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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776.

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Schreiben eines Kornhändlers.
Hoffnung von neuem belebte; so oft ein Hagel in der Luft,
ein Honigthau oder ein Heer von Mäusen bessere Zeiten ver-
kündigte: so war es doch als wenn die Menschen Siegel und
Briefe von Gott hätten, daß die Erndte so gut wie geschehen
ausfallen würde; keiner meldete sich um einen Scheffel, und
so sitze ich nun mit einem Capital von vierzig tausend Thaler
unter der offenbarsten Gefahr, wenigstens funfzig Procent
darauf zu verlieren. Wäre die Erndte nicht so gut: so würde
ich Geld borgen, um den Preis noch ein Jahr in der Höhe
zu erhalten. Allein diese Unternehmung ist zu groß für mich,
und wir haben so lange theure Zeiten gehabt, daß ich besorge
wir werden nun zwanzig reiche Erndten nach einander haben.

Zwar fehlt es nicht an Tröstern, die mir sagen, es würde
bereits stark nach Frankreich aufgekauft; der Rogge streue
nicht gut und habe entweder vom Frost oder vom Mehlthau
gelitten; die Mäuse hätten in verschiedenen Gegenden eine
ganze Verheerung angerichtet; der Weitzen werde sehr abfal-
len, der Buchweitzen habe sich nur dem Scheine nach erho-
let; und die Eichelmast sey ganz verschwunden. Meine eigne
Erfahrung sagt mir aber das Gegentheil, und das Korn ist
so reichlich gewachsen; die Sommerfrucht ist so vortreflich aus-
gefallen; die Buchmast ist dermassen stark; das Heu ist so
gut eingekommen, die Bohnen, Kartoffeln und Erbsen haben
so wie das Obst so reichlich gesetzt, daß jene kleinen Ausfälle
gar nicht in Betrachtung kommen können.

Hätte es indessen das Glück oder Unglück gewollt, daß
wir eine schlechte Erndte und einen abermaligen Mangel er-
lebt hätten, wie groß würde nicht wiederum mein Verdienst
um das Vaterland geworden seyn! sechs tausend Malter, die
ohne, mein Aufschütten vielleicht zu schlechten Weine verbrannt,

oder
D 4

Schreiben eines Kornhaͤndlers.
Hoffnung von neuem belebte; ſo oft ein Hagel in der Luft,
ein Honigthau oder ein Heer von Maͤuſen beſſere Zeiten ver-
kuͤndigte: ſo war es doch als wenn die Menſchen Siegel und
Briefe von Gott haͤtten, daß die Erndte ſo gut wie geſchehen
ausfallen wuͤrde; keiner meldete ſich um einen Scheffel, und
ſo ſitze ich nun mit einem Capital von vierzig tauſend Thaler
unter der offenbarſten Gefahr, wenigſtens funfzig Procent
darauf zu verlieren. Waͤre die Erndte nicht ſo gut: ſo wuͤrde
ich Geld borgen, um den Preis noch ein Jahr in der Hoͤhe
zu erhalten. Allein dieſe Unternehmung iſt zu groß fuͤr mich,
und wir haben ſo lange theure Zeiten gehabt, daß ich beſorge
wir werden nun zwanzig reiche Erndten nach einander haben.

Zwar fehlt es nicht an Troͤſtern, die mir ſagen, es wuͤrde
bereits ſtark nach Frankreich aufgekauft; der Rogge ſtreue
nicht gut und habe entweder vom Froſt oder vom Mehlthau
gelitten; die Maͤuſe haͤtten in verſchiedenen Gegenden eine
ganze Verheerung angerichtet; der Weitzen werde ſehr abfal-
len, der Buchweitzen habe ſich nur dem Scheine nach erho-
let; und die Eichelmaſt ſey ganz verſchwunden. Meine eigne
Erfahrung ſagt mir aber das Gegentheil, und das Korn iſt
ſo reichlich gewachſen; die Sommerfrucht iſt ſo vortreflich aus-
gefallen; die Buchmaſt iſt dermaſſen ſtark; das Heu iſt ſo
gut eingekommen, die Bohnen, Kartoffeln und Erbſen haben
ſo wie das Obſt ſo reichlich geſetzt, daß jene kleinen Ausfaͤlle
gar nicht in Betrachtung kommen koͤnnen.

Haͤtte es indeſſen das Gluͤck oder Ungluͤck gewollt, daß
wir eine ſchlechte Erndte und einen abermaligen Mangel er-
lebt haͤtten, wie groß wuͤrde nicht wiederum mein Verdienſt
um das Vaterland geworden ſeyn! ſechs tauſend Malter, die
ohne, mein Aufſchuͤtten vielleicht zu ſchlechten Weine verbrannt,

oder
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[55/0073] Schreiben eines Kornhaͤndlers. Hoffnung von neuem belebte; ſo oft ein Hagel in der Luft, ein Honigthau oder ein Heer von Maͤuſen beſſere Zeiten ver- kuͤndigte: ſo war es doch als wenn die Menſchen Siegel und Briefe von Gott haͤtten, daß die Erndte ſo gut wie geſchehen ausfallen wuͤrde; keiner meldete ſich um einen Scheffel, und ſo ſitze ich nun mit einem Capital von vierzig tauſend Thaler unter der offenbarſten Gefahr, wenigſtens funfzig Procent darauf zu verlieren. Waͤre die Erndte nicht ſo gut: ſo wuͤrde ich Geld borgen, um den Preis noch ein Jahr in der Hoͤhe zu erhalten. Allein dieſe Unternehmung iſt zu groß fuͤr mich, und wir haben ſo lange theure Zeiten gehabt, daß ich beſorge wir werden nun zwanzig reiche Erndten nach einander haben. Zwar fehlt es nicht an Troͤſtern, die mir ſagen, es wuͤrde bereits ſtark nach Frankreich aufgekauft; der Rogge ſtreue nicht gut und habe entweder vom Froſt oder vom Mehlthau gelitten; die Maͤuſe haͤtten in verſchiedenen Gegenden eine ganze Verheerung angerichtet; der Weitzen werde ſehr abfal- len, der Buchweitzen habe ſich nur dem Scheine nach erho- let; und die Eichelmaſt ſey ganz verſchwunden. Meine eigne Erfahrung ſagt mir aber das Gegentheil, und das Korn iſt ſo reichlich gewachſen; die Sommerfrucht iſt ſo vortreflich aus- gefallen; die Buchmaſt iſt dermaſſen ſtark; das Heu iſt ſo gut eingekommen, die Bohnen, Kartoffeln und Erbſen haben ſo wie das Obſt ſo reichlich geſetzt, daß jene kleinen Ausfaͤlle gar nicht in Betrachtung kommen koͤnnen. Haͤtte es indeſſen das Gluͤck oder Ungluͤck gewollt, daß wir eine ſchlechte Erndte und einen abermaligen Mangel er- lebt haͤtten, wie groß wuͤrde nicht wiederum mein Verdienſt um das Vaterland geworden ſeyn! ſechs tauſend Malter, die ohne, mein Aufſchuͤtten vielleicht zu ſchlechten Weine verbrannt, oder D 4

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/73>, abgerufen am 22.11.2024.