bracht hat, hat ihre Reitzung; und eine solche Reitzung al- lein ist vermögend, den einseitigen Menschen auf die andre Seite zurück zu ziehen.
Der allgemeine Grund, der immer mehr und mehr überhand nehmenden Hypochondrie liegt wahrscheinlich dar- in, daß wir nicht in dem Schweisse unsers Angesichts unser Brod erwerben. Wenn man sieht, wie viel ein Tagelöh- ntr Schweiß vergießt, und wie wenig nahrhaftes er dage- gen genießt; so fällt einem leicht die Frage ein, wie ein stillsitzender Mann bey wenigem Schweisse und stärkerer Nahrung gesund seyn könne? Die Einrichtung unsers Kör- pers beweißt, daß der Geist aller Nahrung in die Höhe, und die Häfen nach unten gehen sollen; es ist offenbar, daß der Nahrungsgeist im Steigen immer mehr und mehr geläu- tert, und blos das lauterste oder das rectificatissimum dem Gehirn zu statten kommen soll. Diese Stuffenweise Läuterung erfolgt aber blos durch eine angemesseue körper- liche Arbeit. Und wie kann da, wo man immer auf dem Stuhle verdauet, und durch eine starke Anstrengung der Seele, die rohen Säfte nach dem Gehirn zieht, diese Läu- terung gehörig geschehen?
Zu gehen, um zu gehen, zu reiten, um zu reiten, ist kein Mittel, was einen einseitigen Mann zurecht bringt. Die Noth wird ihm jenes zwar eine Zeitlang empfehlen, der üble Haug zu einer gewohnten und zur Bedürfniß gewor- denen Arbeit ihn aber bald wieder zurück ziehen. Hat er aber irgend eine körperliche Arbeit lieb gewonnen; und die- ses wird allemal der Fall seyn, wenn er es darin zu eini- ger Vollkommenheit gebracht hat: so bewegt er sich nicht blos, um sich zu bewegen, sondern um zu arbeiten, und zwar an einer angenehmen Sache, die ihre Reitzungen dem üblen Hange mächtig entgegen setzt, und ihn dauerhaft an
sich
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ein Handwerk lernen.
bracht hat, hat ihre Reitzung; und eine ſolche Reitzung al- lein iſt vermoͤgend, den einſeitigen Menſchen auf die andre Seite zuruͤck zu ziehen.
Der allgemeine Grund, der immer mehr und mehr uͤberhand nehmenden Hypochondrie liegt wahrſcheinlich dar- in, daß wir nicht in dem Schweiſſe unſers Angeſichts unſer Brod erwerben. Wenn man ſieht, wie viel ein Tageloͤh- ntr Schweiß vergießt, und wie wenig nahrhaftes er dage- gen genießt; ſo faͤllt einem leicht die Frage ein, wie ein ſtillſitzender Mann bey wenigem Schweiſſe und ſtaͤrkerer Nahrung geſund ſeyn koͤnne? Die Einrichtung unſers Koͤr- pers beweißt, daß der Geiſt aller Nahrung in die Hoͤhe, und die Haͤfen nach unten gehen ſollen; es iſt offenbar, daß der Nahrungsgeiſt im Steigen immer mehr und mehr gelaͤu- tert, und blos das lauterſte oder das rectificatiſſimum dem Gehirn zu ſtatten kommen ſoll. Dieſe Stuffenweiſe Laͤuterung erfolgt aber blos durch eine angemeſſeue koͤrper- liche Arbeit. Und wie kann da, wo man immer auf dem Stuhle verdauet, und durch eine ſtarke Anſtrengung der Seele, die rohen Saͤfte nach dem Gehirn zieht, dieſe Laͤu- terung gehoͤrig geſchehen?
Zu gehen, um zu gehen, zu reiten, um zu reiten, iſt kein Mittel, was einen einſeitigen Mann zurecht bringt. Die Noth wird ihm jenes zwar eine Zeitlang empfehlen, der uͤble Haug zu einer gewohnten und zur Beduͤrfniß gewor- denen Arbeit ihn aber bald wieder zuruͤck ziehen. Hat er aber irgend eine koͤrperliche Arbeit lieb gewonnen; und die- ſes wird allemal der Fall ſeyn, wenn er es darin zu eini- ger Vollkommenheit gebracht hat: ſo bewegt er ſich nicht blos, um ſich zu bewegen, ſondern um zu arbeiten, und zwar an einer angenehmen Sache, die ihre Reitzungen dem uͤblen Hange maͤchtig entgegen ſetzt, und ihn dauerhaft an
ſich
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ein Handwerk lernen.
bracht hat, hat ihre Reitzung; und eine ſolche Reitzung al-
lein iſt vermoͤgend, den einſeitigen Menſchen auf die andre
Seite zuruͤck zu ziehen.
Der allgemeine Grund, der immer mehr und mehr
uͤberhand nehmenden Hypochondrie liegt wahrſcheinlich dar-
in, daß wir nicht in dem Schweiſſe unſers Angeſichts unſer
Brod erwerben. Wenn man ſieht, wie viel ein Tageloͤh-
ntr Schweiß vergießt, und wie wenig nahrhaftes er dage-
gen genießt; ſo faͤllt einem leicht die Frage ein, wie ein
ſtillſitzender Mann bey wenigem Schweiſſe und ſtaͤrkerer
Nahrung geſund ſeyn koͤnne? Die Einrichtung unſers Koͤr-
pers beweißt, daß der Geiſt aller Nahrung in die Hoͤhe,
und die Haͤfen nach unten gehen ſollen; es iſt offenbar, daß
der Nahrungsgeiſt im Steigen immer mehr und mehr gelaͤu-
tert, und blos das lauterſte oder das rectificatiſſimum
dem Gehirn zu ſtatten kommen ſoll. Dieſe Stuffenweiſe
Laͤuterung erfolgt aber blos durch eine angemeſſeue koͤrper-
liche Arbeit. Und wie kann da, wo man immer auf dem
Stuhle verdauet, und durch eine ſtarke Anſtrengung der
Seele, die rohen Saͤfte nach dem Gehirn zieht, dieſe Laͤu-
terung gehoͤrig geſchehen?
Zu gehen, um zu gehen, zu reiten, um zu reiten, iſt
kein Mittel, was einen einſeitigen Mann zurecht bringt.
Die Noth wird ihm jenes zwar eine Zeitlang empfehlen, der
uͤble Haug zu einer gewohnten und zur Beduͤrfniß gewor-
denen Arbeit ihn aber bald wieder zuruͤck ziehen. Hat er
aber irgend eine koͤrperliche Arbeit lieb gewonnen; und die-
ſes wird allemal der Fall ſeyn, wenn er es darin zu eini-
ger Vollkommenheit gebracht hat: ſo bewegt er ſich nicht
blos, um ſich zu bewegen, ſondern um zu arbeiten, und
zwar an einer angenehmen Sache, die ihre Reitzungen dem
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Für das DTA wurde die „Neue verbesserte und verme… [mehr]
Für das DTA wurde die „Neue verbesserte und vermehrte Auflage“ des 3. Teils von Justus Mösers „Patriotischen Phantasien“ zur Digitalisierung ausgewählt. Sie erschien 1778, also im selben Jahr wie die Erstauflage dieses Bandes, und ist bis S. 260 seitenidentisch mit dieser. Die Abschnitte LX („Gedanken über den westphälischen Leibeigenthum“) bis LXVIII („Gedanken über den Stillestand der Leibeignen“) sind Ergänzungen gegenüber der ersten Auflage.
Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/147>, abgerufen am 30.01.2025.
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