; und die-<lb/>
jenigen, ſo es wohl thun koͤnnten, wollen ſich theils unſe-<lb/>
rer Willkuͤhr nicht unterwerfen; theils aber finden ſie ſich<lb/>
beſſer dabey, wenn ſie die Laͤndereyen zur Heuer nutzen und<lb/>
uns die Laſten tragen laſſen. Die Gerichte und die Voͤgte<lb/>ſind faſt die einzigen Herrn unſerer Hoͤfe. Jene ſchuͤtzen<lb/><fwplace="bottom"type="catch">den</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[278/0292]
Nichts iſt ſchaͤdlicher
LXI.
Nichts iſt ſchaͤdlicher als die uͤberhandneh-
mende Ausheurung der Bauerhoͤfe.
Ich habe mich in meinen Gedanken mehrmalen ins kuͤnf-
tige Jahrhundert verſetzt, und mich in die Verſamm-
lungen unſrer Urenkel begeben, um zu hoͤren, woruͤber ſie
ſich am mehrſten beſchwerten, und was manche Sache nach
ihrem jetzigen Laufe fuͤr ein Ziel erreichet haͤtte. Das erſte,
was ich hoͤrete, war dieſes:
„Es iſt unbegreiflich, warum unſre Vorfahren die Ho-
fesbeſatzung ſo ſehr vernachlaͤßiget, und den Grund zu dem
verwuͤnſchten Heuerweſen gelegt haben. Anſtatt unſre
Paͤchte zu bekommen, werden wir durch Rechnungen ge-
pluͤndert. Da hat die Kriegesfuhr ſo vieles gekoſtet; hier
hat der Reuter ſo viel verfreſſen; das haben die Lieferungen
weggenommen; jenes die feindlichen Erpreſſungen oder die
Gerichtskoſten. Nun ſind die Haͤuſer eingefallen; die
Heuerleute haben zum Theil das Holz geſtohlen, zum Theil
aber nicht wieder nachgepflanzt; wo ſoll man die Koſten
hernehmen? Eine zehnjaͤhrige Aufopferung unſerer Paͤchte
verſchlaͤgt nichts; und wenn man einen Hof zur Erbpacht
austhun will, ſo iſt niemand, der ihn annehmen mag.
Den mehrſten fehlt es an Mitteln, einen Hof, worauf die
Gebaͤude den Einſturz drohen, und deſſen Aecker mit ſtar-
ker Hand angegriffen werden muͤſſen, anzufaſſen; und die-
jenigen, ſo es wohl thun koͤnnten, wollen ſich theils unſe-
rer Willkuͤhr nicht unterwerfen; theils aber finden ſie ſich
beſſer dabey, wenn ſie die Laͤndereyen zur Heuer nutzen und
uns die Laſten tragen laſſen. Die Gerichte und die Voͤgte
ſind faſt die einzigen Herrn unſerer Hoͤfe. Jene ſchuͤtzen
den
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Für das DTA wurde die „Neue verbesserte und verme… [mehr]
Für das DTA wurde die „Neue verbesserte und vermehrte Auflage“ des 3. Teils von Justus Mösers „Patriotischen Phantasien“ zur Digitalisierung ausgewählt. Sie erschien 1778, also im selben Jahr wie die Erstauflage dieses Bandes, und ist bis S. 260 seitenidentisch mit dieser. Die Abschnitte LX („Gedanken über den westphälischen Leibeigenthum“) bis LXVIII („Gedanken über den Stillestand der Leibeignen“) sind Ergänzungen gegenüber der ersten Auflage.
Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778, S. 278. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/292>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.