Dankbarkeit abzulocken. Mein Mann legt dieses als die offen- bareste Probe meiner Koketterie aus, und ich weis selbst nicht, was ich dazu sagen soll, daß mich eine männliche Thräne mehr rührt als tausend weibliche? Es sey aber Koketterie oder ge- läuterte Eitelkeit, wie Sie das Mitleiden wohl eher genannt haben: so bin ich dergestalt darauf verkommen, daß ich alles Geld, was ich nur ersparen kan, zu Befriedigung dieser mei- ner Fantasie anwende, und selbst eine große Princeßin nicht betrauert habe, um mir dafür das süße Schauspiel der empfindlichsten Dankbarkeit von sechs Armen zu verschaffen.
Doch verschmähe ich auch das Vergnügen nicht, bisweilen einem Dutzend armer Hexen eine dankbare Rührung abzuja- gen, und mich daran zu ergötzen. Vor acht Tagen kam mein Kammermädgen ganz außer Odem gelaufen und rief -- Gnädige Frau, Gnädige Frau -- Nun Charlotte -- Ja auf dem Boden -- Nun was denn auf dem Boden? -- Da da liegt noch eine ganze Kammer voll Flachs und die ar- men Leute haben nichts zu spinnen, weilleider auch das Flachs im vorigen Jahre nicht gerathen. In meinem Leben habe ich keine so angenehme Zeitung gehört; ich lief mit dem Mäd- gen auf den Boden wie eine Närrin, hielt allen meines Man- nes Tanten und Großtanten, die das Flachs gesammlet hat- ten, eine Standrede, und man mußte mir dasselbe miteinan- der in die Scheure bringen. Hier lies ich alle Weibsleute aus dem Dorfe zusammen kommen, und theilte das Flachs ungewogen und ungezählt unter sie aus. Nun das war eine Freude! Aber denken Sie, die guten Weibsen bringen mir das Garn dafür wieder, und verlangen kein Spinnegeld, nach- dem ich sie bereits mit Korn versorget habe. Ist das nicht auch süß? und kan diese schmeichelhafte Dankbarkeit, ohner- achtet sie nicht von Männern kömmt, nicht immer mit ange-
nom-
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oder Schreiben einer Dame vom Lande.
Dankbarkeit abzulocken. Mein Mann legt dieſes als die offen- bareſte Probe meiner Koketterie aus, und ich weis ſelbſt nicht, was ich dazu ſagen ſoll, daß mich eine maͤnnliche Thraͤne mehr ruͤhrt als tauſend weibliche? Es ſey aber Koketterie oder ge- laͤuterte Eitelkeit, wie Sie das Mitleiden wohl eher genannt haben: ſo bin ich dergeſtalt darauf verkommen, daß ich alles Geld, was ich nur erſparen kan, zu Befriedigung dieſer mei- ner Fantaſie anwende, und ſelbſt eine große Princeßin nicht betrauert habe, um mir dafuͤr das ſuͤße Schauſpiel der empfindlichſten Dankbarkeit von ſechs Armen zu verſchaffen.
Doch verſchmaͤhe ich auch das Vergnuͤgen nicht, bisweilen einem Dutzend armer Hexen eine dankbare Ruͤhrung abzuja- gen, und mich daran zu ergoͤtzen. Vor acht Tagen kam mein Kammermaͤdgen ganz außer Odem gelaufen und rief — Gnaͤdige Frau, Gnaͤdige Frau — Nun Charlotte — Ja auf dem Boden — Nun was denn auf dem Boden? — Da da liegt noch eine ganze Kammer voll Flachs und die ar- men Leute haben nichts zu ſpinnen, weilleider auch das Flachs im vorigen Jahre nicht gerathen. In meinem Leben habe ich keine ſo angenehme Zeitung gehoͤrt; ich lief mit dem Maͤd- gen auf den Boden wie eine Naͤrrin, hielt allen meines Man- nes Tanten und Großtanten, die das Flachs geſammlet hat- ten, eine Standrede, und man mußte mir daſſelbe miteinan- der in die Scheure bringen. Hier lies ich alle Weibsleute aus dem Dorfe zuſammen kommen, und theilte das Flachs ungewogen und ungezaͤhlt unter ſie aus. Nun das war eine Freude! Aber denken Sie, die guten Weibſen bringen mir das Garn dafuͤr wieder, und verlangen kein Spinnegeld, nach- dem ich ſie bereits mit Korn verſorget habe. Iſt das nicht auch ſuͤß? und kan dieſe ſchmeichelhafte Dankbarkeit, ohner- achtet ſie nicht von Maͤnnern koͤmmt, nicht immer mit ange-
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oder Schreiben einer Dame vom Lande.
Dankbarkeit abzulocken. Mein Mann legt dieſes als die offen-
bareſte Probe meiner Koketterie aus, und ich weis ſelbſt nicht,
was ich dazu ſagen ſoll, daß mich eine maͤnnliche Thraͤne mehr
ruͤhrt als tauſend weibliche? Es ſey aber Koketterie oder ge-
laͤuterte Eitelkeit, wie Sie das Mitleiden wohl eher genannt
haben: ſo bin ich dergeſtalt darauf verkommen, daß ich alles
Geld, was ich nur erſparen kan, zu Befriedigung dieſer mei-
ner Fantaſie anwende, und ſelbſt eine große Princeßin nicht
betrauert habe, um mir dafuͤr das ſuͤße Schauſpiel der
empfindlichſten Dankbarkeit von ſechs Armen zu verſchaffen.
Doch verſchmaͤhe ich auch das Vergnuͤgen nicht, bisweilen
einem Dutzend armer Hexen eine dankbare Ruͤhrung abzuja-
gen, und mich daran zu ergoͤtzen. Vor acht Tagen kam mein
Kammermaͤdgen ganz außer Odem gelaufen und rief —
Gnaͤdige Frau, Gnaͤdige Frau — Nun Charlotte — Ja
auf dem Boden — Nun was denn auf dem Boden? —
Da da liegt noch eine ganze Kammer voll Flachs und die ar-
men Leute haben nichts zu ſpinnen, weilleider auch das Flachs
im vorigen Jahre nicht gerathen. In meinem Leben habe
ich keine ſo angenehme Zeitung gehoͤrt; ich lief mit dem Maͤd-
gen auf den Boden wie eine Naͤrrin, hielt allen meines Man-
nes Tanten und Großtanten, die das Flachs geſammlet hat-
ten, eine Standrede, und man mußte mir daſſelbe miteinan-
der in die Scheure bringen. Hier lies ich alle Weibsleute
aus dem Dorfe zuſammen kommen, und theilte das Flachs
ungewogen und ungezaͤhlt unter ſie aus. Nun das war eine
Freude! Aber denken Sie, die guten Weibſen bringen mir
das Garn dafuͤr wieder, und verlangen kein Spinnegeld, nach-
dem ich ſie bereits mit Korn verſorget habe. Iſt das nicht
auch ſuͤß? und kan dieſe ſchmeichelhafte Dankbarkeit, ohner-
achtet ſie nicht von Maͤnnern koͤmmt, nicht immer mit ange-
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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/57>, abgerufen am 16.02.2025.
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