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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778.

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Also kann man der Mode

Tugend, Vernunft und Muth haben unstreitig ihren
großen Werth, und ich verehre sie von ganzen Herzen.
Aber sie müssen im innerlichen bleiben, und sich keiner Herr-
schaft über die Mode anmaßen, sie müssen nicht in die Au-
gen fallen, nicht öffentlich herrschen und sich nicht in die
grosse Oekonomie des brillanten, galanten und magnifiquen
Lebens mischen wollen. Ihre stille Wohnung ist die Seele,
welche sich gar wohl in der Abend- und Morgenstunde ei-
nem frommen Gedanken überlassen kann, aber diese from-
men Gedanken nicht einmal mit an den Nachttisch bringen
muß. Dieses sind ausgemachte Wahrheiten, wogegen eine
Person von feiner Erziehung nicht anstossen kann, ohne
für eine offenbare Närrin, oder, wenn man es fein sagen
will, für eine Spröde gehalten zu werden, welche aus Noth
den kleinen Mund macht.

Hätten Sie so gewiß 30 Jahr als Sie zwanzig ha-
ben, so würde Ihnen einige Zurückhaltung wohl anstehen,
und zu einer Art von Verdienst angerechnet werden; im
vierzigsten Jahre erlaubte man Ihnen auch durch Vernunft
und Verstand zu glänzen, und höher hinauf gehören auch
die Tugenden mit unter die erlaubten Mittel zu gefallen.
Allein in Ihrem Alter kann man so wenig Tugend als Ver-
stand zeigen, ohne daß die Welt solche nicht für Blendun-
gen, Verstellungen und Behelfe ansehe. Der Contrast zwi-
schen der Art der Aufführung in jungen Jahren und irgend
einer ausgehangenen Tugend ist so erschrecklich, daß ich
gar nicht absehe, wie Sie sich auf eine anständige Weise
aus diesem Labyrinthe herausziehen wollen.

Zwar giebt es auch einige feine Tugenden, die auf ge-
wisse Weise mit zum Colorit gehören, und gezeiget werden
dürfen, als das edle Mitleid gegen Unglückliche vom Stan-
de, die Furcht Gottes bey einem entstehenden Gewitter, die

sanfte
Alſo kann man der Mode

Tugend, Vernunft und Muth haben unſtreitig ihren
großen Werth, und ich verehre ſie von ganzen Herzen.
Aber ſie muͤſſen im innerlichen bleiben, und ſich keiner Herr-
ſchaft uͤber die Mode anmaßen, ſie muͤſſen nicht in die Au-
gen fallen, nicht oͤffentlich herrſchen und ſich nicht in die
groſſe Oekonomie des brillanten, galanten und magnifiquen
Lebens miſchen wollen. Ihre ſtille Wohnung iſt die Seele,
welche ſich gar wohl in der Abend- und Morgenſtunde ei-
nem frommen Gedanken uͤberlaſſen kann, aber dieſe from-
men Gedanken nicht einmal mit an den Nachttiſch bringen
muß. Dieſes ſind ausgemachte Wahrheiten, wogegen eine
Perſon von feiner Erziehung nicht anſtoſſen kann, ohne
fuͤr eine offenbare Naͤrrin, oder, wenn man es fein ſagen
will, fuͤr eine Sproͤde gehalten zu werden, welche aus Noth
den kleinen Mund macht.

Haͤtten Sie ſo gewiß 30 Jahr als Sie zwanzig ha-
ben, ſo wuͤrde Ihnen einige Zuruͤckhaltung wohl anſtehen,
und zu einer Art von Verdienſt angerechnet werden; im
vierzigſten Jahre erlaubte man Ihnen auch durch Vernunft
und Verſtand zu glaͤnzen, und hoͤher hinauf gehoͤren auch
die Tugenden mit unter die erlaubten Mittel zu gefallen.
Allein in Ihrem Alter kann man ſo wenig Tugend als Ver-
ſtand zeigen, ohne daß die Welt ſolche nicht fuͤr Blendun-
gen, Verſtellungen und Behelfe anſehe. Der Contraſt zwi-
ſchen der Art der Auffuͤhrung in jungen Jahren und irgend
einer ausgehangenen Tugend iſt ſo erſchrecklich, daß ich
gar nicht abſehe, wie Sie ſich auf eine anſtaͤndige Weiſe
aus dieſem Labyrinthe herausziehen wollen.

Zwar giebt es auch einige feine Tugenden, die auf ge-
wiſſe Weiſe mit zum Colorit gehoͤren, und gezeiget werden
duͤrfen, als das edle Mitleid gegen Ungluͤckliche vom Stan-
de, die Furcht Gottes bey einem entſtehenden Gewitter, die

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[8/0022] Alſo kann man der Mode Tugend, Vernunft und Muth haben unſtreitig ihren großen Werth, und ich verehre ſie von ganzen Herzen. Aber ſie muͤſſen im innerlichen bleiben, und ſich keiner Herr- ſchaft uͤber die Mode anmaßen, ſie muͤſſen nicht in die Au- gen fallen, nicht oͤffentlich herrſchen und ſich nicht in die groſſe Oekonomie des brillanten, galanten und magnifiquen Lebens miſchen wollen. Ihre ſtille Wohnung iſt die Seele, welche ſich gar wohl in der Abend- und Morgenſtunde ei- nem frommen Gedanken uͤberlaſſen kann, aber dieſe from- men Gedanken nicht einmal mit an den Nachttiſch bringen muß. Dieſes ſind ausgemachte Wahrheiten, wogegen eine Perſon von feiner Erziehung nicht anſtoſſen kann, ohne fuͤr eine offenbare Naͤrrin, oder, wenn man es fein ſagen will, fuͤr eine Sproͤde gehalten zu werden, welche aus Noth den kleinen Mund macht. Haͤtten Sie ſo gewiß 30 Jahr als Sie zwanzig ha- ben, ſo wuͤrde Ihnen einige Zuruͤckhaltung wohl anſtehen, und zu einer Art von Verdienſt angerechnet werden; im vierzigſten Jahre erlaubte man Ihnen auch durch Vernunft und Verſtand zu glaͤnzen, und hoͤher hinauf gehoͤren auch die Tugenden mit unter die erlaubten Mittel zu gefallen. Allein in Ihrem Alter kann man ſo wenig Tugend als Ver- ſtand zeigen, ohne daß die Welt ſolche nicht fuͤr Blendun- gen, Verſtellungen und Behelfe anſehe. Der Contraſt zwi- ſchen der Art der Auffuͤhrung in jungen Jahren und irgend einer ausgehangenen Tugend iſt ſo erſchrecklich, daß ich gar nicht abſehe, wie Sie ſich auf eine anſtaͤndige Weiſe aus dieſem Labyrinthe herausziehen wollen. Zwar giebt es auch einige feine Tugenden, die auf ge- wiſſe Weiſe mit zum Colorit gehoͤren, und gezeiget werden duͤrfen, als das edle Mitleid gegen Ungluͤckliche vom Stan- de, die Furcht Gottes bey einem entſtehenden Gewitter, die ſanfte

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/22>, abgerufen am 21.11.2024.