XXXVII. Die Klage eines Leibzüchters, als ein Beytrag zur Geschichte der deutschen Kunst.
Es ist eine uralte Gewohnheit in Westphalen, daß bey jedem Voll- oder Halbhofe eine Leibzucht seyn, und wo solche fehlt, eine erbauet werden müsse. Lange habe ich den Geist dieses Gesetzes nicht so lebhaft eingesehen, als bey folgendem Vorfall.
Ein Eigenbehöriger Mann kam unlängst zu mir, und klagte mit vielen Thränen, wie betrübt es ihm in seinen al- ten Tagen gienge, da er mit einer Stieftochter in einem Hause wohnen, und täglich aus jedem ihrer Blicke einem heimlichen Fluch auf sich lesen müste; des Morgens früh, und des Abends spät, wenn sie ihm auch nur ein Stück Brod gebe, sagte ihm jede ihrer Minen, daß er sich zum Heuker scheren mögte. O schloß er endlich, es ist eine schreckliche Sache, daß die Obrigkeit nicht besser darauf hält, daß bey jedem Hofe eine Leibzucht seyn müsse.
Ich glaubte ihm recht vernünftig zu rathen, da ich ihm sagte, er sollte doch bey andern Leuten einziehen, oder sich eine besondere kleine Wohnung miethen, ich wollte seine Schwiegertochter durch den Weg Rechtens leicht zwingen, daß sie ihm jährlich für die Leibzucht ein gewisses an Gelde bezahlen sollte, und wenn ihm der Weg Rechtens zu sauer würde: so wollte ich ihn wohl für ihn gehen, und die Rei- sekosten bezahlen. Der Mann dauerte mich von Herzen; es war einer von den redlichen Greisen, die man nicht an- ders als mit Ehrfurcht ansehen kann.
Ach!
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XXXVII. Die Klage eines Leibzuͤchters, als ein Beytrag zur Geſchichte der deutſchen Kunſt.
Es iſt eine uralte Gewohnheit in Weſtphalen, daß bey jedem Voll- oder Halbhofe eine Leibzucht ſeyn, und wo ſolche fehlt, eine erbauet werden muͤſſe. Lange habe ich den Geiſt dieſes Geſetzes nicht ſo lebhaft eingeſehen, als bey folgendem Vorfall.
Ein Eigenbehoͤriger Mann kam unlaͤngſt zu mir, und klagte mit vielen Thraͤnen, wie betruͤbt es ihm in ſeinen al- ten Tagen gienge, da er mit einer Stieftochter in einem Hauſe wohnen, und taͤglich aus jedem ihrer Blicke einem heimlichen Fluch auf ſich leſen muͤſte; des Morgens fruͤh, und des Abends ſpaͤt, wenn ſie ihm auch nur ein Stuͤck Brod gebe, ſagte ihm jede ihrer Minen, daß er ſich zum Heuker ſcheren moͤgte. O ſchloß er endlich, es iſt eine ſchreckliche Sache, daß die Obrigkeit nicht beſſer darauf haͤlt, daß bey jedem Hofe eine Leibzucht ſeyn muͤſſe.
Ich glaubte ihm recht vernuͤnftig zu rathen, da ich ihm ſagte, er ſollte doch bey andern Leuten einziehen, oder ſich eine beſondere kleine Wohnung miethen, ich wollte ſeine Schwiegertochter durch den Weg Rechtens leicht zwingen, daß ſie ihm jaͤhrlich fuͤr die Leibzucht ein gewiſſes an Gelde bezahlen ſollte, und wenn ihm der Weg Rechtens zu ſauer wuͤrde: ſo wollte ich ihn wohl fuͤr ihn gehen, und die Rei- ſekoſten bezahlen. Der Mann dauerte mich von Herzen; es war einer von den redlichen Greiſen, die man nicht an- ders als mit Ehrfurcht anſehen kann.
Ach!
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XXXVII.
Die Klage eines Leibzuͤchters,
als ein Beytrag
zur Geſchichte der deutſchen Kunſt.
Es iſt eine uralte Gewohnheit in Weſtphalen, daß bey
jedem Voll- oder Halbhofe eine Leibzucht ſeyn, und
wo ſolche fehlt, eine erbauet werden muͤſſe. Lange habe
ich den Geiſt dieſes Geſetzes nicht ſo lebhaft eingeſehen, als
bey folgendem Vorfall.
Ein Eigenbehoͤriger Mann kam unlaͤngſt zu mir, und
klagte mit vielen Thraͤnen, wie betruͤbt es ihm in ſeinen al-
ten Tagen gienge, da er mit einer Stieftochter in einem
Hauſe wohnen, und taͤglich aus jedem ihrer Blicke einem
heimlichen Fluch auf ſich leſen muͤſte; des Morgens fruͤh,
und des Abends ſpaͤt, wenn ſie ihm auch nur ein Stuͤck
Brod gebe, ſagte ihm jede ihrer Minen, daß er ſich zum
Heuker ſcheren moͤgte. O ſchloß er endlich, es iſt eine
ſchreckliche Sache, daß die Obrigkeit nicht beſſer darauf
haͤlt, daß bey jedem Hofe eine Leibzucht ſeyn muͤſſe.
Ich glaubte ihm recht vernuͤnftig zu rathen, da ich
ihm ſagte, er ſollte doch bey andern Leuten einziehen, oder
ſich eine beſondere kleine Wohnung miethen, ich wollte ſeine
Schwiegertochter durch den Weg Rechtens leicht zwingen,
daß ſie ihm jaͤhrlich fuͤr die Leibzucht ein gewiſſes an Gelde
bezahlen ſollte, und wenn ihm der Weg Rechtens zu ſauer
wuͤrde: ſo wollte ich ihn wohl fuͤr ihn gehen, und die Rei-
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Für das DTA wurde die „Neue verbesserte und verme… [mehr]
Für das DTA wurde die „Neue verbesserte und vermehrte Auflage“ des 3. Teils von Justus Mösers „Patriotischen Phantasien“ zur Digitalisierung ausgewählt. Sie erschien 1778, also im selben Jahr wie die Erstauflage dieses Bandes, und ist bis S. 260 seitenidentisch mit dieser. Die Abschnitte LX („Gedanken über den westphälischen Leibeigenthum“) bis LXVIII („Gedanken über den Stillestand der Leibeignen“) sind Ergänzungen gegenüber der ersten Auflage.
Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/161>, abgerufen am 21.12.2024.
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