könnte ich ihnen nur einmal meine ganze Erkenntlichkeit ausdrücken! Sehen sie hier diesen Brief erhalte ich so eben. Mein Sohn, mein einziger Sohn, soll seine Companie ver- lieren, oder er muß 1500 Thaler bezahlen, die er derselben schuldig ist. Ach! einen Theil habe ich selbst von ihm gelie- hen. Wie mein seliger Mann starb, hatte ich nicht so viel, daß ich ihn Standesmäßig begraben lassen konnte; und das übrige -- für dasmal dünkte sich Arist sicher. Funfzehn- hundert Thaler hatte er nicht baar, und konnte sie auch so bald nicht anschaffen. Die Thränen der Wittwe flossen also umsonst. Jedoch zu seinem Unglück forderte die Compagnie nur erst einen Bürgen auf 6 Monate; und wie konnte er der dankbaren und unglücklichen Emilie diese Hülfe versagen? Verlohr ihr Sohn die Compagnie: so wären Mutter und Sohn in die erschrecklichste Armuth gerathen; und sollte er sich diese einst vorzuwerfen haben? das wollte der Himmel nicht.
Arist dachte jetzte an kein Gelübde mehr. Er sahe es ein, daß es vergeblich sey, sich selbst Gesetze zu geben, und seinem Herzen das Dispensationsrecht zu lassen. Indessen klagte er seine Noth einem würdigen Feunde, einem Manne, den er unter allen am höchsten schätzte, um sich seinen Rath zu er- bitten. Himmel, antwortete ihm dieser, was bin ich un- glücklich! In dem Augenblick, da mich der schrecklichste un- ter allen Zufällen nöthigte, Sie mein edelster, mein werthe- ster Arist, um einen Vorschuß von tausend Thalern zu bitten: so erfahre ich mit Schrecken, wie sehr ich ihre Freundschaft auf die Probe gestellet haben würde. Aber der Himmel soll mich bewahren, daß ich sie nicht zu neuen Schwachheiten verleite. Es ist genug, daß ich allein unglücklich bin; ich werde Muth haben mein Schicksal zu ertragen, so hart es auch immer seyn mag. Ich will mich entfernen und vor den
Augen
Ein gutherziger Narr beſſert ſich nie.
koͤnnte ich ihnen nur einmal meine ganze Erkenntlichkeit ausdruͤcken! Sehen ſie hier dieſen Brief erhalte ich ſo eben. Mein Sohn, mein einziger Sohn, ſoll ſeine Companie ver- lieren, oder er muß 1500 Thaler bezahlen, die er derſelben ſchuldig iſt. Ach! einen Theil habe ich ſelbſt von ihm gelie- hen. Wie mein ſeliger Mann ſtarb, hatte ich nicht ſo viel, daß ich ihn Standesmaͤßig begraben laſſen konnte; und das uͤbrige — fuͤr dasmal duͤnkte ſich Ariſt ſicher. Funfzehn- hundert Thaler hatte er nicht baar, und konnte ſie auch ſo bald nicht anſchaffen. Die Thraͤnen der Wittwe floſſen alſo umſonſt. Jedoch zu ſeinem Ungluͤck forderte die Compagnie nur erſt einen Buͤrgen auf 6 Monate; und wie konnte er der dankbaren und ungluͤcklichen Emilie dieſe Huͤlfe verſagen? Verlohr ihr Sohn die Compagnie: ſo waͤren Mutter und Sohn in die erſchrecklichſte Armuth gerathen; und ſollte er ſich dieſe einſt vorzuwerfen haben? das wollte der Himmel nicht.
Ariſt dachte jetzte an kein Geluͤbde mehr. Er ſahe es ein, daß es vergeblich ſey, ſich ſelbſt Geſetze zu geben, und ſeinem Herzen das Diſpenſationsrecht zu laſſen. Indeſſen klagte er ſeine Noth einem wuͤrdigen Feunde, einem Manne, den er unter allen am hoͤchſten ſchaͤtzte, um ſich ſeinen Rath zu er- bitten. Himmel, antwortete ihm dieſer, was bin ich un- gluͤcklich! In dem Augenblick, da mich der ſchrecklichſte un- ter allen Zufaͤllen noͤthigte, Sie mein edelſter, mein werthe- ſter Ariſt, um einen Vorſchuß von tauſend Thalern zu bitten: ſo erfahre ich mit Schrecken, wie ſehr ich ihre Freundſchaft auf die Probe geſtellet haben wuͤrde. Aber der Himmel ſoll mich bewahren, daß ich ſie nicht zu neuen Schwachheiten verleite. Es iſt genug, daß ich allein ungluͤcklich bin; ich werde Muth haben mein Schickſal zu ertragen, ſo hart es auch immer ſeyn mag. Ich will mich entfernen und vor den
Augen
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Ein gutherziger Narr beſſert ſich nie.
koͤnnte ich ihnen nur einmal meine ganze Erkenntlichkeit
ausdruͤcken! Sehen ſie hier dieſen Brief erhalte ich ſo eben.
Mein Sohn, mein einziger Sohn, ſoll ſeine Companie ver-
lieren, oder er muß 1500 Thaler bezahlen, die er derſelben
ſchuldig iſt. Ach! einen Theil habe ich ſelbſt von ihm gelie-
hen. Wie mein ſeliger Mann ſtarb, hatte ich nicht ſo viel,
daß ich ihn Standesmaͤßig begraben laſſen konnte; und das
uͤbrige — fuͤr dasmal duͤnkte ſich Ariſt ſicher. Funfzehn-
hundert Thaler hatte er nicht baar, und konnte ſie auch ſo
bald nicht anſchaffen. Die Thraͤnen der Wittwe floſſen alſo
umſonſt. Jedoch zu ſeinem Ungluͤck forderte die Compagnie
nur erſt einen Buͤrgen auf 6 Monate; und wie konnte er der
dankbaren und ungluͤcklichen Emilie dieſe Huͤlfe verſagen?
Verlohr ihr Sohn die Compagnie: ſo waͤren Mutter und Sohn
in die erſchrecklichſte Armuth gerathen; und ſollte er ſich dieſe
einſt vorzuwerfen haben? das wollte der Himmel nicht.
Ariſt dachte jetzte an kein Geluͤbde mehr. Er ſahe es ein,
daß es vergeblich ſey, ſich ſelbſt Geſetze zu geben, und ſeinem
Herzen das Diſpenſationsrecht zu laſſen. Indeſſen klagte er
ſeine Noth einem wuͤrdigen Feunde, einem Manne, den er
unter allen am hoͤchſten ſchaͤtzte, um ſich ſeinen Rath zu er-
bitten. Himmel, antwortete ihm dieſer, was bin ich un-
gluͤcklich! In dem Augenblick, da mich der ſchrecklichſte un-
ter allen Zufaͤllen noͤthigte, Sie mein edelſter, mein werthe-
ſter Ariſt, um einen Vorſchuß von tauſend Thalern zu bitten:
ſo erfahre ich mit Schrecken, wie ſehr ich ihre Freundſchaft
auf die Probe geſtellet haben wuͤrde. Aber der Himmel ſoll
mich bewahren, daß ich ſie nicht zu neuen Schwachheiten
verleite. Es iſt genug, daß ich allein ungluͤcklich bin; ich
werde Muth haben mein Schickſal zu ertragen, ſo hart es
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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/77>, abgerufen am 16.02.2025.
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