Also kann man der Mode ohne Gewissens- scrupel folgen.
Arabelle an Amalien.
Beruhigen Sie sich meine Liebe; Ihre Beängstigun- gen kommen aus dem Geblüt, das sich vielleicht auf dem letzten Ball zu sehr erhitzt hat, und nicht aus dem Gewissen. Wenigstens sehe ich in aller Welt nicht, warum eine Haube a la Louis seize, mit Plumets a la Reine und Alonge a la D'artois das Gewissen mehr als eine andere beschweren sollte. Ihre Furcht, daß die plötz- lichen und schnellen Veränderungen der Mode, welche un- sere jetzige Zeiten so eigentlich charakterisiren, einen üblen Einfluß auf ihren Kopf haben mögten, ist eben so unge- gründet. Etwas mehr Leichtfertigkeit, als unsere Groß- mütter blicken liessen, scheinet zwar darin zu liegen, und es wollte neulich eine alte Dame aus unsern seit Jahresfrist täglich veränderten Hüten schliessen, daß die Seele ihren Sitz verlassen und sich in die Gegend der Milz zurückge- zogen hätte. Ich gab ihr aber einen Blick, woraus sie völlig schliessen konnte, daß die meinige noch aus ihren bey- den obersten Fenstern sehe, und sagte dabey, daß die Phi- losophen der Seele ihren Sitz längst im Magen angewiesen hätten, daher es allenfalls kein Wunder wäre, wenn sie zur Veränderung einmal die Milz besuchte. Dieses mogte sie sich merken; denn so wie sie gut oder schlecht verdauet, denkt und empfindet sie auch. Eine andere wollte die Plumets a la Reine mit den Windfedern vergleichen, und daraus
das
Mös. patr. Phant.III.Th. A
Alſo kann man der Mode ohne Gewiſſens- ſcrupel folgen.
Arabelle an Amalien.
Beruhigen Sie ſich meine Liebe; Ihre Beaͤngſtigun- gen kommen aus dem Gebluͤt, das ſich vielleicht auf dem letzten Ball zu ſehr erhitzt hat, und nicht aus dem Gewiſſen. Wenigſtens ſehe ich in aller Welt nicht, warum eine Haube à la Louis ſeize, mit Plumets à la Reine und Alonge à la D’artois das Gewiſſen mehr als eine andere beſchweren ſollte. Ihre Furcht, daß die ploͤtz- lichen und ſchnellen Veraͤnderungen der Mode, welche un- ſere jetzige Zeiten ſo eigentlich charakteriſiren, einen uͤblen Einfluß auf ihren Kopf haben moͤgten, iſt eben ſo unge- gruͤndet. Etwas mehr Leichtfertigkeit, als unſere Groß- muͤtter blicken lieſſen, ſcheinet zwar darin zu liegen, und es wollte neulich eine alte Dame aus unſern ſeit Jahresfriſt taͤglich veraͤnderten Huͤten ſchlieſſen, daß die Seele ihren Sitz verlaſſen und ſich in die Gegend der Milz zuruͤckge- zogen haͤtte. Ich gab ihr aber einen Blick, woraus ſie voͤllig ſchlieſſen konnte, daß die meinige noch aus ihren bey- den oberſten Fenſtern ſehe, und ſagte dabey, daß die Phi- loſophen der Seele ihren Sitz laͤngſt im Magen angewieſen haͤtten, daher es allenfalls kein Wunder waͤre, wenn ſie zur Veraͤnderung einmal die Milz beſuchte. Dieſes mogte ſie ſich merken; denn ſo wie ſie gut oder ſchlecht verdauet, denkt und empfindet ſie auch. Eine andere wollte die Plumets à la Reine mit den Windfedern vergleichen, und daraus
das
Moͤſ. patr. Phant.III.Th. A
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Alſo kann man der Mode ohne Gewiſſens-
ſcrupel folgen.
Arabelle an Amalien.
Beruhigen Sie ſich meine Liebe; Ihre Beaͤngſtigun-
gen kommen aus dem Gebluͤt, das ſich vielleicht
auf dem letzten Ball zu ſehr erhitzt hat, und nicht
aus dem Gewiſſen. Wenigſtens ſehe ich in aller Welt nicht,
warum eine Haube à la Louis ſeize, mit Plumets à la
Reine und Alonge à la D’artois das Gewiſſen mehr als
eine andere beſchweren ſollte. Ihre Furcht, daß die ploͤtz-
lichen und ſchnellen Veraͤnderungen der Mode, welche un-
ſere jetzige Zeiten ſo eigentlich charakteriſiren, einen uͤblen
Einfluß auf ihren Kopf haben moͤgten, iſt eben ſo unge-
gruͤndet. Etwas mehr Leichtfertigkeit, als unſere Groß-
muͤtter blicken lieſſen, ſcheinet zwar darin zu liegen, und
es wollte neulich eine alte Dame aus unſern ſeit Jahresfriſt
taͤglich veraͤnderten Huͤten ſchlieſſen, daß die Seele ihren
Sitz verlaſſen und ſich in die Gegend der Milz zuruͤckge-
zogen haͤtte. Ich gab ihr aber einen Blick, woraus ſie
voͤllig ſchlieſſen konnte, daß die meinige noch aus ihren bey-
den oberſten Fenſtern ſehe, und ſagte dabey, daß die Phi-
loſophen der Seele ihren Sitz laͤngſt im Magen angewieſen
haͤtten, daher es allenfalls kein Wunder waͤre, wenn ſie
zur Veraͤnderung einmal die Milz beſuchte. Dieſes mogte ſie
ſich merken; denn ſo wie ſie gut oder ſchlecht verdauet, denkt
und empfindet ſie auch. Eine andere wollte die Plumets
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Moͤſ. patr. Phant. III. Th. A
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Für das DTA wurde die „Neue verbesserte und verme… [mehr]
Für das DTA wurde die „Neue verbesserte und vermehrte Auflage“ des 3. Teils von Justus Mösers „Patriotischen Phantasien“ zur Digitalisierung ausgewählt. Sie erschien 1778, also im selben Jahr wie die Erstauflage dieses Bandes, und ist bis S. 260 seitenidentisch mit dieser. Die Abschnitte LX („Gedanken über den westphälischen Leibeigenthum“) bis LXVIII („Gedanken über den Stillestand der Leibeignen“) sind Ergänzungen gegenüber der ersten Auflage.
Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/15>, abgerufen am 03.12.2024.
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