Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778.

Bild:
<< vorherige Seite

über den westphälischen Leibeigenthum.
Leibeigner. Aber hier müssen wir erst die alte sächsische Ver-
fassung näher betrachten.

Es ist unglaublich, aber ein aufmerksamer Leser der deut-
schen Gesetze fühlet es, wie sehr der menschliche Verstand
gearbeitet habe, diese Sachen zu ordnen, ehe und bevor
man Unterthanen im heutigen Verstande oder eine Hoheit
erfunden hat, die sich auf den Boden des Landes und nicht
mehr auf die Köpfe der Eingesessenen bezieht. Indessen ha-
ben es die Sachsen a) hierinn allen Nationen und selbst
den Römern zuvorgethan, daß sie eine Art von Menschen
erfunden haben, die zweydrittel Leibeigen und eindrittel Frey
seyn sollten b). Sie hiessen solche Litos und Litones, wo-
von die heutige Benennung von Leuten ihren Ursprung hat.
Man kann sich schwerlich eine feinere Theorie gedenken.
Denn der Mann der ein drittel Freyheit hat, ist doch nun-
mehr im Stande einen Contrakt zu schliessen; etwas Echt-
und Recht zu haben, für ein drittel Eigenthum c) zu be-
sitzen, und solchergestalt auch für ein drittel ein Mitglied
des Staats zu seyn. Er hat zugleich seinen ganzen Leib ge-
gen die Willkühr seines Herrn gesichert, weil man nicht auf
zwey drittel geschlagen werden kann, ohne daß nicht das

dritte
a) Die sächsische Nation ist die einzige gewesen, welche die Men-
schen in vier Classen, nemlich in Edle, gemeine Eigenthümer,
zweydrittel Knechte und ganze Knechte eingetheilet hat.
b) De Lito occiso duae tertiae compositionis cedunt domino, una
tertia propinquis. V. Lex. Fris. Tit. I.
§. 3. Die Folge zieht
sich von selbst.
c) Es ist vermuthlich noch eine Folge hievon, daß man später
den Leibeignen indirecte zugestanden hat, ein Drittel ihres Guts
zu verschulden, indem sie nicht eher abgeäussert werden, als bis
sie dieses Drittel überschritten haben.
Mös. patr. Phant. III. Th. S

uͤber den weſtphaͤliſchen Leibeigenthum.
Leibeigner. Aber hier muͤſſen wir erſt die alte ſaͤchſiſche Ver-
faſſung naͤher betrachten.

Es iſt unglaublich, aber ein aufmerkſamer Leſer der deut-
ſchen Geſetze fuͤhlet es, wie ſehr der menſchliche Verſtand
gearbeitet habe, dieſe Sachen zu ordnen, ehe und bevor
man Unterthanen im heutigen Verſtande oder eine Hoheit
erfunden hat, die ſich auf den Boden des Landes und nicht
mehr auf die Koͤpfe der Eingeſeſſenen bezieht. Indeſſen ha-
ben es die Sachſen a) hierinn allen Nationen und ſelbſt
den Roͤmern zuvorgethan, daß ſie eine Art von Menſchen
erfunden haben, die zweydrittel Leibeigen und eindrittel Frey
ſeyn ſollten b). Sie hieſſen ſolche Litos und Litones, wo-
von die heutige Benennung von Leuten ihren Urſprung hat.
Man kann ſich ſchwerlich eine feinere Theorie gedenken.
Denn der Mann der ein drittel Freyheit hat, iſt doch nun-
mehr im Stande einen Contrakt zu ſchlieſſen; etwas Echt-
und Recht zu haben, fuͤr ein drittel Eigenthum c) zu be-
ſitzen, und ſolchergeſtalt auch fuͤr ein drittel ein Mitglied
des Staats zu ſeyn. Er hat zugleich ſeinen ganzen Leib ge-
gen die Willkuͤhr ſeines Herrn geſichert, weil man nicht auf
zwey drittel geſchlagen werden kann, ohne daß nicht das

