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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778.

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Die erste Landeskasse.
in weltliche und Privathände gekommen sind, ohne daß die
Kirche und ihr Haupt mit allen ihren eifrigen Bemühun-
gen das geheiligte gemeine Gut von seinem Untergange ret-
ten können, müssen Sie sich die Sache folgendermassen vor-
stellen.

Erstlich war es überhaupt nicht wohl möglich, daß
der Bischof sein Viertel, besonders im Stroh zusammen
in eine Hauptkasse führen lassen konnte; folglich entstan-
den viele besondre Empfänger.
Zweytens konnte jede Kirche die übrigen drey Viertel
nicht ordentlich und richtig empfangen, wenn der Zehnte
des einen Kirchspiels mit dem Zehnten eines andern in eine
Scheure gefahren wurde. Natürlicher Weise erfolgten also
gerade so viel Empfänger als Kirchspiele vorhanden waren.
Drittens war der ganze Zehnte eines Kirchspiels eine
sehr grosse Einnahme; und es schickte sich so wenig für den
Pfarrer, die Hebung zu haben; als wenig man solche ei-
nem gemeinem Mann so leicht anvertrauen konnte. Zudem
muste der Zehnte oft mit mächtiger Hülfe herbey geholet wer-
den; diese war in den Händen des Reichshauptmanns im
Kirchspiel; und so war es so natürlich als nothwendig,
daß dieser die Zehntscheure oder die Zehntkasse verwaltete,
und die ganze Hebung hatte. Ob er etwas mehr als Stroh
und den Abfall zur Besoldung nahm, will ich jetzt nicht
untersuchen. Man nennte ihn aber überall den Kastenvogt,
und hätte ihn nach einem neuern Ausdruck den Reichs-Kirch-
spielspfennigmeister heissen können.
Viertens muste solchergestalt sowohl der Bischof, als
der Pfarrer und der Kirchenprovisor, wenn es damals schon
dergleichen gab, und der Kastenvogt nicht selbst die Kir-
chen- und Armenrechnung führte, dasjenige was sie haben
wollten,
G 3

Die erſte Landeskaſſe.
in weltliche und Privathaͤnde gekommen ſind, ohne daß die
Kirche und ihr Haupt mit allen ihren eifrigen Bemuͤhun-
gen das geheiligte gemeine Gut von ſeinem Untergange ret-
ten koͤnnen, muͤſſen Sie ſich die Sache folgendermaſſen vor-
ſtellen.

Erſtlich war es uͤberhaupt nicht wohl moͤglich, daß
der Biſchof ſein Viertel, beſonders im Stroh zuſammen
in eine Hauptkaſſe fuͤhren laſſen konnte; folglich entſtan-
den viele beſondre Empfaͤnger.
Zweytens konnte jede Kirche die uͤbrigen drey Viertel
nicht ordentlich und richtig empfangen, wenn der Zehnte
des einen Kirchſpiels mit dem Zehnten eines andern in eine
Scheure gefahren wurde. Natuͤrlicher Weiſe erfolgten alſo
gerade ſo viel Empfaͤnger als Kirchſpiele vorhanden waren.
Drittens war der ganze Zehnte eines Kirchſpiels eine
ſehr groſſe Einnahme; und es ſchickte ſich ſo wenig fuͤr den
Pfarrer, die Hebung zu haben; als wenig man ſolche ei-
nem gemeinem Mann ſo leicht anvertrauen konnte. Zudem
muſte der Zehnte oft mit maͤchtiger Huͤlfe herbey geholet wer-
den; dieſe war in den Haͤnden des Reichshauptmanns im
Kirchſpiel; und ſo war es ſo natuͤrlich als nothwendig,
daß dieſer die Zehntſcheure oder die Zehntkaſſe verwaltete,
und die ganze Hebung hatte. Ob er etwas mehr als Stroh
und den Abfall zur Beſoldung nahm, will ich jetzt nicht
unterſuchen. Man nennte ihn aber uͤberall den Kaſtenvogt,
und haͤtte ihn nach einem neuern Ausdruck den Reichs-Kirch-
ſpielspfennigmeiſter heiſſen koͤnnen.
Viertens muſte ſolchergeſtalt ſowohl der Biſchof, als
der Pfarrer und der Kirchenproviſor, wenn es damals ſchon
dergleichen gab, und der Kaſtenvogt nicht ſelbſt die Kir-
chen- und Armenrechnung fuͤhrte, dasjenige was ſie haben
wollten,
G 3
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[101/0115] Die erſte Landeskaſſe. in weltliche und Privathaͤnde gekommen ſind, ohne daß die Kirche und ihr Haupt mit allen ihren eifrigen Bemuͤhun- gen das geheiligte gemeine Gut von ſeinem Untergange ret- ten koͤnnen, muͤſſen Sie ſich die Sache folgendermaſſen vor- ſtellen. Erſtlich war es uͤberhaupt nicht wohl moͤglich, daß der Biſchof ſein Viertel, beſonders im Stroh zuſammen in eine Hauptkaſſe fuͤhren laſſen konnte; folglich entſtan- den viele beſondre Empfaͤnger. Zweytens konnte jede Kirche die uͤbrigen drey Viertel nicht ordentlich und richtig empfangen, wenn der Zehnte des einen Kirchſpiels mit dem Zehnten eines andern in eine Scheure gefahren wurde. Natuͤrlicher Weiſe erfolgten alſo gerade ſo viel Empfaͤnger als Kirchſpiele vorhanden waren. Drittens war der ganze Zehnte eines Kirchſpiels eine ſehr groſſe Einnahme; und es ſchickte ſich ſo wenig fuͤr den Pfarrer, die Hebung zu haben; als wenig man ſolche ei- nem gemeinem Mann ſo leicht anvertrauen konnte. Zudem muſte der Zehnte oft mit maͤchtiger Huͤlfe herbey geholet wer- den; dieſe war in den Haͤnden des Reichshauptmanns im Kirchſpiel; und ſo war es ſo natuͤrlich als nothwendig, daß dieſer die Zehntſcheure oder die Zehntkaſſe verwaltete, und die ganze Hebung hatte. Ob er etwas mehr als Stroh und den Abfall zur Beſoldung nahm, will ich jetzt nicht unterſuchen. Man nennte ihn aber uͤberall den Kaſtenvogt, und haͤtte ihn nach einem neuern Ausdruck den Reichs-Kirch- ſpielspfennigmeiſter heiſſen koͤnnen. Viertens muſte ſolchergeſtalt ſowohl der Biſchof, als der Pfarrer und der Kirchenproviſor, wenn es damals ſchon dergleichen gab, und der Kaſtenvogt nicht ſelbſt die Kir- chen- und Armenrechnung fuͤhrte, dasjenige was ſie haben wollten, G 3

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/115>, abgerufen am 24.11.2024.