stunden verbieten, weil es sowohl ein Betrug für den Mei- ster als den Bauherrn ist. Vor wenigen Jahren wuste man noch nichts von dieser Mode des Betrugs; aber seit- dem ist sie täglich allgemeiner worden.
XL. Eine Erzählung, wie es viele giebt.
Die Kunst in Gesellschaften zu erzählen, erfordert eine eigne Geschicklichkeit; und sie sollte billig mehr als andere studirt werden, da sie in der That wichtiger ist, und einem öfterer als andre freye Künste zu statten kömmt. Gleichwol wird sie jetzt ganz vernachläßiget, seitdem ge- wisse Leute sie zum Handwerke herabgewürdiget, und die guten Gesellschaften genöthiget haben, ihr den Abschied zu geben. Nur wenige denken daran, wie sie zu einer Erzäh- lung die Anlage machen sollen; um die Erfindung der Wahrheit, welche dadurch gelehrt werden soll, und deren Wichtigkeit fast ihren ganzen Werth entscheidet, bekümmern sie sich am wenigsten; und die Art der Behandlung ist ih- nen fast gleichgültig, da sie nicht einmal vorher überlegen, ob die Wahrheit, so sie vortragen wollen, eine lustige oder ernsthafte Einkleidung erfordere; und doch ist nichts gewis- sers, als daß die gröste Würkung von der Art der Be- handlung abhange. Oft fordert der Gegenstand nur eine leichte Anspielung auf eine schon bekannte Geschichte; oft blos das Resultat oder die Lehre einer Fabel, oft einen spi- tzigen und treffenden Wink, oft eine sanfte und versteckte Lehre, die man angenehmer errathen läßt, als sagt; alle- mal aber eine kurze Erwartung und völlige Befriedigung; welche sich beyde nicht erreichen lassen, wo man nicht be-
stän-
Eine Erzaͤhlung,
ſtunden verbieten, weil es ſowohl ein Betrug fuͤr den Mei- ſter als den Bauherrn iſt. Vor wenigen Jahren wuſte man noch nichts von dieſer Mode des Betrugs; aber ſeit- dem iſt ſie taͤglich allgemeiner worden.
XL. Eine Erzaͤhlung, wie es viele giebt.
Die Kunſt in Geſellſchaften zu erzaͤhlen, erfordert eine eigne Geſchicklichkeit; und ſie ſollte billig mehr als andere ſtudirt werden, da ſie in der That wichtiger iſt, und einem oͤfterer als andre freye Kuͤnſte zu ſtatten koͤmmt. Gleichwol wird ſie jetzt ganz vernachlaͤßiget, ſeitdem ge- wiſſe Leute ſie zum Handwerke herabgewuͤrdiget, und die guten Geſellſchaften genoͤthiget haben, ihr den Abſchied zu geben. Nur wenige denken daran, wie ſie zu einer Erzaͤh- lung die Anlage machen ſollen; um die Erfindung der Wahrheit, welche dadurch gelehrt werden ſoll, und deren Wichtigkeit faſt ihren ganzen Werth entſcheidet, bekuͤmmern ſie ſich am wenigſten; und die Art der Behandlung iſt ih- nen faſt gleichguͤltig, da ſie nicht einmal vorher uͤberlegen, ob die Wahrheit, ſo ſie vortragen wollen, eine luſtige oder ernſthafte Einkleidung erfordere; und doch iſt nichts gewiſ- ſers, als daß die groͤſte Wuͤrkung von der Art der Be- handlung abhange. Oft fordert der Gegenſtand nur eine leichte Anſpielung auf eine ſchon bekannte Geſchichte; oft blos das Reſultat oder die Lehre einer Fabel, oft einen ſpi- tzigen und treffenden Wink, oft eine ſanfte und verſteckte Lehre, die man angenehmer errathen laͤßt, als ſagt; alle- mal aber eine kurze Erwartung und voͤllige Befriedigung; welche ſich beyde nicht erreichen laſſen, wo man nicht be-
ſtaͤn-
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Eine Erzaͤhlung,
ſtunden verbieten, weil es ſowohl ein Betrug fuͤr den Mei-
ſter als den Bauherrn iſt. Vor wenigen Jahren wuſte
man noch nichts von dieſer Mode des Betrugs; aber ſeit-
dem iſt ſie taͤglich allgemeiner worden.
XL.
Eine Erzaͤhlung, wie es viele giebt.
Die Kunſt in Geſellſchaften zu erzaͤhlen, erfordert eine
eigne Geſchicklichkeit; und ſie ſollte billig mehr als
andere ſtudirt werden, da ſie in der That wichtiger iſt, und
einem oͤfterer als andre freye Kuͤnſte zu ſtatten koͤmmt.
Gleichwol wird ſie jetzt ganz vernachlaͤßiget, ſeitdem ge-
wiſſe Leute ſie zum Handwerke herabgewuͤrdiget, und die
guten Geſellſchaften genoͤthiget haben, ihr den Abſchied zu
geben. Nur wenige denken daran, wie ſie zu einer Erzaͤh-
lung die Anlage machen ſollen; um die Erfindung der
Wahrheit, welche dadurch gelehrt werden ſoll, und deren
Wichtigkeit faſt ihren ganzen Werth entſcheidet, bekuͤmmern
ſie ſich am wenigſten; und die Art der Behandlung iſt ih-
nen faſt gleichguͤltig, da ſie nicht einmal vorher uͤberlegen,
ob die Wahrheit, ſo ſie vortragen wollen, eine luſtige oder
ernſthafte Einkleidung erfordere; und doch iſt nichts gewiſ-
ſers, als daß die groͤſte Wuͤrkung von der Art der Be-
handlung abhange. Oft fordert der Gegenſtand nur eine
leichte Anſpielung auf eine ſchon bekannte Geſchichte; oft
blos das Reſultat oder die Lehre einer Fabel, oft einen ſpi-
tzigen und treffenden Wink, oft eine ſanfte und verſteckte
Lehre, die man angenehmer errathen laͤßt, als ſagt; alle-
mal aber eine kurze Erwartung und voͤllige Befriedigung;
welche ſich beyde nicht erreichen laſſen, wo man nicht be-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Für das DTA wurde die „Neue verbesserte und verme… [mehr]
Für das DTA wurde die „Neue verbesserte und vermehrte Auflage“ des 3. Teils von Justus Mösers „Patriotischen Phantasien“ zur Digitalisierung ausgewählt. Sie erschien 1778, also im selben Jahr wie die Erstauflage dieses Bandes, und ist bis S. 260 seitenidentisch mit dieser. Die Abschnitte LX („Gedanken über den westphälischen Leibeigenthum“) bis LXVIII („Gedanken über den Stillestand der Leibeignen“) sind Ergänzungen gegenüber der ersten Auflage.
Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/168>, abgerufen am 16.02.2025.
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