dritte
a) Die ſaͤchſiſche Nation iſt die einzige geweſen, welche die Men-
ſchen in vier Claſſen, nemlich in Edle, gemeine Eigenthuͤmer,
zweydrittel Knechte und ganze Knechte eingetheilet hat.
b) De Lito occiſo duæ tertiæ compoſitionis cedunt domino, una
tertia propinquis. V. Lex. Friſ. Tit. I.
§. 3. Die Folge zieht
ſich von ſelbſt.
c) Es iſt vermuthlich noch eine Folge hievon, daß man ſpaͤter
den Leibeignen indirecte zugeſtanden hat, ein Drittel ihres Guts
zu verſchulden, indem ſie nicht eher abgeaͤuſſert werden, als bis
ſie dieſes Drittel uͤberſchritten haben.
Moͤſ. patr. Phant. III. Th. S
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0287" n="273"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">u&#x0364;ber den we&#x017F;tpha&#x0364;li&#x017F;chen Leibeigenthum.</hi></fw><lb/>
Leibeigner. Aber hier mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en wir er&#x017F;t die alte &#x017F;a&#x0364;ch&#x017F;i&#x017F;che Ver-<lb/>
fa&#x017F;&#x017F;ung na&#x0364;her betrachten.</p><lb/>
        <p>Es i&#x017F;t unglaublich, aber ein aufmerk&#x017F;amer Le&#x017F;er der deut-<lb/>
&#x017F;chen Ge&#x017F;etze fu&#x0364;hlet es, wie &#x017F;ehr der men&#x017F;chliche Ver&#x017F;tand<lb/>
gearbeitet habe, die&#x017F;e Sachen zu ordnen, ehe und bevor<lb/>
man Unterthanen im heutigen Ver&#x017F;tande oder eine <hi rendition="#fr">Hoheit</hi><lb/>
erfunden hat, die &#x017F;ich auf den Boden des <hi rendition="#fr">Landes</hi> und nicht<lb/>
mehr auf die Ko&#x0364;pfe der Einge&#x017F;e&#x017F;&#x017F;enen bezieht. Inde&#x017F;&#x017F;en ha-<lb/>
ben es die Sach&#x017F;en <note place="foot" n="a)">Die &#x017F;a&#x0364;ch&#x017F;i&#x017F;che Nation i&#x017F;t die einzige gewe&#x017F;en, welche die Men-<lb/>
&#x017F;chen in vier Cla&#x017F;&#x017F;en, nemlich in Edle, gemeine Eigenthu&#x0364;mer,<lb/>
zweydrittel Knechte und ganze Knechte eingetheilet hat.</note> hierinn allen Nationen und &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
den Ro&#x0364;mern zuvorgethan, daß &#x017F;ie eine Art von Men&#x017F;chen<lb/>
erfunden haben, die zweydrittel Leibeigen und eindrittel Frey<lb/>
&#x017F;eyn &#x017F;ollten <note place="foot" n="b)"><hi rendition="#aq">De Lito occi&#x017F;o duæ tertiæ compo&#x017F;itionis cedunt domino, una<lb/>
tertia propinquis. V. Lex. Fri&#x017F;. Tit. I.</hi> §. 3. Die Folge zieht<lb/>
&#x017F;ich von &#x017F;elb&#x017F;t.</note>. Sie hie&#x017F;&#x017F;en &#x017F;olche <hi rendition="#aq">Litos</hi> und <hi rendition="#aq">Litones,</hi> wo-<lb/>
von die heutige Benennung von <hi rendition="#fr">Leuten</hi> ihren Ur&#x017F;prung hat.<lb/>
Man kann &#x017F;ich &#x017F;chwerlich eine feinere Theorie gedenken.<lb/>
Denn der Mann der ein drittel Freyheit hat, i&#x017F;t doch nun-<lb/>
mehr im Stande einen Contrakt zu &#x017F;chlie&#x017F;&#x017F;en; etwas Echt-<lb/>
und Recht zu haben, fu&#x0364;r ein drittel Eigenthum <note place="foot" n="c)">Es i&#x017F;t vermuthlich noch eine Folge hievon, daß man &#x017F;pa&#x0364;ter<lb/>
den Leibeignen <hi rendition="#aq">indirecte</hi> zuge&#x017F;tanden hat, ein Drittel ihres Guts<lb/>
zu ver&#x017F;chulden, indem &#x017F;ie nicht eher abgea&#x0364;u&#x017F;&#x017F;ert werden, als bis<lb/>
&#x017F;ie die&#x017F;es Drittel u&#x0364;ber&#x017F;chritten haben.</note> zu be-<lb/>
&#x017F;itzen, und &#x017F;olcherge&#x017F;talt auch fu&#x0364;r ein drittel ein Mitglied<lb/>
des Staats zu &#x017F;eyn. Er hat zugleich &#x017F;einen ganzen Leib ge-<lb/>
gen die Willku&#x0364;hr &#x017F;eines Herrn ge&#x017F;ichert, weil man nicht auf<lb/>
zwey drittel ge&#x017F;chlagen werden kann, ohne daß nicht das<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">dritte</fw><lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#fr">Mo&#x0364;&#x017F;. patr. Phant.</hi><hi rendition="#aq">III.</hi><hi rendition="#fr">Th.</hi> S</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[273/0287] uͤber den weſtphaͤliſchen Leibeigenthum. Leibeigner. Aber hier muͤſſen wir erſt die alte ſaͤchſiſche Ver- faſſung naͤher betrachten. Es iſt unglaublich, aber ein aufmerkſamer Leſer der deut- ſchen Geſetze fuͤhlet es, wie ſehr der menſchliche Verſtand gearbeitet habe, dieſe Sachen zu ordnen, ehe und bevor man Unterthanen im heutigen Verſtande oder eine Hoheit erfunden hat, die ſich auf den Boden des Landes und nicht mehr auf die Koͤpfe der Eingeſeſſenen bezieht. Indeſſen ha- ben es die Sachſen a) hierinn allen Nationen und ſelbſt den Roͤmern zuvorgethan, daß ſie eine Art von Menſchen erfunden haben, die zweydrittel Leibeigen und eindrittel Frey ſeyn ſollten b). Sie hieſſen ſolche Litos und Litones, wo- von die heutige Benennung von Leuten ihren Urſprung hat. Man kann ſich ſchwerlich eine feinere Theorie gedenken. Denn der Mann der ein drittel Freyheit hat, iſt doch nun- mehr im Stande einen Contrakt zu ſchlieſſen; etwas Echt- und Recht zu haben, fuͤr ein drittel Eigenthum c) zu be- ſitzen, und ſolchergeſtalt auch fuͤr ein drittel ein Mitglied des Staats zu ſeyn. Er hat zugleich ſeinen ganzen Leib ge- gen die Willkuͤhr ſeines Herrn geſichert, weil man nicht auf zwey drittel geſchlagen werden kann, ohne daß nicht das dritte a) Die ſaͤchſiſche Nation iſt die einzige geweſen, welche die Men- ſchen in vier Claſſen, nemlich in Edle, gemeine Eigenthuͤmer, zweydrittel Knechte und ganze Knechte eingetheilet hat. b) De Lito occiſo duæ tertiæ compoſitionis cedunt domino, una tertia propinquis. V. Lex. Friſ. Tit. I. §. 3. Die Folge zieht ſich von ſelbſt. c) Es iſt vermuthlich noch eine Folge hievon, daß man ſpaͤter den Leibeignen indirecte zugeſtanden hat, ein Drittel ihres Guts zu verſchulden, indem ſie nicht eher abgeaͤuſſert werden, als bis ſie dieſes Drittel uͤberſchritten haben. Moͤſ. patr. Phant. III. Th. S

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Für das DTA wurde die „Neue verbesserte und verme… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/287
Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778, S. 273. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/287>, abgerufen am 24.11.2024.